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Ausgabe:

1961 Nr. 8

Spalte:

615-617

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Sundby, Olof

Titel/Untertitel:

Luthersk äktenskapsuppfattning 1961

Rezensent:

Hellsten, Stig

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 8

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rakter dieses Teils der unvollendeten Ethik B.s deutlich hervortreten
. Schon die Art der Begründung der Mandate (54) verleitet
zu einer ungeschichtlichen Betrachtung, die in dem von M.
besonders betonten Gedanken einer harmonisierenden Koordination
der Mandate (56), wie sie aus ihrer Grundstruktur als
Ordnungen der Stellvertretung gefolgert wird, besonders zutage
tritt. Ob aus der daraus abgeleiteten Zueinanderordnung tatsächlich
eine sinnvolle und fruchtbare „Soziologie unter dem Zeichen
der Versöhnung in Christus" (60) gewonnen werden kann,
muß bezweifelt werden. Nicht nur erkaufte sich die Soziallehre
ihre Universalität durch den Verzicht auf eine ernsthafte Auseinandersetzung
mit den Sozialwissenschaften (was hieße hier
noch Soziologie?), sie nähme auch der Wirklichkeit ihre geschichtliche
Tiefe und damit das, was sie als menschliche Wirklichkeit
ausweist. Diese Frage richtet sich natürlich auch an die
früheren Gedanken B.s. Indem M. die Grundlinien der theologischen
Arbeit B.s vorzüglich bloßlegt und behutsam erläutert,
trägt er bei zu einer Auseinandersetzung mit B., die nicht an
Schlagworten orientiert ist, sondern die christologische Struktur
seiner Ethik 6elbst zum Gegenstand hat.

Münster/Westf. Trutz Rendtorff

Sundby, Olof: Luthersk Äktenskapsuppfattning. En Studie i den
kyrkliga äktenskapsdebatten i Sverige efter 1900. Mit einer deutschen
Zusammenfassung. Stockholm: Svenska Kyrkans Diakonisty-
relses Bokförlag [19 59]. 343 S. gr. 8°. Sdiw. Kr. 2 5.—.

Die vorliegende Abhandlung will eine kritische Prüfung der
offiziellen kirchlichen Ehedebatte in Schweden nach 1900 im Vergleich
mit Luthers Eheauffas6ung vornehmen.

Sundby zeigt in seiner Abhandlung eine sehr gute Vertrautheit
mit dem Luthermaterial. Die einleitenden 100 Seiten über
Luthers Eheauffassung, auf denen die Aussagen Luthers über die
Ehe in einen theologischen Gesamtzusammenhang gestellt werden
, stellen eine gediegene Untersuchung dar, die von einer guten
Lutherkenntnis zeugt. Vor allem stellt der Verfasser die Betrachtungen
über die Ehe unter den Aspekt der Lehre von den zwei
Regimenten und unterstreicht, daß für Luther die Ehe der Welt
und dem weltlichen Leben zugeordnet ist, „eyn weltlich ding",
dessen Angelegenheiten zum weltlichen Regiment gehören und
weder etwas mit der Frage der Seligkeit zu tun haben noch von
den Verkündern des Evangeliums besorgt werden sollten. Luther
6ieht in der Art der Regelung von Ehefragen durch den Papst und
das kanonische Recht eine Vermischung von geistlichem und weltlichem
Regiment. Die Ausgestaltung der Ehe gehört für ihn zu
den Aufgaben der justitia civilis und ist als weltlicher Stand ein
in das Liebesgebot einbeschlossener göttlicher Auftrag. Als ein
öffentlicher Stand soll die Ehe öffentlich im Beisein von Zeugen
eingegangen werden. Für Luther ist die Ehe konstituierend, ebenso
wie im kanonischen Recht die öffentliche Konsensuserklärung:
consensus facit nuptias.

Mit Luthers Eheauffassung vor Augen geht der Verfasser —
nach einer kurzen historischen Übersicht über die verschiedenen
Eheauffassungen innerhalb der schwedischen Kirche von der Reformation
bis 1915 — über zu einer kritischen Prüfung der schwedischen
Ehegesetzgebung von 1915 und der kirchlichen Diskussionen
im Zusammenhang mit deren Zustandekommen, desgleichen
zu einer ausführlichen Untersuchung der Diskussionen der Reichskirchensynoden
nach der Jahrhundertwende über die Ehescheidung
und die Trauung von Geschiedenen. Sundby zeigt hier auf,
wie der Gebrauch der kritischen Funktion des „Wortes" im Verhältnis
zu Staat und Volksleben in einem hohen Grad ein negatives
Vorzeichen aufweist: die Synoden und die offiziellen Äußerungen
über die Ehe sind weniger geprägt von dem Willen, Wegleitung
und klare Richtlinien zu geben, als vielmehr von einer
unruhigen Diskussion über die zu fordernden Bedingungen für
eine kirchliche Trauung und einer empfindlichen Wachsamkeit
gegenüber allen Eingriffen in das Vorrecht der Kirche auf Vornahme
der rechtskräftigen Trauung. „Eine lutherische Kirche
sollte den Menschen mehr über das Leben in der Ehe zu sagen
haben, als daß sie sich nicht scheiden dürfen, und daß sie, wenn
sie es doch tun, beim Eingehen einer neuen Ehe nicht kirchlich
getraut werden können." Sundby belegt, daß die kirchliche Eheauffassung
des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts in auffallender
Weise von einer gesetzlichen Bibelauffassung geprägt
ist, die die Schrift zu einem äußerlichen Gesetz für das Leben
draußen in der Welt machen will und z. B. fordert, daß die Bergpredigt
bei der bürgerlichen Gesetzgebung zugrundegelegt werden
solle. Dort findet sich ebenfalls ein unlutheri6ches Unterscheiden
zwischen „kirchlich" und „bürgerlich" mit einer Tendenz, der
mit bürgerlicher Trauung eingegangenen Ehe jede christliche
Würde abzuerkennen. Dagegen zeigen die Diskussionen auf den
Synoden der letzten Jahrzehnte eine Entwicklungslinie, die sich
der reformatorischen Auffassung von Ehe und Trauung nähert.

