Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1961 Nr. 8

Spalte:

573-575

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Müncker, Th.

Titel/Untertitel:

Der Mensch unter Gottes Anruf und Ordnung 1961

Rezensent:

Wendland, Heinz-Dietrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

573

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 8

574

fragen, dann verlegt er das Apriori vom Bewußtsein auf das
Sein und behauptet die Überlegenheit des Seins, besser: dieses
Seins, nämlich des Seins des irdischen Jesus über das Bewußtsein
von ihm (9—10).

Die Frage lautet bei Diem nicht mehr: Was kann ich
wissen, was darf ich glauben, sondern: Wie verhält 6ich der
Glaube zum irdischen Jesus (3)? Etikettierendem Verstehen
mag es naheliegen, Diems Arbeit der dogmatischen Jesusauffassung
zuzuweisen, die von den chri6tologi6chen Dogmen her
den irdischen Jesus zu begreifen versucht und sich um die kritisch
-historische Frage nicht kümmert7. Gerade so ist aber dem
Problem des irdischen Jesu6 im Sinne Diems nicht nahezukommen
, wo dieser eindrucksvoll am Beispiel der altprotestan-
tißchen Orthodoxie (aber auch in seiner Auseinandersetzung
mit dem römischen Katholizismus) zeigt (4—5). Diese meinte,
durch die Lehre von der Verbalirispiration „sichern zu können
und zu müssen . ..", daß der in der Schrift gepredigte Christus
mit dem irdischen „Jesus tatsächlich identisch ist", und sie forderte
gerade so „die historische Kritik heraus, diese Sicherheit
auf ihre Tragfähigkeit zu prüfen" (5). Die Kontinuität zwischen
dem irdischen Jesus und dem Christus des Glaubens ist s. E.
weder durch ein Dogma zu sichern, noch i6t 6ie historisch aufzuweisen
odeT zu widerlegen. Sie ist dadurch gegeben, daß „. .. der
irdische Jesus in der Verkündigung der Kirche begegnet" (4).
Diese Grundlage seiner Konzeption sieht Diem in der reformatorischen
Theologie vorgebildet und begründet. Daß dort „der
Christus praedicatus als der Erhöhte identisch ist mit dem irdischen
Jesus, konnte darum selbstverständlich vorausgesetzt werden
, weil die Predigt auf Grund der Schrift erfolgte, die von ihm
zeugt" (4). Freilich, die reformatorische Position ist s. E. nach
fast zweihundert Jahren historischer Kritik nicht einfach zu
wiederholen, wohl aber kann und sollte in ihrem Sinn weiter
gedacht werden (20). Bei einer solchen Arbeit käme es darauf
an, theologisch legitim die historische Wahrheitsfrage in bezug
auf Jesus zu stellen, d. h. sich zuvor theologisch Rechenschaft
über den Gegenstand der hictorischen Forschung zu geben (8).
Diem sagt darüber: Die „Verkündigungsgeschichte ist der von
uns gesuchte und nach dem Selbstzeugnis des NT allein legitime
Gegenstand der historischen Forschung" (9)8. Inwiefern? — Die
Verkündigungsgeschichte hat zwei Phasen, die streng zu unterscheiden
und dennoch historisch nicht auseinanderzuhalten sind:
Das Handeln und Verkündigen des irdischen Jesus selbst und
die Verkündigung der Gemeinde von seinem Handeln und Verkündigen
. Die erste Phase ist der Real- und Erkenntnisgrund

') Vgl. die hübsche Geschichte, die K. A. Hase in der Vorrede
seines Leben Jesu (1829) erzählt. Danach 6ei ihm geraten worden, im
ersten Teil von der menschlichen und in einem zweiten Teil von der
göttlichen Natur Jesu zu schreiben.

*) Es wäre zu fragen: Ist das ein historischer oder ein dogmatischer
Satz? Vgl. dazu meine in Anm. 5 genannten Arbeiten.

J für die zweite, aber die erste begegnet uns nur in der zweiten,
und das Subjekt der ersten, nämlich der irdische Jesus, ist auch
| das Subjekt der zweiten. Damit vollzieht Diem eine vollständige
Verkehrung herkömmlicher Vorstellungen, die unmittelbar mit der
I Neufassung des Aprioriproblems zusammenhängt. Man muß sie
j schon pointiert formulieren, um ihre Tragweite deutlich zu
machen: Was man früher den Christus des Glaubens nannte, ist
I nun der „historische" Jesus, genauer: die Historie von Jesus
i Christus — denn indem die menschlichen Träger der Verkündigungsgeschichte
, also die Apostel etwa, in den biblischen Büchern
| über Erfahrenes vom irdischen Jesus berichten, geschieht laiooia
vom irdischen Jesus. Diesem Bericht über Erfahrenes ist das
Erfahrene, nämlich das Verkündigen und Handeln des irdischen
Jesus streng vorgeordnet, es geht nicht in jenem auf, ist jenem
immer überlegen und von jenem unterschieden, es ist aber im
gewissen Sinne mit jenem auch eins.

