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Ausgabe:

1961 Nr. 8

Spalte:

583-584

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Aistleitner, J.

Titel/Untertitel:

Die mythologischen und kultischen Texte aus Ras Schamra 1961

Rezensent:

Meyer, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 8

584

Leser dankbar sein. Besonderer Dank aber sei allen Mitarbeitern
und besonders Friedrich Heiler gesagt für diese Art von Religionsdarstellung
auf der Grundlage echter Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit
.

Jena Theodor Lo b ma n n

Frank. Ridiard M.: The Literary Unity of sürat al-munäfiqin (63).
The Catholic Biblical Quarterly XXI11. 1961 S. 257-269.

ALTER ORIENT

V, A i s 11 e i t n e r, J. (f): Die mythologischen und kultischen Texte aus
Ras Schamra übers. Budapest: Akademiai Kiadö 1959. 113 S. gr. 8°
= Bibliotheca Orientalis Hungarica VIII. Lw. DM 15.—.

Obwohl der Deutsche Hans Bauer zu den Pionieren bei der
Entzifferung der alphabetischen Tontafeltexte von Ugarit gehörte
, mußte seit ihrem ersten Bekanntwerden im Jahre 1929 ein
Menschenalter vergehen, bis — abgesehen von Einzeluntersuchungen
— eine deutsche Übersetzung derjenigen größeren Texte erschien
, die ein weiteres Interesse beanspruchen dürfen.

Verf., selbst durch eine Reihe von Einzeluntersuchungen auf
ugaritologischem Gebiete ausgewiesen — es 6eien nur seine
„Untersuchungen zur Grammatik des Ugaritischen" (= BAL 100,
Heft 6, 1954) angeführt —, konnte folgende Bearbeitungen benutzen
: die hebräisch kommentierte Ausgabe von H. L. Ginsberg,
The Ugaritic Texts, Jerusalem 1936; ferner dessen englische
Übersetzung der meisten mythischen Texte in: J. B. Pritchard,
Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament,
Princeton 1950, S. 129—155, wozu jetzt die 1955 erschienene
zweite Auflage nachzutragen wäre; außerdem C. H. Gordon, Ugaritic
Literature. A Comprehensive Translation of the Poetic and
Prose Texts, Rom 1949, und G. R. Driver, Canaanite Myths and
Legends, Edinburgh 1956.

Bei der Schwierigkeit, die ugaritischen Texte zu interpretieren
, versteht es sich von selbst, daß Verf. nicht in jedem Falle
die Anschauungen seiner Vorgänger übernehmen konnte und
sich mitunter gezwungen sah, „die eigenen subjektiven Auffassungen
in den Vordergrund zu stellen" (S. 5). Es bedarf nicht besonderer
Betonung, daß damit auch der weiteren Forschung mitunter
neue Impulse gegeben werden.

Rein äußerlich gesehen, ist das Buch so angelegt, daß es auch
den Fernerstehenden zur Lektüre anreizt und ihm ein Bild von
der bisher zugänglichen ugaritischen Literatur vermittelt. In einer
Einleitung (S. 7—10) behandelt Verf. zunächst kurz die religionsgeschichtliche
Bedeutung der Texte sowie ihren stilistischen
Charakter und ästhetischen Wert. Den einzelnen Übersetzungen
sind jeweils sehr instruktive Bemerkungen vorausgeschickt, die
das Verständnis der Dichtungen außerordentlich erleichtern.
Kurze sprachliche Erläuterungen (S. 109 f.) und ein Publikationsnachweis
der Texte (S. 111) schließen das Ganze ab. Zur Zitierweise
der Texte wäre anzumerken, daß der Leser, der den Originaltext
danebenlegen möchte, im allgemeinen auf C. H. Gordons
Standardwerk: Ugaritic Manual, Rom 1955, oder auf die
vorhergehende Auflage: Ugaritic Handbook, 1947, angewiesen
ist. Es wäre also für eine zweite Auflage dringend erwünscht,
C. H. Gordons Textbezeichnungen, die im folgenden in Klammern
gesetzt bzw. an zweiter Stelle erwähnt sind, mit anzuführen
.

Den größten Raum nehmen naturgemäß die Ba'al-Texte ein
(S. 11—62). Sie werden in folgender Reihenfolge geboten: a) I*
AB (67) - I AB (49 + 62); b) V AB (nt); c) VI AB ('nt Taf.
IX-X); d) II AB (51); e) III AB (III AB, C = 129; III AB, B =
137; III AB, A = 68); f) IV AB (76); g) BH (75). Diesem Zyklus
ist noch SS (52) angeschlossen. Des weiteren folgen die
Nikal-Hymne (NK = 77 [S. 63 f.]), das Aqht-Gedicht (II D =
2 Aqht; III D = 3 Aqht; I D = 1 Aqht [S. 65-82]), die sogenannten
„Rephaim"- besser „Fürsten"-Texte (Rp I, B = 121 : II;
Rp I, A = 121 : Ii II Rp = 122; III Rp, A = 123; III Rp, B
= 124 [S. 83-86], die Keret-Legende (I K = Krt; III K = 128;
II K = 125-127 [S. 87-104]) und zwei Opferlieder (Nr. 2 = 2;
Nr. 53 = 107 [S. 107 f.]).

