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1961 Nr. 8

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Systematische Theologie: Ethik

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 8

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Gewiß haben wir prinzipiell auch den Staat als einen Diener
Gottes zu betrachten, und das Natürliche ist, daß Staat und Kirche
in Ehefragen zusammenarbeiten. AbeT die Verhältnisse sind ja
nicht immer derart, daß sich eine solche Zusammenarbeit verwirklichen
läßt.

Sundbys Abhandlung ist eine anregende Lektüre. Sie behandelt
äußerst wesentliche Fragen der Sozialethik und hat eine
massive Verankerung in Luthers eigener Auffassung zur Sache.
Sie gibt dem Leser Grund zum Nachdenken und Nachprüfen, weil
sie bloßlegt, wie viel theologische Unsicherheit vielfach hinter
den kirchlichen Äußerungen zu Ehefragen verborgen lag.

Lulei Süg Hellsten

Böckle, Franz: Grundprobleme evangelischer Ethik in katholischer
Sicht.

Catholica 15. 1961 S. 1—24.
C r o s s, Wilford O.: Current Objections to Natural Law Theory in
Ethics.

Anglican Theological Review 43, 1961 S. 32—46.
Karrenberg, Friedrich: Christlich-sozial und Liberalismus.
Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 155—159.

— Christlich-sozial und demokratischer Sozialismus.
Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 123—128.

McFadden, Robert: The Nuclear Dilemma. With a Nod to Kierkegaard
.

Theology Today 17, 1961 S. 505—518.
Schrey, Heinz-Horst: Kirche und Koexistenz in evangelischer Sicht.
Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 151—154.

— Neuere Literatur zur Ethik.

Theologische Rundschau N. F. 26, 1960 S. 355—373.

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Charlier, Celestin: Der Christ und die Bibel. Ins Deutsche übertragen
v. Beuroner Mönchen. Heidelberg: Kerle [19 59]. 316 S. 8°.
Lw. DM 14.50.

Dieses Werk eines belgischen Paters in Maredsous, aus
Unterhaltungen von Lehrern, Freunden und Schülern als Ausdruck
der Dankbarkeit für die empfangenen Reichtümer des
Wortes Gottes entstanden und 1949 erstmalig in französischer
Sprache erschienen, erhebt nicht den Anspruch, als Fachstudie zu
gelten. Gleichwohl scheint es uns — und das rechtfertigt die Anzeige
in der Theologischen Literaturzeitung — in dreifacher Hinsicht
symptomatisch zu sein.

„Dieses Buch will dem nicht mit Fachkenntnissen ausgestatteten
, aber doch gebildeten Christen helfen, in der Bibel die echte
Quelle seines christlichen Lebens wiederzufinden", — gleich der
Eingangssatz des Vorwortes umschreibt Thema und Tenor der
Arbeit. Deshalb gilt es zunächst, der Gleichgültigkeit weiter
katholischer Kreise gegenüber dem Lesen der Bibel zu Leibe zu
gehen, die drastisch gekennzeichnet wird: „Wozu soll das nützen
? Wissen wir nicht durch die Lehre der Kirche alles, was wir
zu glauben und zu tun haben?" (S. 14). Damit zugleich ergibt sich
eine gerechtere Würdigung des Anliegens der Reformatoren und
ein anderes als das übliche Geschichtsbild: Der Niedergang des
biblischen und liturgischen Lebens setzte bereits im 13. Jahrhundert
ein und war ebenso wie Nominalismus und fortschreitende
Sittenverderbnis Auswirkung einer Zersetzung des
christlichen Geistes. „Ak dann die protestantische Krise ausbrach
, hatte die Bibel aufgehört, das in der Kirche zu sein, was
sie dort bis zum 13. Jahrhundert in dem lebendigen Rahmen der
Liturgie gewesen war, nämlich die fast einzige Quelle ihres Gebetes
, ihres Denkens und ihrer neuen Impulse" (S. 15). Die Reformation
„verkündete gegen die Verirrungen einer entarteten
Scholastik eine Rückkehr zur Bibel". Aber da sie zugleich „das
Prinzip des sozialen Lebens der Kirche selbst" verwarf, wurde
die Bibel, „gewaltsam aus ihrem lebendigen Zusammenhang losgelöst
", in den Händen der Protestanten zu einer furchtbaren
Waffe. Von daher ist es verständlich, daß das Tridentiner Konzil,
mehr noch vom Instinkt der Selbstbewahrung als vom Geist der
Erneuerung inspiriert, die Tradition zu schützen versuchte, „indem
man den Gebrauch der Bibel in der Hand des Christenvolkes
etwas regulierte" (ebd); die lateinische Vulgata wurde zum

