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Ausgabe: | 1961 Nr. 8 |
Kategorie: | Christliche Kunst und Literatur |
Titel/Untertitel: | Neuerscheinungen |
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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 8
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Anschauung alle Menschen umfassen könnte. Schließlich und endlich
bleibt es eine völlig andere Frage, mit welchen poetischästhetischen
Mitteln Tolstoj alle diese Einflüsse in seinen Werken
verarbeitet hat. Die letzteren aufgewiesen und damit einen sehr
wesentlichen Beitrag zur Tolstoj-Forschung wie zur Geistesgeschichte
de6 19. Jahrhunderts überhaupt geleistet zu haben,
bleibt das Verdienst dieser detaillierten Untersuchung.
Halle/Saale Kon rad O n a s c h
Ziolkowski, Theodore: Heinrich Boll und seine Dichtung.
Universitas 15, 1961 S. 507—516.
PHILOSOPHIE UND HELIGIONSPH1LOSOPH1E
L ö w i t h, Karl: Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des
Gleichen. Stuttgart: Kohlhammer [1956]. 244 S. 8°. Lw. DM 18.80.
Als Karl Löwith 1934 zum ersten Mal Nietzsches Philosophie
von seinem letzten Grundgedanken der ewigen Wiederkehr
des Gleichen her darstellte, waren die 50 Jahre um, von denen
der Philosoph 1884 meinte, sie würden dann ein neues Verständnis
seines Denkens ermöglichen. Um diese Zeit erschienen in der
Tat viele Arbeiten über Nietzsche. Aber Löwiths Untersuchungen
hatten unter den politischen Verhältnissen, in denen „mit
dem Hammer philosophiert wurde" und die zu einer Nietzsche-
Karikatur gelangten, keine Verbreitung gefunden (11, 227).
Deshalb ist es gut, daß diese Arbeit, die ihren kritischen Maßstab
dem Werke Nietzsches selbst entnimmt, neu herausgekommen
ist. Obwohl es sich bei Nietzsches Philosophie um ein
,,System in Aphorismen" handelt, hat sich Verfasser doch darum
bemüht, trotz der beiden großen Wandlungen eine innere Einheit
herauszuarbeiten. Er gewinnt dieses einheitliche Verständnis
der gesamten Entwicklung von der letzten Stufe her.
Die erste Periode ist bestimmt durch die Wagner-Begeisterung
. Sie endet mit dem völligen Bruch. In der zweiten Periode
entdeckt Nietzsche nach dem „Du sollst" das „ich will". Aus dem
abhängig Lernenden wird er der freie Geist, der „an gar nichts
mehr glaubt" (26). In der dritten Periode wird er zum Lehrer
der ewigen Wiederkehr. Er erkennt in dieser seiner eigentlichen
Philosophie „keinen Gott und keinen Menschen mehr über sich
an" (27). Von dieser Philosophie des „Mittags" her erscheint
ihm seine frühere Erkenntnis als eine „Philosophie der Morgenröte
".
Mit dieser Philosophie der ewigen Wiederkehr will er den
extremen Nihilismus, zu dem er gelangt war, überwinden.
Früher hatte er nur ein Nein gegenüber aller Modernität mit
ihrer christlich gebundenen Wertsetzung. Diesem Nein stellt er
jetzt das neu gewonnene Ja zum ewigen Kreislauf der Dinge entgegen
. Diese letzte Philosophie steht unter dem Namen des
Dionysos. Seine Neuentdeckung gegenüber der gesamten christlich
-abendländischen Kultur beruht auf einer Wiederentdeckung
des antiken Welt- und Menschenverständni6ses.
Die drei Stufen sind gekennzeichnet durch die drei Erkenntnisse
: Du sollst, Ich will, Ich bin. Diese Periodisierung
nach einer zweifachen Wandlung nimmt aber am Ende den Anfang
wieder auf, indem diese Rückkehr aks „eine Wiederholung
des Problems der Geburt der Tragödie" bezeichnet wird. Der
Wille zum Nichts wird zum „Willen des Seins und der ewigen
Wiederkehr des Gleichen" (30). In dem dritten Kapitel des
Buches wird dieser einheitsstiftende Grundgedanke für Nietzsches
Gesamt-Philosophie mit großer Gründlichkeit nachgewiesen
. Zum ersten Mal wird hier der Versuch unternommen,
von dem eigentlichen Ziel Nietzsches her sein gesamtes Denken
zu begreifen. Auf der zweiten Stufe befreit 6ich der Mensch von
dem göttlichen „Du sollst". Der Tod Gottes ist das Prinzip des
Willens, der sich im Menschen selber will. Mit dem Sterben
Gottes erfährt der Mensch seine Auferstehung. Aber aus dem
Tod Gottes entspringt zunächst der Nihilismus bei Nietzsche.