Es ist aus Raumgründen unmöglich, auf die Fülle des Gebotenen
auch nur annähernd einzugehen. Daß die Zuordnung der
einzelnen Texte aus dem Ba'al - 'Anat - Zyklus nach dem derzeitigen
Befunde teilweise problematisch bleibt, zeigt nicht nur
ein Vergleich z.B. mit C. H. Gordon, Ugaritic Literature, S. 9—56,
sondern auch Verf. selbst läßt hieran keinen Zweifel (S. 11—13).
Im übrigen seien zwei kritische Bemerkungen gestattet.

In der Einleitung (S. 8 f.) führt Verf. kurz die Götterwelt
Ugarits vor, die dem „kommerziellen und geistigen Verkehr dieser
Hafenstadt mit den wichtigen Völkern des 2. Jahrtausends
v. Chr." entspricht. Auch verweist er auf die Verwandtschaft zur
homerischen Götterwelt. Prinzipiell wird man Verf. recht geben;
in den Einzelheiten, zumal hinsichtlich der Prosopographie der
einzelnen Numina, kann man freilich unterschiedlicher Meinung
sein.

In seiner schönen Studie „Die mythische Bedeutung des Meeres
in Ägypten, Ugarit und Israel" (=BZAW 78), 1959, hat
O. Kaiser im Anschluß an M. H. Pope, El in the Ugaritic Texts,
S. 61 f., m. E. überzeugend wahrscheinlich gemacht, daß nicht der
Meergott Yam, sondern El zu Enki-Ea in Funktionsverwandtschaft
steht. Das ändert nichts an dem Tatbestande, daß El der Götter-
und Menschenvater ist und bleibt — so mit O. Kaiser gegen
M. H. Pope —, wohl aber verschiebt sich damit das Bild von den
Funktionen der Götter El und Yam, und gleichzeitig wird jetzt
manches deutlicher, was nach den Darlegungen des Verfs. m. E.
unklar bleibt.

Nach J. Aistleitner heißt der ugaritische Meergott Yam-Ay
(akk. Ea). Soweit ich die Texte übersehe, ist sein voller Titel
zbl ym tpt nhr „Hoheit See, Richter Fluß" und verkörpert da6
Oberflächenwasser in Gestalt des Meeres, der Seen und Flüsse,
das zu Zeiten das Kulturland, den Bereich Ba'als, bedrohen kann.
Einen Götternamen Ay dagegen habe ich in dem mir verfügbaren
Material nicht feststellen können; so schweigt sich auch
G. D. Young, Concordance of Ugaritic, 1956, diesbezüglich aus,
und nach C. H. Gordon, Ugaritic Manual, S. 235 f. (Glossary
Nr. 94) kommt man in allen bisherigen Belegen mit 'ay = "ayyu
(vgl. arab. 'ayyun; akkad. ayyu), das adjektivisch „irgendeiner
/etwas" oder interjektional „O welch ein . . . I" bedeutet,
aus. Entfällt somit auch vom philologischen Standpunkt her die
Identifikation von Yam und Ea, so findet andererseits z. B. das
Nebeneinander von Yam und El in dem Zeugungsmythus SS (52)
seine hinreichende Erklärung: Indem El als Gott des Grundwassers
bzw. Urozeans und Yam als Gott der See wesensverwandt
sind, können 6ie bei der Zeugung von i/ir „Morgenstern
" und slm „Abendstern" füreinander eintreten, ebenso wie
andernorts sich hieraus erklärt, daß El nicht in absoluter Feindschaft
zu Yam steht und sich ihm gegenüber zuweilen nachgiebig
erweist.

Damit aber ist gleichzeitig ein zweiter Punkt berührt, der
das grundsätzliche Verständnis der Mythen von Ugarit betrifft.
Verf. sagt S. 8, daß die mythischen Texte in der jetzigen Form
„nicht eine Zusammenfassung von strikten Glaubenswahrheiten,
sondern mehr oder minder freie Gestaltungen der dichterischen
Phantasie sind". Nun sei gern zugegeben, daß man bei dem jetzigen
Zustande des Materials, bei seiner Lückenhaftigkeit und bei
der vielfach nicht eindeutigen Sprachgestalt der Texte darüber
streiten kann, wieweit die Mythen noch unmittelbar dem ursprünglichen
Haftpunkt im Kultus verbunden sind. Auf jeden
Fall wird m. E. an einem großen Teile von ihnen das schicksalhafte
Eingebundensein der Gläubigen in den Kreislauf des Jahres
und damit auch in den von chaotischen und dunklen Mächten
umgebenen und bedrohten Kosmos heute noch sichtbar. Hier
scheint mir Verf. — im Gegensatz zu den meisten Auslegern
unserer Texte — ein wenig zu „rationalistisch" vorzugehen.

Ich möchte diese kurzen kritischen Bemerkungen mit dem
Hinweis abschließen, daß damit in keiner Weise der Wert der
Ausgabe verkleinert werden soll. Vielmehr wird man Verf. besonderen
Dank wissen, daß durch die vorliegende Übersetzung
die schwierigen und problematischen Texte einem größeren
deutschen Leserkreise zugänglich werden und damit zugleich der
Weg dafür freigemacht ist, daß ein heute noch vielfach herrschendes
Fehlurteil über die altkanaanäische Kultur und Religion
endgültig revidiert wird.

Jena Rudolf Meyer