authentischen Text erklärt und die Lektüre der Heiligen Schrift
in der Landessprache verboten, wenn diese Übersetzungen nicht
mit kurzen, im Einklang mit der katholischen Kirche ötehenden
Erklärungen versehen waren. Die Folge davon war, daß sich
„in den Geistern ein Mißtrauen gegenüber dem Worte Gottes"
festsetzte und daß auch dann, als der Lärm der religiösen Kämpfe
allmählich abnahm, der Katholik des 17. und 18. Jahrhunderts
mehr und mehr die Gewohnheit verlor, die Bibel zu lesen:
„Er sah darin kaum mehr als die Ursache der verschiedenen Gestalten
der protestantischen Kirchen" (S. 16). Es sind noch keine
50 Jahre her, seit die Krise des Modernismus auf dem Höhepunkt
dieser Entwicklung endgültig den Eindruck zu bestärken schien,
daß alle Irrlehren aus der Lesung der Bibel entstünden. Gegen
dieses „falsche Dilemma: entweder Bibel oder Kirche" (S. 28)
wendet 6ich Charlier mit Leidenschaft und Scharfsinn. Er sieht
6ich dabei von mächtigen Reformbewegungen unterstützt, die
von der Bibel geweckt sind: volksliturgische, theologische (im
patristischen Sinne des Wortes) Bibelbewegung, kirchliche Jugendbewegung
, Una-Sancta-Bewegung, — „all das kommt im Grund
auf das gleiche hinaus: erneute Rückkehr zu dem tiefen und reichen
Blutstrom der christlichen Lebenskraft" (S. 25). Wie verbreitet
diese erfreuliche „evangelische" Tendenz einer gläubigen
Heimkehr zur Quelle des Wortes Gottes i6t, wird nicht zuletzt
daran deutlich, daß der Weltbund der Bibelgesellschaften im
Mai 1960 eine Regionalkonferenz in Grenoble halten konnte,
in deren Mittelpunkt die Erörterung der Rolle der Bibel im
heutigen Katholizismus stand. Das ist auch der Cantus firmus
der Ausführungen Charliers: „Wenn die Bibel Wort Gottes ist,
dann ist es klar, daß man sie lesen muß. Gott macht 6ich diese
Mühe nicht umsonst. Wenn wir wirklich an die Bibel glauben,
muß es uns schmerzen, wie gleichgültig die Menschen dieses Geschenk
hinnehmen" (S. 223).

Symptomatisch ist die neue Veröffentlichung aber auch für
den Geist, in dem die Bibel vom gläubigen Katholiken gelesen
werden soll. Charlier möchte nichts an der Knechtsgestalt, dem
„theandrischen Charakter" beschönigen, unter der Gottes Wort
zu uns kommt. Er bejaht deshalb die historisch-kritische Methode:
„Alles Menschliche hat im Christentum Bürgerrecht. Das 19. Jahrhundert
hat in das Kapitel der Menschheit namhafte Entdeckungen
aufgenommen, nämlich das Wissen um den Faktor Zeit und
um die Entwicklung" (S. 28). Nicht weniger als von der Liebe
zum Buch der Bücher ist der Verfasser von der Sorge beflügelt,
die heutige biblische Renaissance könne mit einem Mißtrauen
gegenüber der Wissenschaft Hand in Hand gehen. Gegen einen
solchen „biblischen Pietismus" (S. 23 ff.) macht er geltend, die
Kirche habe stets den Anspruch derer als widerlich empfunden,
welche die gesunden und rechtmäßigen Reaktionen des traditionellen
kirchlichen Sinnes mit ihrer eigenen kleinmütigen und
engstirnigen Haltung verquicken. Deshalb ist für ihn die Verbalinspiration
ebenso eine erledigte Sache (S. 209 ff.), wie er sich
von den Versuchen einer allegorischen Bibelauslegung distanziert:
„Der Literalsinn ist . . . der einzig wahre Sinn der Bibel .. . Ein
Buch hat nur einen einzigen Sinn: den, welchen sein Verfasser
hineingelegt hat" (S. 262). „Die tiefe christliche Bedeutung der
Heiligen Schriften ist im Inneren des Wortsinnes selbst zu suchen
" (S. 35). Man versteht aber einen Text in seiner letzten
Intention nur dann, wenn man die geistige Haltung, die ihn inspiriert
hat, wiederentdeckt; dazu bedarf es eines wirklichen
Eingehens in seine besondere Geistesart. Von daher ergibt 6ich
die Disposition des vorliegenden Werkes: Charlier will die intellektuellen
, moralischen und religiösen Voraussetzungen entfalten
, die für die rechte Bibellektüre unerläßlich sind. In dem
dem Buch vorgedruckten Einführungsschreiben des Bischofs von
Straßburg Jean Julien Weber wird das Problem 6o präzisiert:
„Wie kann man die Inspiration richtig erfassen, ohne den Satz
.Gott ist Autor der Bibel' zu verfälschen, und ohne doch auch
die Bibel von der Umwelt, in der sie entstanden ist, zu trennen?
Andererseits kann die Bibel als Wort Gottes keinen eigentlichen
Irrtum enthalten; denn Gott kann sich nicht irren, noch uns in
Irrtum führen. Wie kann nun diese Irrtumslosigkeit der Bibel
aufrechterhalten werden trotz gegenteiligen Anscheins?" (S. 6).
Charlier handelt in den verschiedenen Kapiteln zunächst von den
Handschriften und den Sprachen der Bibel, von den Quellen, der