Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1961 Nr. 8

Spalte:

606-607

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Keilbach, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Einübung ins philosophische Denken 1961

Rezensent:

Schmidt, Erik

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

605

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 8

606

ist nicht durch sich selbst" (192). Weil Gott tot war, mußte die
Welt ewig sein. Verfasser weist daher mit Recht darauf hin:
wenn die biblische Gottesauffassung für den modernen Menschen
nicht mehr besteht, dann müssen sich mit Nietzsche die alten
naturphilosophischen Fragen neu ergeben. In einer knappen
Gegenüberstellung werden diese Fragen alternativ formuliert,
wie Nietzsche sie sich selbst gestellt hat, nachdem ihm die theologischen
Antworten zerbrochen waren. Verfasser ist dabei allerdings
nicht der Frage nachgegangen, warum diese theologischen
Antworten zerbrechen mußten und ob nicht trotzdem das christliche
Kerygma zu diesen Fragen auch heute noch eine Antwort bereit
haben kann. Die Fragen werden als solche auch weiterhin
für ein glaubensloses Denken bestehen bleiben. Allerdings müßte
kritisch hier vermerkt werden, daß diese Alternativen keineswegs
überzeugen, weil hierbei der christliche Gottesglaube philosophisch
eingeengt ist. Wir erwähnen daher diese 8 Thesen, ohne
ihrer inneren Logik zuzustimmen:

1. daß es ausschließlich auf das Sein der Welt ankommt — wenn
der Glaube an Gott als den Schöpfer der Welt nicht mehr
lebendig ist;

2. daß das Sein dieser immer schon seienden Welt eine aus sich
selber bewegte, ursprüngliche Physis ist — wenn das Sein nicht
wunderbarer Weise aus dem Nichts entspringt;

3. daß die physische Welt ewig ist — wenn sie keinen ursprünglichen
Anfang und kein zielvolles Ende hat;

4. daß die Ewigkeit einer immer-seienden physischen Welt eine
ewige Zeit ist — wenn sie nicht die zeitlose Ewigkeit eines
überweltlichen und übernatürlichen Gottes ist;

5. daß der Mensch von Natur und von der Welt ist — wenn er
nicht eines übernatürlichen und überweltlichen Gottes geschaffenes
Ebenbild ist;

6. daß die Frage nach dem Verhältnis des immerwährenden
Seins der physischen Welt zu dem endlichen Dasein des Menschen
nicht zu umgehen ist — wenn die Antwort auf das Verhältnis
von Mensch und Welt nicht schon durch den Glauben
an die gemeinsame Schöpfung und Zuordnung von Welt und
Mensch durch Gott gegeben ist;

7. daß der Zufall alles faktischen Da-seins notwendig Problem
wird, wenn der Glaube an die Vorsehung und deren saekula-
risierte Formen nicht mehr glaubwürdig ist;

8. daß das Rätselhafte des Zufalls „Mensch" keine Lösung findet
, wenn der Mensch nicht in das ewige Ganze des von
Natur aus Seienden eingefügt ist.

In dieser mit letzter Radikalität aufgezeigten Problematik
hat Nietzsche es erfahren, was es heißt, aus der Entscheidung
gegen Gott ,,in die absolute Kontingenz der modernen, weltlichen
Existenz" zu fallen (193).

Verfasser schließt mit einer guten kritischen Darstellung
der neueren Arbeiten über Nietzsche, soweit sie sich mit der
Lehre von der ewigen Wiederkehr befassen, von L. Andreas-
Salome über Bertram, Baeumler bis hin zu Jaspers und Heidegger
(von 1894 — 1954). Er zeigt, daß z. B. Baeumler zugunsten eines
,,heroischen Realismus" diese Lehre als einen erratischen Block
wegerklärt hat (213 f.).

Im Rückblick auf die gesamte Arbeit ist deutlich geworden,
warum sie 1934 nicht hat in Erscheinung treten dürfen. Verfasser
zeichnet sehr scharf die antichristliche Grundhaltung
Nietzsches nach und weist sehr eindrücklich auf die innere Un-
gelöstheit dieser neuen Erlösungslehre hin. Während in der damaligen
Zeit schon die antichristliche Haltung eines „Philosophen
" ihn schon positiv empfahl, ist der Arbeit deutlich zu entnehmen
, daß es unmöglich ist, den hereinbrechenden Nihilismus
mit Hilfe einer immanenten Seinslehre zu überwinden. In dem
Bemühen, „aus dem endlichen Nichts des sich selber wollenden
Ich in das ewige Ganze des Seins zurückzufinden", ist Nietzsche
schließlich dahingekommen, daß er sich selbst mit Gott verwechselt
hat (14) und er im Wahnsinn an sich selber glaubte
(31). Die Arbeit bestätigt die kritische Grundhaltung des Verfassers
: „Nietzsche sieht uns heute anders an als vor fünfzig
Jahren, als sein Ruhm und 6eine Wirksamkeit im Aufstieg waren.
Er steht uns noch nahe und er ist schon entfernt. Manche seiner

Vorhersagen über die Zukunft Europas haben sich, obschon auf
unvorgesehene Weise, erfüllt, und zu ihrer Zeit unerhört gewesene
Aussagen sind zu Gemeinplätzen geworden, innerhalb
derer sich alles gegenwärtige Denken bewegt" (11).