Die Bewegung des Denkens geht daher weiter von dem „Ich
will" zu dem „Ich bin" und schließlich zu dem Willen zur
ewigen Wiederkehr. Die Voraussetzung für diese Lehre liegt
aber in dem Willen zum Übermenschen; denn der Mensch, der
sich selbst überwunden hat, kann auch die ewige Wiederkehr
alles Seienden wollen (5 9). Diese seine Lehre ist „die extremste
Form des Nihilismus" und zugleich seine Selbstüberwindung
, weil sie „die Sinnlosigkeit eines ziellos wiederkehrenden
Daseins wahrhaben will" (60). In die6cr Lehre liegt die „Krisis"
des Nihilismus (67).
Nachdem die bisherigen Zielsetzungen für den modernen
Menschen ihren Wert verloren haben, will Nietzsche mit seiner
Lehre ein neues Ziel setzen. Die ewige Wiederkehr ißt nicht ein
„periodisch in sich zurücklaufendes, zielloses Kreisen" (80), sondern
ein neues Wozu (88). Dieses Ziel kommt nicht aus einer
„Hinterwelt", sondern liegt auf der Linie einer Fortsetzung des
eigenen Menschseins, in dem Willen zum Übermenschen. Gegenüber
dem schwachen 19. Jahrhundert, das unfruchtbar war, will
Nietzsche mit seiner Lehre eine „ethische Zuversicht" erwecken,
nämlich die Verantwortlichkeit für die Zukunft (89).
Neben dieser anthropologischen Bedeutung wirkt sich die
neue Lehre auch kosmologisch aus. An die Stelle des Schöpfergottes
tritt die Lehre, daß in jedem Augenblick Anfang und
Ende zugleich ist, ein beständiger Wandel des Gleichen. In diesem
ethischen Bemühen will Nietzsche den Menschen wieder
zurückbinden „an das natürliche Ganze der Welt", in dem er,
wie die Kritiker mit Recht behaupten, den christlichen Gottesglauben
durch seinen Glauben an die moderne Naturwissenschaft
ersetzt hat (98).
Als er aber den „Mittag" seines Denkens erfuhr, umfing
ihn zur Zeit der größten Helle schon die Nacht. Der Wahnsinn
steht am Ende seines Lebens, nicht ein „letzter Wille" und
„keine höchste Selbstbesinnung". Er ist durch den Wahnsinn befreit
worden von dem Wahn, Europas oder der Menschheit
Schicksal zu entscheiden (112).
Indem er über das Christentum hinausweist, greift er auf die
Antike zurück. Er sieht in Dionysos das Gegenbild zu dem Gekreuzigten
, weil dieser in entgegengesetzter Weise das Leid und
den Tod überwindet. „Die neuen Quellen der Zukunft" liegen
für ihn in der Welt vor dem Christentum (124).
Als Nietzsche zum Lehrer der ewigen Wiederkehr geworden
war, lehrte auch er eine Wiedergeburt, aber im Gegensatz zum
Christentum eine Wiedergeburt „zum immer gleichen Leben der
Welt", die als ein ewiger Kreislauf in ihrem Werden auf sich
selber zurückkommt (127).
Die Entdeckung Nietzsches von dem vorchristlichen, antiken
Weltverständnis wird von dem Verfasser im Zusammenhang
mit der modernen Philosophie betrachtet und gewürdigt. Descar-
te6, auch ein Zweifler am christlichen Gottesglauben, hatte den
Menschen von der Kirche befreit (143). Kant geht einen Schritt
weiter und interpretiert die Gebote nicht mehr vom christlichen
Glauben aus, sondern allein durch die praktische Vernunft. Die
Linie wird weiter verfolgt über den deutschen Idealismus bis zu
Max Stirner und dessen heftigen Kritiker Karl Marx.
Verfasser zeigt in dem vorletzten Abschnitt, daß die Lehre
von der ewigen Wiederkehr zweideutig ist. „Sie bedeutet eine
welthafte Wiederkehr des Gleichen und eine eigene Wiederholung
des Selben" (161).
Nietzsche will die Welt. Er wendet sich gegen die christliche
„Hinterwelt" und sieht nicht, daß auch das antike Weltverstehen
eine andere Art von „Hinterwelt" bedeutet. „Der ,neue Kolumbus
' hat sich bei der Umsegelung der geistigen Welt in der Richtung
getäuscht und ist am Ende — nur von der andern Seite
her — wieder dorthin zurückgelangt, von wo ihn sein Wille
hinwegführen sollte. Ist seine Welt also noch einmal jene im
Rücken gelassene .Hinterwelt' "1 (179).
Nietzsche will die Erlösung predigen vom Erlösergott der
Christen. Aber am Ende hat er selbst gehofft, daß ihm jemand
seine „ .Wahrheiten' unglaubwürdig mache" (198). Über den
Grundwiderspruch in seiner Lehre ist er nicht hinausgekommen:
Der Zwiespalt zwischen dem endlichen Dasein des wollenden
Menschen und dem ewigen Sein der sich selbst wollenden Welt.
Die Lehre von der ewigen Wiederkehr ist für die moderne
Wissenschaft unannehmbar. Aber Nietzsche mußte sie um des
Menschen willen vertreten. Eine Lehre vom Menschen ist bodenlos
, „wenn sie nicht entweder einen meta-physischen Gott, oder
die Physis der Welt zum tragenden Grund hat; denn der Mensch