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Ausgabe:

1961 Nr. 8

Spalte:

578-583

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heiler, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Religionen der Menschheit 1961

Rezensent:

Lohmann, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 8

578

Nikolainen, Aimo T.: Einige Gesichtspunkte über die Neuordnung
der theologischen Studien in Finnland.
Die Kirche Finnlands 6, 1960 Nr. 2 und 7, 1961 Nr. 1 S. 15—19.

Piper, Otto A.: Church and Judaism in Holy History.
Theology Today 18, 1961 S. 60-71.

Stempel, Hans: Der deutsch-französische Bruderrat.
Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 159—161.

V o g e I, Arthur A.: Theology Today.

Anglican Theological Review 43, 1961 S. 3—17.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

P e 11 a z z o n i, Raffaele: Der allwissende Gott. Zur Geschichte der
Gottesidee, übers, aus dem Italienischen von E. A. Voretzsch.
Frankfurt/M. u. Hamburg: Fischer Bücherei (Lizenzausgabe d. Verl.
Giulio Einaudi, Turin), [i960]. 140 S. kl. 8° = Fischer Bücherei.
Bücher des Wissens, 319. Kart. DM 2.20.

Im Jahre 195 5 veröffentlichte der 1959 verstorbene bedeutende
italienische Religionsforscher Raffaele Pettazzoni ein umfangreiches
Werk mit dem Titel „L'Omniscienza di Dio", das ein
Jahr später in englischer Übersetzung mit dem Titel „The All-
Knowing God" erschien. Die vorliegende deutsche Übersetzung
stellt eine Zusammenfassung der in jenem Werke vertretenen Gedanken
unter Beiseitelassung von Einzelproblemen dar.

Das Buch gliedert sich in folgende Teile: in einem einführenden
Kapitel, in dem magische und spezifisch göttliche Allwissenheit
unterschieden werden, macht der Verf. das Problem sichtbar,
mit dem sich die Untersuchung beschäftigen soll: wie erklärt sich
die Tatsache, daß es in der Religionsgeschichte Gottheiten gibt,
denen im Unterschiede von anderen das Prädikat der Allwissenheit
nicht beigelegt wird, und wie verhält sich die Eigenschaft der Allwissenheit
zur Stellung bestimmter Gottheiten als „höchste Wesen
"? Auch auf die Frage nach dem „Urmonotheismus" fällt von
P.s Untersuchungen aus neues Licht.

Das zweite Kapitel bietet eine umfassende und vorzüglich
dokumentierte Morphologie der göttlichen Allwissenheit in der
Art, daß zunächst quer durch die Religionsgeschichte und unter
besonderer Berücksichtigung der Religionen der Naturvölker die
wichtigsten Subjekte der Allwissenheit und ihre wesentlichen
Objekte phänomenologisch dargestellt werden.

Das dritte Kapitel fügt zur bisherigen phänomenologischen
die kulturgeschichtliche Betrachtung hinzu, indem die typischen
Gestalten des himmlischen, allwissenden Vaters der Hirten- und
Viehzüchterkultur, der Mutter Erde der Ackerbaukultur und des
„Herren der Tiere" der beiden Kulturen voraufgehenden Jäger-
und Sammlerkultur zugerechnet und jeweils von diesen Kulturen
abgeleitet werden. Das Attribut der Allwissenheit ist nach P. das
Spezifikum des Himmelswesens der Nomaden- und Hirtenkulturen
.

Ikonographischer Ausdruck für göttliche Allwissenheit ist die
weit verbreitete Vielköpfigkeit der Götterdarstellungen (Kap. 4).

In einem Anhang wird die seit Hume und Voltaire immer
wieder diskutierte Frage nach der Entstehung des Monotheismus
unter Ablehnung der theologisch gebundenen Theorie des Urmonotheismus
dahin beantwortet, daß der echte Monotheismus
der großen Kulturreligionen stets als Negation des Polytheismus
auftritt und also den Polytheismus auch zeitlich voraussetzt.

Gegen die phänomenologische und typologische Seite dieser
gelehrten und aufschlußreichen Untersuchung ist m. E. nichts einzuwenden
. Problematisch aber scheint mir die Anwendung der
kulturhistorischen Betrachtungsweise auf das erarbeitete Material,
sofern hier versucht wird, die Erecheinungs- und Wandlungsformen
der Gottesidee der Religionen aus Kulturstrukturen, also
aus kollektiven Wirtschafts- und Sozialgegebenheiten zu erklären
. P. berücksichtigt m. E. zu wenig (oder gar nicht) die religiös
schöpferische Bedeutung des Einzelnen, der prophetischen Persönlichkeit
und ihrer genuinen religiösen Erfahrung. Wenn es
z. B. S. 115 heißt: „Aus diesem höchsten Gott der antiken polytheistischen
Religion macht Zarathu6tra seinen einzigen Gott",
so liegt hier — wie auch sonst vielfach — eine 6tark rationalistische
Betrachtungsweise vor, die dem Phänomen persönlicher Gotteserfahrung
und ihrer besonderen Ge- und Bestimmtheit nicht gerecht
wird. M. E. sind — religionswissenschaftlich gesehen — viele

Faktoren an der geschichtlichen Gestaltung der Gottesideen jeweils
beteiligt, so daß die Ableitung konkreter Gottesvorstellungen
aus einem Prinzip wie z. B. der Wirtschaftsstruktur
ebenso einseitig ist wie die Erklärung der „Lebensmitte" der
Religionen aus der Rassenzugehörigkeit ihrer Bekenner.