Die Diskussion über Staat und Kirche in den Debatten um
die Trauung 6tellt Luthers Lehre von den Regimenten mitten
hinein in die modernen kirchenrechtlichen Problemstellungen.
In diesem Zusammenhange macht der Verfasser mit Schärfe geltend
, daß, solange der Staat eine rechte justitia civilis vertritt,
die Kirche sowohl mit dem Staat zusammenarbeiten als auch Aufgaben
auf dem zivilrechtlichen Gebiet übernehmen kann, wie
z.B. die Vornahme der rechtskräftigen Trauung. Er unterstreicht,
daß die Betonung dessen, daß Staat und Kirche zwei verschieden-
geartete „Rechtfertigungen" vertreten, als Gegenargument gegen
die Meinung aufgestellt werden muß, daß es falsch oder unglücklich
sei, wenn Staat und Kirche hier voneinander abweichende
Einstellungen hätten, welche sowohl von denen, die aus den Aussagen
der Bibel gesetzliche Bestimmungen für das bürgerliche
Gesetz machen wollen, als auch von den Fürsprechern der „Staats-
kirchlichkeit" verfochten wird.

Betreffs des ehekonstituierenden Momentes (das, was dye
Ehe zur Ehe macht) unterstreicht der Verfasser mit Recht, daß das
nach der lutherischen Eheauffassung die öffentliche Konsensuserklärung
ist. Man sollte dazu vielleicht betonen, daß, wenn
Luther forderte, die Konsensuserklärung solle öffentlich geschehen
, das nicht etwas Neues gegenüber dem römischen Standpunkt
bedeutete. Luther kritisierte dagegen stark die Unterscheidung
der kanonischen Juristen zwischen sponsalia de futuro und 6pon-
salia de prae6enti. Wenn aber Luther die sogenannten heimlichen
Verlobungen bekämpft, so kämpft er nicht gegen Rom, sondern
er kämpft einen volksmoralischen Kampf gegen Sittenlosigkeit
und vor allem — was der Verfasser verdienstvoll aufgezeigt hat
— gegen eine Auflösung der Elternautorität. Eine heimliche Verlobung
, ein heimliches Eingehen einer Ehe war ein Vergehen
gegen das vierte Gebot.

Die Abhandlung führt zu einigen kurzen Andeutungen über
den Fragenkomplex der kirchenrechtlichen Stellung der Ehe, wobei
die energische Zuordnung des Kirchenrechts zum Gebiet der
justitia civilis durch den Verfasser mit Genugtuung zur Kenntnis
genommen werden kann. Das Kirchenrecht hat, wie der Verfasser
hervorhebt, keine direkte Relation zum Evangelium und zur
justitia actualis, und als Recht besitzt es keine von der übrigen
Gesetzgebung verschiedene Qualität. Die Aufgabe der Kirche in
den Ehefragen besteht nicht darin, daß sie versuchen soll, eine
Art kirchenrechtlicher Ehe im Unterschied zu einer Ehe des bürgerlichen
Rechtes zu fixieren, sondern in der Übernahme der
Verantwortung für die Ehe auf der zivilrechtlichen Ebene, unter
anderem durch die kirchliche Trauung. Die Kirche soll nicht nur
die christliche Botschaft in ihrer ganzen Fülle predigen, sondern
auch als ihre Aufgabe ansehen, mitten in der Gesellschaft, so wie
sie ist, dem Staate bei der Verwirklichung der Aufgabe, die er in
christlicher Sicht hat, zu helfen, das bedeutet auf der vorliegenden
Basis, die Eheverhältnisse zu ordnen.

Über diese Frage würde man gerne mehr hören. Von den
Positionen aus, die der Verfasser aufgebaut hat, müßte man sie
mit erheblichem aktuellen Material ausführlich weiterführen
können. Es wäre von größtem Wert, wenn der Verfasser hier seine
Forschungen fortsetzen würde. Vor allem wäre es wertvoll, näher
prüfen zu können, in welchem Ausmaß sich die im Schlußkapitel
aufgestellte These halten läßt: „Vom prinzipiellen reformatorischen
Gesichtspunkt aus betrachtet, muß der Begriff .kirchenrechtliche
Ehe' einen Widerspruch in sich selbst bedeuten."
Die These ist stichhaltig, soweit sie das Material der vorliegenden
Abhandlung betrifft, nämlich die aktuelle schwedische Ehedebatte
. Läßt sie sich aber ohne weiteres überall anwenden? Es
kann geschehen, daß der Staat im Hinblick auf die Ehe etwas der
kirchlichen Auffassung so diametral Entgegengesetztes will, daß
die Kirche ein eigenes Kirchenrecht für Ehefragen aufstellen muß.