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Ausgabe:

1961 Nr. 7

Spalte:

540-542

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Eichholz, Georg

Titel/Untertitel:

Herr, tue meine Lippen auf; 2.Die altkirchlichen Episteln 1961

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 7

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und ireifeß Werk, das Seite für Seite gründliche Vertrautheit mit
der exegetischen Wissenschaft (für da6 Alte Testament wird besonders
v. Rad genannt) und Beteiligung an der theologischen
Besinnung zeigt. Die Predigthilfen können deshalb zur Meditation
führen, weil 6ie selbst aus der Meditation, aus der hörenden
und betenden Vertiefung in das Wort entstanden sind. Als
ein Beispiel, wie philologische Beobachtung und theologische Besinnung
Hand in Hand gehen, greife ich die ausführliche Behandlung
von 2. Kor. 4, 6 heraus (Band 2, S. 209 f.). Stählin kommt
hier zu der Übersetzung: „Gott, der da sprach: Aus der Finsternis
leuchte Licht!, ist aufgestrahlt in unseren Herzen; so werden
wir erleuchtet und erkennen die Herrlichkeit Gottes in seinem
Angesicht Jesus Christus." Die Deutung des Genetivs „Jesu
Christi" als genetivus epexegeticus (Christus ist
das uns zugewendete Angesicht Gottes, mit dem Gott uns ansieht
, und in dem er sich von uns ansehen läßt) will mir zwar
nicht ganz einleuchten, sie zwingt aber auf jeden Fall zu erneuter
Besinnung. Natürlich steht hinter jedem Satz bei Stählin eine
geprägte und eigenständige theologische Sicht, auf die zu achten
und mit der sich auseinanderzusetzen 6ich lohnt. Christus das
Angesicht Gottes — der Gedanke kehrt auch in der Auslegung
der Abrahamsgeschichte wieder: „Gottes Angesicht (im passiven
und im aktiven Sinne dieses Wortes, daß der unergründliche und
furchtbar geheimnisvolle Gott sich doch zu erkennen gibt, und
daß er uns ansieht) ist das große Thema der ganzen heiligen Geschichte
und der große Tro6t jeder zutiefst beunruhigten und gequälten
Menschenseele" (Band 3, S. 31).

Stählin ist Liturgiker. Die Predigt ist ihm wichtig als zentrales
Stück der Liturgie, aber eben eingeordnet in das Ganze
der Liturgie. So geht er in der Behandlung der Texte häufig ein
auf ihre besondere Bedeutung im Rhythmus des Kirchenjahres,
auf den Zusammenhang mit Wochenspruch und Wochenthema
usw., doch bleibt er darin beweglich, gibt auch hie und da Abweichungen
von der „Ordnung der Predigttexte" zu erwägen.

Die Psalmen haben in der Regel ihren Platz in der Liturgie,
nicht als Predigttext, sondern im Gebet der Gemeinde. Die
Ordnung der Predigttexte hat in ihren sechs Reihen keine
Psalmentexte, hat aber als Ergänzung eine besondere Psalmenreihe
, vor allem für die sogen. Nebengottesdienste und für Bibelstunden
. Auch dafür bringt Stählin nicht weniger als 8 3 Predigthilfen
. Eine besondere Einleitung gibt Rechenschaft über seine
Grundsätze. Er glaubt nicht, „daß alle Psalmen in ihrem ganzen
Umfang, zumal in Luthers nicht immer ganz zutreffenden Übersetzung
, wirklich von der heutigen christlichen Gemeinde gebetet
werden können". Aus solchen Erwägungen und aus langer praktischer
Erfahrung heraus ist die Bearbeitung der Psalmen entstanden
, die er mit H. Goltzen und H. Schumann zusammen
herausgegeben hat (Psalmgebete, Stauda-Verlag Kassel 1959),
und auf die hier nachdrücklich hingewiesen sei. Für den Gebrauch
der Psalmen in der Gemeinde gilt, daß sie christologisch
und trinitarisch aufgenommen werden müssen und dürfen. Das
bedeutet freilich vielfach einen Umbruch, der über das Kreuz
Jesu Christi führt. „Kaum irgendwo wird so deutlich wie in den
Psalmen ein Urlaut des Gebets in der Hülle einer fernen Zeit
und einer vielfach fremden Redeweise, auch spürbar außerhalb
der Christusoffenbarung, vernehmbar." Stählins Ziel ist es,
„die rechte Mitte zwischen der schuldigen Ehrfurcht vor dem, was
der Fromme des Alten Bundes in seinem Gebet aussprechen
konnte und wollte, und dem, was nun der christlichen Gemeinde
zu bekennen und vor Gott auszusprechen erlaubt und aufgegeben
ist", zu finden (Band 3, S. 332).