Bonn Gustav Men s c h i n g

Heiler, Friedrich: Die Religionen der Menschheit in Vergangenheit
und Gegenwart. Unter Mitarbeit von Kurt Goldammer, Franz
Hesse, Günter Lanczkowski, Käthe N e u m a n n, Annemarie
Schimmel. Stuttgart: Reclam [1959]. 1063 S. mit 48 Taf.
kl. 8° = Universal-Bibliothek Nr. 8274—85. Lw. DM 16.80.

Nachdem in den letzten Jahren das religionsgeschichtliche
Nachschlagewerk von Helmuth von Glasenapp, ,Die nichtchristlichen
Religionen', Fischer-Bücherei Frankfurt am Main 1957, die
amerikanische Gemeinschaftsarbeit ,Die großen Religionen der
Welt' (The World's Great Religions) in der Übersetzung und Bearbeitung
von Hans-Joachim Schoeps, München-Zürich 1958 und
die Arbeit der beiden schwedischen Forscher Helmer Ringgren und
Äke v. Ström mit dem Titel ,Die Religionen der Völker', Stuttgart
1959 erschienen, veröffentlicht Friedrich Heiler mit seinen
Mitarbeitern aus der Marburger Schule erneut ein Kompendium
mit dem Titel: ,Die Religionen der Menschheit in Vergangenheit
und Gegenwart', Stuttgart 1959.

Der großen Gefahr des Dilettantismus, in die ein Religionswissenschaftler
verfallen kann, wenn er sich anschickt, in seiner
Person alle Religionen der Welt darzustellen, ist diese Arbeit von
vornherein entgangen, da mehrere Fachgelehrte sich an der Abfassung
beteiligt haben:

Heiler, Friedrich: Die Religion der Chinesen, der Inder, des nach-
diristlichen ludentums und des Christentums.

Goldammer, Kurt: Die Religion der prähistorischen Zeit und der
schriftlosen Völker der Neuzeit, der Griechen, der Römer, des orientalisch
-hellenistischen Synkretismus, der Germanen, Kelten, Slaven und
Balten.

Hesse, Franz: Die israelitisch-jüdische Religion in vorchristlicher

Zeit.

Lanczkowski, Günter: Die Religionen der vorkolumbischen Hochkulturen
Amerikas, der Ägypter, der vorderasiatischen Kulturen, der
Etruskcr, der Iranier, der Mandäer und des Manichäismus.

Neumann, Käthe: Die Religion der Japaner.

Schimmel, Annemarie: Die Religion des Islam.
Der gleichen Gefahr ist aber nun auch der Rezensent unterworfen
, wenn er sich anmaßen wollte, allein ein derartig umfangreiches
Werk in allen Einzelheiten einer Kritik zu unterziehen.
So kann sich der Rezensent im wesentlichen auch nur referierend
äußern:

Diese neue Darstellung zeugt von der Aktualität des Themas
und die zusammenfassende, alle Religionen der Erde umspannende
Darstellung von der Einsicht, daß die gesamte Menschheit
in ihrem Geistesleben eine große Einheit darstellt (S. 3; 8 87).
Was diese Gemeinschaftsarbeit noch besonders auszeichnet, ist
die gemeinsame Geisteshaltung, von der das ganze Werk getragen
ist. Obwohl mehrere Verfasser an seiner Abfassung beteiligt
waren, ist es gelungen, vom Anfang bis zum Ende des Buches die
Einheit der Auffassung und Darstellung zu wahren (S. 3 f.).

Die leitenden Grundgedanken bei der Abfassung des Werkes
waren:

a) Die Auseinandersetzung mit den Religionen darf nur
im Geiste strenger Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit erfolgen.
Der Glaube als Ausdrude persönlicher Lebenshaltung darf auf die
Darstellung keinen Einfluß ausüben. Insofern wird jeder Leser des
Buches enttäuscht sein, wenn er meint, darin Erbauung oder Bekenntnis
zu irgendeiner Religion zu finden.

b) Die Auseinandersetzung mit den Religionen muß im
Bewußtsein der Einheit der ganzen Welt erfolgen, d. h. ohne
Apologetik und Polemik, ohne fanatischen Bekehrungseifer und
Missionsdrang, sondern im Geiste der brüderlichen Liebe.

c) Allgemeiner Grundsatz ist die Toleranz und die Aufgeschlossenheit
für das Andere, wie es in dem programmatischen
Wort des Königs Asoka zum Ausdruck kommt: „Wer immer
seine eigene Religion preist und die anderen Religionen tadelt,
und zwar alles aus Hinneigung zur eigenen Religion und um die