Der irdische Jesus (Diem sagt: Die Geschichte Jesu) und die
Historie von ihm (Diem meint: Die Verkündigung der Bibel und
j der Gemeinde) stehen nämlich insofern in Kontinuität, als hier
wie dort letztlich Jesus Christus sich selbst verkündigt und so
| eine kontinuierliche Verkündigungsgeschichte bewirkt, die ihre
i geschichtliche Vielfalt durch die verschiedenen Zeiten und Orte
j der Verkündigung bekommt. Die Historie Jesu Christi, d. h.

also nun der verkündigende Bericht vom irdischen Jesus, beginnt
| nicht erst bei den schriftlichen Zeugnissen der Bibel, sondern
schon früher. Jene früheren Stadien sollten nach Diem etwa
Gegenstand der historischen Forschung sein, die sich aber damit
fundamental von der herkömmlichen historisdi-kritischen Exegese
unterscheidet9. Gewisse äußere Übereinstimmungen in den
| Ergebnissen ändern an diesem Urteil nichts.

Diese und andere Konsequenzen für die Exegese als theologische
Wissenschaft und eine daraus folgende fruchtbare
Zusammenarbeit zwischen Dogmatik und der so verstandenen
I Exegese erläutert Diem weiterhin in seiner Schrift9. Es ist zu
j hoffen und zu wünschen, daß der sechzigjährige Verfasser, den
wir hiermit zu seinem Geburtstag herzlich grüßen möchten, diese
kurzen und notwendig formalen Hinweise ausbaut und ihnen
j inhaltliche Fülle geben möge. Gewiß wird man dann weitere
I kritische Fragen an ihn richten müssen. Das wird man aber
trotzdem sagen können, daß für die Theologen, denen es in ihrer
Arbeit nicht nur auf Klärung der Begriffe, sondern mehr noch
auf kritische Prüfung und auf Bereitstellung einer den Phänomenen
entsprechenden Begrifflichkeit ankommt, seit der Veröffentlichung
der Fragmente des Wolfenbütteischen Ungenannten
kaum ein interessanterer Beitrag zum Thema geschrieben worden ist.

•) Ausführlich hat Diem darüber in seinen beiden Büchern: Dogmatik
II, München 1955 und Was heißt schriftgemäß? Neukirchen 1958
berichtet. Zur kritischen Würdigung vgl. die in Anm. 5 genannten
Arbeiten.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

|M ü n c k e t, Th.:] Der Mensch unter Gottes Anruf und Ordnung.

Festgabe für Theodor Müncker, hrsg. v. R. H a u s e r u. F. Scholz.
Düsseldorf: Patmos - Verlag [1958]. 270 S., 1 Porträt, gr. 8°. Lw.
DM 18.-.

Die Festschrift für den Freiburger katholischen Moraltheologen
enthält einige bemerkenswerte und lehrreiche Beiträge
, von denen man wünscht, daß sie nicht in dieser Festgabe
..begraben" sein möchten, sondern genutzt und gelesen würden.
Es handelt sich vor allem um Beiträge zur katholischen Soziallehre
, in welchen die Tendenz zur Sozial t h e o 1 o g i e besonders
wichtig und charakteristisch ist. Sie tritt sowohl bei der Behandlung
von Grundlegungsfragen hervor, — so in dem Beitrag
von Ludwig Berg, Vom theologischen Grund der Sozialethik
, der ihre letzten Prinzipien aus der Gotteslehre (Gottes
Vorsehung und Weltregierung, seine Gerechtigkeit und Liebe)
zu entwickeln sudit, oder bei Adolph Geck, Zur sozialwissenschaftlichen
Grundlegung der Moraltheologie, indem dieser der
Sozialtheologie die Aufgabe zuweist, das Wesensbild des sozialen

Seins aus den Glaubensquellen zu erarbeiten, aber auch in weitem
Überblick die Beziehungen der Moraltheologie zu allen denkbaren
Sozialwissenschaften erörtert; — dieselbe Tendenz aber
macht sich auch in mehr praktisch gerichteten Abhandlungen
bemerkbar, so wenn Joseph H ö f f n e r kenntnisreich in allen
Bezügen der heutigen Gesellschaft das „Ethos der Freizeit" erörtert
oder Wilhelm H e i n e n eine vortreffliche Typologie der
Verkehrsteilnehmer entwickelt und mit drastischer Deutlichkeit
die Gebote christlicher Menschlichkeit für den modernen Verkehr
aufweist (Rücksichtslosigkeit — Rücksichtnahme im Verkehr).
Hier zeigt sich wieder sehr deutlich die von O. von Nell-Breuning
und dem Rez. erörterte Erscheinung, daß die Sozialethik der
Konfessionen, in den Begründungen weit abweichend, doch in
den praktischen Anforderungen an Mensch und Gesellschaft
heute weitgehend zu denselben Ergebnissen gelangt. — Richard
H a u s e r hat sich dem Verhältnis der Kirchen auf dem Felde
der Sozialethik zugewendet und behandelt mit sachlicher Sorgfalt
und Gerechtigkeit „das christologische Motiv in der politischen
Ethik der christlichen Konfessionen"; die evangelische
durchmustert er von Barth bis Künneth und nimmt seinen Aus-