Der Mensch hat heute eine Verantwortung für die ganze
Welt. In dieser hat er erkannt, daß er nicht ausgeliefert sein kann
an eine Welt, die ihr Spiel mit dem Menschen ad infinitum treibt
und daß er eingeschlossen ist in einen „Ring des Seins", in dem
es nur die ewige Wiederkehr gibt (94).

Die Stunde des „Mittags", die Nietzsche für die Menschheit
so berauschend preist (94), ist im Grunde das Eingeständnis
einer großen Hoffnungslosigkeit, die heute mit Recht in neuer
philosophischer und theologischer Sicht überwunden werden muß.

Eisenadi Heinz Erich E i se n hu t Ii

K e i 1 b a c h, Wilhelm, [Prof. Dr. Dr.]: Einübung ins philosophische Denken
. München: Hueber 1960. 180 S. 8°. Kt. DM 7.80; Lw. DM 9.80.

Im Gegensatz zu manchen Einleitungen in die Philosophie,
die entweder nur eine Einführung in ein bestimmtes philosophisches
System oder ein Überblick über die Grundprobleme der
Philosophie oder eine geschichtliche Orientierung sind (11 ff.),
möchte der Verf. hier eine Einübung in das Philosophieren
geben (14), also mit „LIneingeweihten" in ein Gespräch über die
Philosophie kommen (7). Dies geschieht in 10 Kapiteln, die folgende
Themen behandeln: Das Philosophieren überhaupt (11 f.),
die Philosophie im Allgemeinen (20 f.), die philosophischen Fächer
(3 8 f.), das Schicksal der Philosophie in ihrer Geschichte von
den Anfängen bis zur heutigen Existentialphilosophie (5 8 f.),
das philosophische System (104 f.), die christliche Philosophie
(113 f.), die scholastische Philosophie (125 f.), Thomas und der
Thomismus (146 f.), endlich die moderne Philosophie und das
Spezialistentum (161 f.).

Der unübersehbare Stoff wird vom Verf. mit bemerkenswertem
pädagogischen Geschick gesichtet, ausgewählt und gemeistert
. Die Sprache ist von einer seltenen Klarheit und Verständlichkeit
, fremde Begriffe werden mit Geschick erläutert, so daß
wirklich jeder einigermaßen Gebildete mitkommt. In den ersten
Kapiteln ist das Buch in der Tat eine Einübung in das philosophische
Denken, im Fortgang aber, und besonders vom 8. Kapitel
an, immer mehr eine Einübung in ein spezifisch katholisches
Philosophieren! Polemik wird möglichst vermieden, Gegensätze
werden nach Möglichkeit gemildert oder verwischt, aber die
apologetische Tendenz ist im Ganzen und Einzelnen um so deutlicher
. Diese Apologetik ist manchmal wenig überzeugend, so
liebenswürdig sie auch vorgetragen wird; so z.B. bei der Erörterung
der Frage, ob die Philosophie die Magd der Theologie sei
(34 f.) oder bei dem Problem, ob es für einen Katholiken und
vor allem für einen katholischen Philosophen im Hinblick auf
die Lehrentscheidungen der Kirche auch in metaphysischen Fragen
noch eine Freiheit des Denkens gibt! (152 f.) Hier und sonst
werden die Argumente des Verfs. einen Nichtkatholiken schwerlich
überzeugen können.

Pädagogisch besonders geschickt scheinen uns die Ausführungen
über den Begriff der Philosophie (21 f.), über den Begriff
der Metaphysik (46 f.) und über das philosophische System
(98 f.). Treffend sind das Kapitel über die moderne Phänomenologie
(87 f.) und die etwas ironisch gehaltene (96!) Darstellung
der Existentialphilosophie (90 f.). Auch das Kapitel über das
moderne Spezialistentum erscheint bemerkenswert (161 f.). Weniger
geglückt ist das Kapitel über die philosophischen Fächer
(38 f.), das allzu fragmentarisch und einseitig ist. Und der sehr
breite Raum, der dem Thomismus und der Scholastik gewidmet
wird (125 ff.), ist im Rahmen einer so knappen Darstellung
überhaupt nicht gerechtfertigt. Während sehr wichtige Probleme
der Philosophie auf diese Weise unberücksichtigt bleiben, erscheint
das Ziel der ganzen Einübung in das philosophische Denken
nun ein freilich sehr milder Thomismus zu sein! Diese
apologetische Tendenz des Buches ist um der Sache willen zu bedauern
und dies um so mehr, als weite Partien des Buches betont
sachlich gehalten sind. Der evangelische Theologe wird bei
der Lektüre dieses Buches wiederum sehen, wie eng im Katholizismus
Theologie und Philosophie verbunden sind, und es dürfte