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Ausgabe:

1961 Nr. 1

Spalte:

37-38

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Théologie du judeo-christianisme 1961

Rezensent:

Schubert, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 1

38

NEUES TESTAMENT

D a n i c 1 o u, Jean, S. J., Prof.: Theologie du Judeo-Christianisme.

Tournai: Desclee & Cie. [1958]. IV, 457 S. gr. 8° = Bibliotheque de
Theologie. Histoire des doctrines chretiennes avant Nicee, Vol. I.

Das erste Kapitel behandelt die Quellenlage und ist in zwei
Abschnitte unterteilt: L'heritage litteraire de Judeo-Christianisme,
und Le Judeo-Christianisme heterodoxe, S. 17—98. Das Judenchristentum
definiert D. S. 18 als Christentum in den äußeren
Formen des sogenannten Spätjudentums. Seine Aufgabe bestimmt
er S. 20 damit, daß er versucht, für das orthodoxe Judenchristentum
dieselbe Arbeit zu leisten, die H. J. Schoeps für das heterodoxe
Judenchristentum getan hat. Zutreffend ist seine Feststellung
S. 21, daß das Judenchristentum der apokalyptischen Richtung des
sog. Spätjudentums folgt. Als dafür typische Werke erwähnt D.
die Himmelfahrt des Isaias, II. Henoch und die Testamente der
12 Patriarchen.

Mit M. de Jonge, The Testaments of the Twelve Patriarchs,
Assen 1953, nimmt D. an, daß die Test 12 ein judenchristliches
Werk seien, das ältere jüdische Vorlagen benützt hätte. Diese
These de Jonges findet für D. eine Bestätigung durch die Qumrän-
Funde, da in Qumrän aramäische Fragmente eines Test Levi gefunden
wurden. Dieses ist zwar nicht identisch mit jenem aus der
Sammlung der Test 12, in beiden finden sich aber dieselben Gedanken
. Die judenchristliche Redaktion der Test 12 ist für D.
knapp nach 70 n. Chr. anzusetzen. Das religiöse Milieu der Test 12
sei das eines bekehrten Esseners. Dieselbe These vertritt D. auch
in seinem Buch „Qumrän und der Ursprung des Christentums",
Mainz 1958, 152—157. D. leugnet zwar nicht den essenischen
Charakter der Quellen der Test 12, glaubt aber, daß es sich bei
den Test 12 „nicht um ein essenisches nur christlich bearbeitetes,
sondern um ein christliches Werk handelt, das unter dem Einfluß
einer in Qumrän üblichen literarischen Gattung 6tand" (Qumrän
.. . S. 15 5). Diese These D.s scheint nicht ganz gerechtfertigt zu
sein, weil nicht nur das Test Levi, sondern auch die übrigen Testamente
aus der Sammlung deT Test 12 Lehren aufweisen, die für
Qumrän nicht nur typisch, sondern sogar spezifisch sind (vgl.
K. Schubert, WZKM 53 (1957), 227-236). Für den Zusammenhang
des D.sehen Buches jedoch ist die Frage von zweitrangiger
Bedeutung, ob hier jüdisch-essenische Texte christlich redigiert
und bearbeitet oder jüdisch-essenische Gedanken christlich verwertet
wurden.

Nachdem D. S. 28—30 die Probleme der juden-christlichen
sibyllinischen Orakel untersucht hatte, wendet er sich S. 31—38
den ntl. Apokryphen zu. Im weiteren Verlauf des Kapitels werden
noch die Didache, die Oden Salomos, der Barnabasbrief, der
Hirt des Hermas, die Briefe des Ignatius von Antiochien und der
Klemensbrief behandelt. Es muß bei der Behandlung aller Abschnitte
dieses ersten quellenkundlichen Kapitels hervorgehoben
werden, daß ein wesentliches Kriterium für D., eine Schrift dem
Judenchristentum zuzuordnen, ihre ideengeschichtliche und terminologische
Verwandtschaft mit dem Qumran-Essenismus dai-
stellt. Er stützt sich dabei vor allem auf die diesbezüglichen Arbeiten
J. P. Audets. Die Tatsache, daß auch nicht in Palästina
entstandene Schriften essenische Theologumena enthalten, beweist
, daß sich der essenische Einfluß auch auf die jüdische oder
judenchristliche Diaspora erstreckte, worauf D. auch in seinem
Buch über Qumrän und der Ursprung des Christentums, S. 158 ff.
hingewiesen hat. Auf die Durchsetzung der Diaspora mit essenisch-
qumranischen Gedanken machte in dankenswerter Weise auch
David Flusser in nYlJtÄn STltT "mn na.in J.Liver, mV^na D*W3>
iT-nrr1 13*1»! Jerusalem 1957, S. 100 ff. aufmerksam.

