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1961 Nr. 1

Kategorie:

Religionswissenschaft

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 1

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anwandten: die Kenntnis dieses historischen Sachverhalts kann
ihnen, wie so vieles andere aus ihrer Geschichte, verloren gegangen
sein. Es kommt doch immer wieder vor, daß sich ein Name
auf eine Gruppe, Sprache oder Sache forterbt, die mit dem voraufgehenden
Namensträger nichts mehr zu tun hat.

Der Aufsatz über „Judas Iskariot" (p. 37—68) versucht die
Rolle dieser 6chon im NT, in der Gnosis und in der modernen
Literatur so verschieden beurteilten Figur vom Beinamen aus
aufzuklären. Gärtner lehnt die bekannten Deutungen „Mann aus
Kerioth" und sicarius (diese wegen des langen i, das nicht
einfach verschwinden kann) ab und schließt sich der Deutung von
Ch. C. Torrey an, nach der das aramäische (i) s c h q a r j ä „der
Falsche" zugrundeliegt (p. 37—42). G. will diese Deutung durch
sachliche Erwägungen bestätigen. Auch hier schwinge in der Bedeutung
des Namens das Motiv der Schrifterfüllung mit, und
zwar speziell von Ps. 41. Er wird in Joh. 13, Act 1, 16 ff.
und Mark. 14, 17—21 als Weissagung auf den Verrat des Judas
verstanden; doch nicht nur die Texte, auch Jesus selbst habe in
dieser Weise Judas als ein Werkzeug im göttlichen Plane verstanden
. Die Verbalwurzel von 'äqeb „Ferse" in Ps. 41, 10
(„der mein Brot ißt, erhob seine Ferse wider mich") bedeutet nun
aber nicht nur „an der Ferse packen", sondern auch „hintergehen
, betrügen". Das Wortspiel mit beiden Bedeutungen, das
in Gen. 25,26 und 27, 36 vorliegt, „klingt" auch „hinter
Joh. 13, 18 hervor" (p. 44). Auch sonst ist da, wo man im Zusammenhang
mit Judas auf Ps. 41 reflektiert, immer an den Betrug
und Verrat gedacht (p. 43—48). Damit stehen wir aber erst
bei der heilsgeschichtlichen Deutung, die der Verrat des Judas
durch Jesus und das NT erfährt. Was waren Judas' eigene Motive
? Das der Geldgier wird durch die Texte nicht gestützt, wiewohl
in ihnen der im Judentum bezeugte Zusammenhang zwischen
Geldliebe und Satansmacht bewußt gewesen sein kann. So
bleibt das Motiv enttäuschter Messiashoffnungen am wahrscheinlichsten
(p. 49—53). Judas' Tat erfährt aber im NT noch eine
andere Deutung als die besprochene Einordnung in den göttlichen
Heilsplan. Bei Lukas und Johannes wird nämlich die In-
spiriertheit des Judas durch den Satan betont, der nach Johannes
parallel zu Judas auch die Juden zum Kampf gegen die Gottesherrschaft
in Dienst nimmt. Hier könnten dämonologische Zusammenhänge
zugrunde liegen, wie wir sie aus den Zwölfertestamenten
und den Qumrantexten kennen (p. 54—60). G. begnügt
sich jedoch nicht mit der Rekonstruktion dieser nur fragmentarisch
erhaltenen Deutungen, sondern 6ucht nach einem festen
alttestamentlichen Typus für Judas. Er findet ihn in Davids Ratgeber
Ahitofel, der auf Absaloms Seite überging, mit seinem
klugen Rat zu Davids Beseitigung nicht durchdrang und sich aus
Verzweiflung darüber erhängte (2. Sam. 17, 23). Die Auslegungen
, die in rabbinischen Texten über den Verrat Ahitofels begegnen
, bieten nun überraschende Parallelen zur Deutung der
Judastat: Auch in bSanh 106b wird z.B. in diesem Zusammenhang
auf Ps. 41, 10 hingewiesen, eine Stelle, die ihrerseits auch
im Verräterzusammenhang 1 Q H V 22 ff. gemeint sein muß.
Der andere Text, der in bSanh 106 b herangezogen wird, ist
Ps. 55, der nicht nur in anderen rabbinischen Stellen auf Ahitofel,
sondern wohl auch in Luk 22, 3, Act 1,17 und Mark. 14, 3 3 f.
auf Judas angewandt wird. Das gilt nicht nur für das Motiv, daß
in Ps. 55, in den Ahitofel- und in den Judasüberlieferungen einer
aus dem engsten Kreise des Verratenen die Tat begeht, sondern
auch für den Selbstmord beider Gestalten, wobei es allerdings
nicht zu erweisen ist, daß die Nachricht über die Todesart
Ahitofels und Ps. 55,24 die betreffende Judastradition beeinflußt
hat (den Hintergrund von Act. 1,18 hat man bekanntlich in
Sap. 4, 19 f. zu erblicken). Dies ist nur eine Auswahl aus den von
G. erkannten Motivparallelen. Sie brauchen nach G. nicht zu
bedeuten, daß in der einen oder anderen Richtung ein wirkliches
Abhängigkeitsverhältnis vorliegt. „Doch zeugen sie davon, daß
die in der Urkirche umlaufenden Judastraditionen mehrere Züge
enthalten, die gut in die .Verräterkategorien' paßten, welche
die Juden den alttestamentlichen Schriften entnahmen" (p. 67).