„Berneuchen" hat zur jüngsten Theologiegeschichte seinen
eigenen Beitrag geleistet. Wer dem kritisch gegenübersteht, wird
auch in den Predigthilfen auf manches stoßen, was zu Bedenken
und Widerspruch reizt. Aus den Ausführungen des Hebräerbriefs
über den alttestamentlichen Kultus im Vergleich zu dem Hohe-
priestertum Christi wird bei Stählin eine Theorie über die „Erfüllung
und Vollendung alles kultischen Priestertums in dem
Walten Christi". „Da das Vorhandensein von Priestern und
priesterlichen Funktionen zu den Grundformen der menschlichen
Existenz, sozusagen zu den Archetypen unseres untergründigen
Seins gehört, ist es für unser eigenes Selbstverständnis eine Frage
von höchstem Rang, in welcher Beziehung das Ereignis Jesus Christus
und damit unser christlicher Glaube selbst zu diesem die
ganze Welt und die ganze Gesdiichte durchdringenden Priester-
tum steht" (Band 2, S. 474). Haben wir uns damit nicht weit
von dem Text fortbewegt? Ist es ein Zufall, daß anstelle de6
Menschen Jesus Christus plötzlich das Ereignis Jesus Christus
tritt? In derselben Auslegung (zu Hebr. 4, 14 ff.; 7, 23ff.) wird
das Wort vom Hinzutreten zum Gnadenthron Anlaß, einen
wirklichen Vollzug dieses „Eingangs" der christlichen Gemeinde
im Gottesdienst zu fordern. „Es gehört wesentlich zum christlichen
Gottesdienst, daß darin dieses Hineingehen und Hinzutreten
auf dem für uns erschlossenen Weg wirklich vollzogen wird.
Der christliche Gottesdienst und darum auch der christliche
Kirchenbau ist die Darstellung eines Weges, der von außen nach
innen, aus der „profanen" Ferne in die unmittelbare Nähe Gottes
führt. Der ,Altar' als der erhöhte Ort ist das Sinnbild dieses
heiligen Bezirks, in den wir eintreten, das Sinnbild jenes Gnadenthrones
, zu dem wir hineingehen dürfen" (Band 2, S. 475). Nicht
nur Calvin, auch Luther hätte gegen soviel Symbolismus Protest
erhoben. Nicht das Bild, sondern das Wort macht es — nicht Begehung
eines kultischen Dramas, söndern Hören und Gehorsam
ist der christliche Gottesdienst.

Doch genug der kritischen Randbemerkungen. Ich bekenne
gern, 6eit ich die Predigthilfen zur Besprechung zugeschickt
bekam (und das ist schon über ein Jahr her), fast bei jeder
Predigtvorbereitung danach gegriffen zu haben und eigentlich nie
enttäuscht worden zu sein — ob sie mich nun belehrten, auf das
Wesentliche hinwiesen oder zum Widerspruch herausforderten,
immer erwiesen sie sich ak das, was ihr Name sagt, als „Predigthilfen
".

Kaiserswerth Robert Fr ick

E i c h h o 1 z, Georg |Hrsg.]: Herr, tue meine Lippen auf. Eine Predigthilfe
. Band 2: Die altkirchlichen Episteln. 2., neu geschriebene Auflage
. Wuppertal-Barmen: Emil Müller Verlag [1959]. VII, 532 S. 8°.
Lw. DM 23.50.

In der nun schon stattlichen Reihe von Bänden, die unter
dem gleichen Titel dem Prediger zu verschiedenen Textreihen
Hilfen geben, ist der Band über die altkirchlichen Episteln völlig
neu erarbeitet worden. Neue Mitarbeiter — neue Verteilung der
zu leistenden Arbeit. Aber „weitgehende Kontinuität im Verständnis
der Aufgabe" (Vorwort). Der Prediger hat sich die
Texte jedesmal neu zu erschließen. Die Verfasser wissen, daß
auch ihre Arbeit nicht ein für allemal getan ist, sondern — nach
17 Jahren — aufs neue herangegangen werden muß. Wie stark
die Situation, in die hinein zu predigen ist, die Erwägungen des
Predigers mitbestimmt, mag man sich an einem Beitrag wie dem
von Martin Fischer über Rom. 13, 1—10 (S. 130 ff., mit ausführlichen
Zitaten aus Fischers Elbingeroder Vortrag 1952) verdeutlichen
. Wie stark im übrigen die gesamte theologische Diskussion
in die Erwägungen einbezogen und verarbeitet ist, zeigt sieh
nahezu auf jeder Seite. Der Prediger bekommt kräftige Anregung
, sich den unter uns umgehenden biblischen, systematischen
und praktisch-theologischen Problemen zu stellen.

Im Unterschied zu den Predigthilfen, die uns in theologischen
Zeitschriften geboten werden, zeichnen sich die hier besprochenen
durch eine wohltuende Ausführlichkeit aus. Auf
529 Seiten 69 Texte — der Durchschnitt liegt also etwas unter
8 Seiten, die längsten umfassen 17 Seiten, z.T. im Kleindruck.
Hier werden die exegetischen Probleme nicht nur mit Bemerkungen
im Telegrammstil umschrieben, sondern in einiger Ausführlichkeit
durchgearbeitet. Was man „Meditation" im engeren
Sinne nennen könnte, wird hier nicht geboten — das Buch verzichtet
auch fast durchgehend auf dieses vieldeutige Wort. Dafür
sind aber systematisch - theologische und praktisch-theologische
Fragen mit Entschlossenheit aufgenommen. Vorschläge für die
Predigt finden sich immer wieder, vor allem oft in Form von
Warnungen. Dem Prediger ist Freiheit gelassen. Er soll angeregt
werden, sich selbst der Aufgabe zu stellen. Niemand sage, wenn
er selbst so stark gefordert sei, nütze ihm solche „Predigthilfe"
nicht. Doch — eben das ist die Hilfe, daß wir zu eigener Arbeit
herausgefordert und angekurbelt werden.

Wollte man auf die theologische Haltung des Buches und auf
einzelne Gegenstände eingehen, dann stünde man vor einer gro-