Iir. zweiten Abschnitt über das heterodoxe Judenchristentum
(S. 67—98) behandelt D. zuerst die Ebioniten, wobei er mit Recht
darauf hinweist, daß der Name vom hebr. yTOK kommt und daß
Beziehungen zum Essenismus bestehen. Mit O. Cullmann hält
er die Ebioniten für „Esseniens rallies ä la personne du Christ
apres la chute du Temple" (S. 76). Nach der Darstellung des
Ebionitismus folgen kurze Abschnitte über den Elkesaismus,
Cerinth, die samaritan.-christl. Gnosis (Dositheos, Simon Magus),
die ägyptischen Gnostiker und Karpokrates und seine Sekte. Es

ist vielleicht nach dem gegenwärtigen Stand der Qumran-For-
schung noch zu hypothetisch, wenn D. S. 82 der von den antiken
Autoren vertretenen Auffassung zustimmt, daß die Ursprünge
der gnostischen Bewegung im Christentum auf eine jüdische
Gnosis zurückzuführen seien. Der Rezensent vertritt zwar auch
die Anschauung, daß es eine vorchristliche jüdische Gnosis gibt,
ist sich aber dessen bewußt, daß diese wegen ihres monotheistischen
Charakters nicht ohne weiteres in einen Rahmen mit den
absolut-dualistischen gnostischen Systemen der frühchristlichen
Zeit gestellt werden kann (vgl. Kurt Schubert, Die Gemeinde vom
Toten Meer, München 195 8, S. 62—69). Trotzdem sind die Ausführungen
D.s S. 8 2 ff. 6ehr beachtenswert, die auf Dositheos als
Verbindungsglied von der jüdischen Heterodoxie zur Gnosis hinweisen
. Trotz der tatsächlichen Ähnlichkeiten zwischen manchen
Berichten über Dositheos und spezifischen Qumranlehren, besonders
in der messian. Verwertung atl. Zitate, geht es vielleicht
doch zu weit, wenn D. S. 84 von „une sorte d'essenisme 6amari-
tain" spricht.

In den weiteren Kapiteln seines überaus interessanten Buches
behandelt D. das geistige Milieu des Judenchristentums
(Exegese, Apokalyptik), seine Lehren (Trinität, Angelologie,
Namen des Sohnes Gottes, Inkarnation, Erlösungslehre, Mysterium
Crucis, Kirche, Chiliasmus) und Institutionen (Taufe, Eucharistie
, Gemeinde, persönliche Heiligkeit). Das Buch D.s rechtfertigt
voll und ganz den auf dem Schutzumschlag angegebenen
Untertitel „Visage inconnu de l'eglise primitive". D. gehört zu
jener Gruppe von Gelehrten, die es wagen, eine — stellenweise
auch hypothetische — Gesamtschau in einem faszinierenden Überblick
darzubieten. Dafür muß ihm jeder Leser dankbar sein, denn
er wird angeregt, manchmal allerdings auch zum Widerspruch.

Wien Kurt Schubert

Stauffer, Ethelbert: Die Botschaft Jesu damals und heute. Bern:
Francke [1959]. 215 S. kl. 8° = Dalp Taschenbücher Bd. 333. sfr./
DM 3.80.

Nach „Jesus, Gestalt und Geschichte" (vgl. ThLZ 1958,
837ff.) und „Jerusalem und Rom" legt St. nun den 3. Band seiner
Trilogie vor. War er früher der Meinung, daß der Neutestament-
ler seinen Dienst getan habe, sobald er zum „factum nudum"
durchgestoßen und dabei „in die Entscheidung gezwungen" sei,
danach aber der Systematiker und Praktiker zu beginnen hätten
(Theologie und Liturgie, 1952, 105), so steigt St. nun selbst in
diese Arbeit ein, denn das vorliegende Buch will im Dienste der
„Verkündigung der Botschaft Jesu von Nazareth zu allen Zeiten
und an allen Orten" stehen (7). St. fragt, ob inmitten der „Hochblüte
des amtlichen Verbrechertums in den letzten Jahrzehnten"
(7) Jesus „eine Botschaft für uns" (8) habe. Diese liegt uns nun
freilich nicht einfach im NT vor; sie muß vielmehr kritisch erhoben
werden. „Jesus stand völlig allein in seiner Zeit, sternen-
einsam in seinem Volk" (10). Schon zu seinen Lebzeiten begann
die Rejudaisierung seiner Botschaft. Diese rückgängig zu machen
ist „gewiß nicht die einzige Aufgabe der Evangelienforschung,
aber im Augenblick vielleicht die wichtigste" (10), zumal die
Qumrantexte hier einen erheblichen Hilfsdienst leisten können.
Aus dem ganzen Komplex der Verkündigung Jesu wählt St. dann
einen aus, „die Botschaft von der neuen Moral", weil die hier
behandelten Probleme nicht nur in unseren, sondern auch in Jesu
Augen die wichtigsten sind (11).

Das 1. Kap. behandelt „Jesus und die Qumranbewegung". St. zeigt
in 22 Punkten den „mörderischen Gegensatz" (16) zwischen beiden.
Da nun die philoqumranischen Elemente im Laufe der Jahrzehnte häufiger
werden, sind sie auf das Konto der Urgemeinde zu setzen; die anti-
qumranischen gehen auf Jesus zurück. — Erstaunlich ist nur, daß diese
sich bei der Stemeneinsamkeit Je6u, der Anfälligkeit für Qumrän schon
im vorösterlichen Jüngerkreis und den Qumranisierungstendenzen der
Urgemeinde in so außerordentlich breitem Umfang erhalten haben, wie
St. sie herausarbeitet.

Im 2. Kap. („Moral ohne Gehorsam") wendet St. sich leidenschaftlich
gegen eine Gehorsamsethik. Sie ist eine jüdische und qumranische
Idee. Jesus hat den Begriff Gehorsam nie verwandt. (Auch nicht die
Sache? Nach St. zerreißt Jesus alle Bindungen der Menschen, die „seinem
Willen und Befehl" (!) im Wege sind. 31) — Paulus jedoch „schwelgt"
in rabbinischer Gehorsamsterminologie (18), knüpft damit an die Linie
von Mose bis Gamaliel wieder an. (Ob man das wirklich so formulieren