Der Wert der zweiten Abhandlung geht schon aus dieser
Inhaltsangabe hervor. Es handelt sich um eine wertvolle Materialsammlung
zur Judastypologie, aus der sich wichtige neue Gesichtspunkte
für die Exegese ergeben. — Daß beide Abhandlungen
so unterschiedlich beurteilt werden müssen, scheint mir einen

sachlichen Grund zu haben: im zweiten Falle kann man von einem
feststehenden Wort ausgehen, dessen Etymologie philologisch so
weit wie möglich gesichert ist; dieses, und der damit ausgedrückte
Tatbestand, kann einer theologischen Betrachtung vorgegeben
gewesen sein, die mancherlei typologische Auslegungen daran
knüpfte. Im ersten Falle dagegen soll durch Reflexionen solcher
Art die Entstehung eines Wortes überhaupt erst erklärt werden.
Dabei gerät man in philologische Spekulationen, deren Ergebnis
dem widerspricht, was wir sonst über Wortbildung und Wortdeutung
und die Priorität des ersten Vorgangs vor dem zweiten
wissen.

Göttingen Carsten Colpe

Bousset, Wilhelm: Die Himmelsreise der Seele. Sonderausgabe.

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1960. 83 S. 8° = Li-

belli, Bd. LXXI. Hlw. DM 6.50.
Nil es, Daniel T.: Brief an einen Buddhisten. München: Kaiser 1960.

32 S. 8°. DM 1.50.

ALTES TESTAMENT

Kopp, Clemens: Die heiligen Stätten der Evangelien. Regensburg:
Pustet [1959]. 504 S. m. 9 Ktn.-Skizzen u. 66 Abb. auf Taf. 8°. Lw.
DM 3 5.-.

Clemens Kopp, dessen Name seit Jahrzehnten in der
Palästina-Forschung rühmlichst bekannt ist, legt in dieser umfangreichen
Veröffentlichung eine zusammenfassende Untersuchung
über die Loca Sancta der Evangelien vor. Die Jesusstätten
in Palästina einschließlich der Orte und Gegenden, in
denen der Tradition zufolge Johannes der Täufer gewirkt haben
soll, werden hier genau auf Grund der archäologischen und
landeskundlichen Gegebenheiten, der neutestamentlichen Angaben
und vor allem der nachbiblischen Traditionen untersucht.
Für die letzteren zieht der Verfasser wirklich umfassend und
lückenlos — soweit ich sehe — die große Palästina-Reiseberichtsliteratur
, die von Pilgern und Forschern im Lauf der Jahrhunderte
verfaßt worden ist, heran. Von dieser Literatur wird die jüngere
Schicht, die nach den Kreuzzügen entstanden ist, oft verwendet,
um die Abwandlung der Traditionen über einzelne Heilige Stätten
und ihre Verlagerung an andere Orte zu zeigen. Es ist wohltuend
zu sehen, wie freimütig der Verfasser solchen Traditionen
gegenübersteht, sie in ihrer Entstehung prüft und hinsichtlich der
historischen Wahrscheinlichkeit kritisch abwägt und notfalls ablehnt
. Ein gutes Beispiel bietet dafür die Einschätzung von el-
kubebe, das nach seiner Meinung nicht mit dem neutestamentlichen
Emmaus gleichgesetzt werden kann. In diesem Fall dringt
er sogar auf weitere archäologische Untersuchung, die zur Bestätigung
seiner Ablehnung der Identifizierung führen würde
(S. 449 f. und S. 450, Anm. 146). Diese rückhaltlose wissenschaftliche
Tapferkeit verdient vollste Anerkennung.

Für die Anlage des Buches ist die Orientierung an den Orten
und Geländen des Lebens Jesu maßgebend. Daher wird die
Untersuchung mit dem vorchristlichen Bethlehem (S. 10—13) begonnen
, dann werden die verschiedenen Quellen über die Geburt
Jesu daselbst zusammengestellt und geprüft einschließlich der
nachbiblischen Traditionen (S. 14—35). Es folgen die Prüfung
und Darstellung der einzelnen Heiligen Stätten Bethlehems,
Geburtskirche (S. 3 5-55), Hirtenfeld (S. 5 5-66), Haus Josefs
(S. 60—70). Zwei Abschnitte über die Weisen aus dem Morgenland
und die Unschuldigen Kinder bilden den Abschluß des
Bethlehemkapitels.

In ähnlicher Weise sind die folgenden Kapitel angelegt, z. B.
Nazareth einschließlich der weiteren Umgebung (S. 86—129).
Nach Nazareth wird ein Kapitel über Johannes den Täufer
(S. 130—183) eingeschaltet, das besonders reich an landeskundlichen
Beobachtungen ist, wie etwa die Sätze über die Benutzbar-
keit der Jordanfurten heutzutage (S. 142 f.) zeigen. In dem Zusammenhang
des Täuferkapitels wird ein Abschnitt (S. 143/44)
dem Essenerproblem gewidmet. Sie werden nach Josephus um
ca. 150 v.Chr. chronologisch fixiert und in der herkömmlichen
Weise dargestellt. Dann zieht der Verfasser die Handschriftenfunde
von Qumrän heran und vertritt dabei die Anschauung, daß
Qumrän „ein großes Kloster ohne Mönche" war, die Mitglieder
wohnten in bescheidenen Höhlen in der Umgebung. Diese For-