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Ausgabe:

1961 Nr. 1

Spalte:

31-34

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gärtner, Bertil Edgar

Titel/Untertitel:

Die rätselhaften Termini Nazoräer und Iskariot 1961

Rezensent:

Colpe, Carsten

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 1

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an Hand dieses Leitfadens zu erfolgen und könnten sicherlich neue
Erkenntnisse zeitigen. Wir sind Hans Jonas für das neue Werk,
das wohl dem Kenner seiner deutschen Gnosisinterpretation
nichts wesentlich Neues bietet, zu Dank verpflichtet, da es uns,
und jetzt auch der englischsprechenden Welt in neuer, konzentrierter
Gestalt seine genialen Erkenntnisse vor Augen stellt.

Dem Buch beigegeben ist eine „Selected Bibliography" (291—299)
und ein Eigennamen-Index. Was die Bibliographie anbetrifft, so vermißt
man s. v. II B Schliers Aufsatz „Der Mensch im Gnostizismus",
in: Anthropologie religieuse, ed. C. J. Bleeker, Leiden 1955, S. 60—76
und H. Ch. Puechs Arbeit über gnostisches, christliches und hellenistisches
Zeitverständnis im Eranos-Jahrbuch XX, 1952, S. 57 ff. (La gnose
et le temps); s. v. IV B (Simon Magus): Schlier, Das Denken der frühchristlichen
Gnosis, in: NT-liche Studien f. R. Bultmann (BZNTW 21),
Bln. 1954, S. 67—82 und Ernst Haenchen, Gab es eine vorchristliche
Gnosis? in: ZThK 49, 1952, S. 316-349.

Leipzig Kurt Rudolph

Gärtner, Bertil: Die rätselhaften Termini Nazoräer und Iskariot.

Lund: Gleerup 1957. 68 S. gr. 8° = Horae Soederblomianae IV.
Schw. Kr. 5.—.

Die gehaltvolle kleine Schrift vereinigt zwei Aufsätze, die
beide zur Erklärung von Worten und damit von Sachverhalten
dienen wollen, denen man sich bisher meist mit der semitistisch-
philologischen Methode genähert hat. Demgegenüber geht Gärtner
von den Zusammenhängen aus, in denen die genannten Termini
eine Rolle spielen, und sucht von da aus auch die Bedeutung
dieser Termini zu umschreiben. Die Kategorien „Zusammenweben
von Wortbedeutungen", „Wortspiel", „Mitschwingen"
eines Textverständnisses, „Anklingen" eines Wortsinnes spielen
dabei eine besondere Rolle, und nur wenn man sich gegenwärtig
hält, daß und wie es das in der jüdischen Midraschexegese tatsächlich
gibt, ist man in der Lage, den nicht immer ganz präzisen
Argumentationen des Verfs. richtig zu folgen.

Der erste Aufsatz „Nazareth, Nazoräer und das Mandäer-
tum" (p. 5—36) setzt nach einer akzeptablen Harmonisierung der
Matthäus- und Lukastraditionen über Nazareth und Bethlehem
mit der Feststellung ein, daß unter den topographischen Angaben
in Matth. 1 und 2, die der Evangelist macht, um die Erfüllung
der Schrift aufzuzeigen, nur die Angabe in 2, 23 nicht durch ein
nachweisbares Schriftzitat belegt wird (p. 5—8). Um die dahinter
stehende Tradition aufzuhellen, untersucht der Verf. den Ausdruck
NaCmgaTog unter der Voraussetzung, daß auch er irgendwie
in alttetamentlichen Weissagungen wurzelt. Die bisher meist
angenommenen Stellen — vor allem Jud. 13,5. 7 wegen näzir
und Jes. 11,1 wegen n e s ä r (auch Lev. 21,12 ist wegen nezäi
genannt worden) — vermögen, wie G. zeigt, nicht zu befriedigen.
Angesichts der Beobachtung, daß Matthäus den Ausdruck
Na£agr]v6s bewußt zugunsten von Na£cogaiog zu vermeiden
scheint, ist es vielmehr zu erwarten, daß er einen Ausdruck festhalten
möchte, der sich am ehesten mit einem aus bestimmten
alttestamentlichen Texten erhobenen Sinngehalt assoziieren läßt
(p. 8—13). Diese Texte sind nach G. die Ebed-Jahwe-Hymnen
Jes. 42, 6—9 und Jes. 49, 6. In beiden Texten begegnet das Ver-
bum näsar; im ersten sagt Jahwe zu seinem Knecht „Ich bewahre
dich", im zweiten heißt es, daß der Knecht noch eine
höhere Aufgabe hat, als die „Bewahrten Israels" wiederherzustellen
. Mit Bezug auf diese Stellen sei Jesus „der (sc. für den
messianischen Auftrag) Bewahrte" und die Christen „die Bewahrten
", d.h. der Heilige Rest — dies um so mehr, als Je6. 42 und 49
auch sonst im NT zitiert werden oder gemeint sein müssen,
namentlich im Zusammenhang mit der Kindheit Jesu.
NaCcogalos ist danach eine Gräzisierung des hebräischen part.
pass. näsür „bewahrt" (p. 13—18). Doch gibt es auch „außerhalb
" (p. 23) der Bibel an vier Stellen eine Terminologie, die an
den Stamm n s r anknüpft. Es handelt sich 1.) um die talmudischen
Bezeichnungen für Jesus und die Christen, nösri und
nösrim, 2.) um die vorchristlichen jüdischen NaoägaToi bei
Epiphanius, 3.) um die mandäische Selbstbezeichnung näs°räjä,
4.) um den n e s ä r „Sproß" in den Dankpsalmen von Qumran,
mit dem der Gründer der Sekte gemeint sein könne, während
die „Pflanzung" die sich ihm anschließende Gruppe sei. Diese
verstand sich als den Heiligen Rest, für den nach Dam. I, 4 ff.
auch der (kollektiv verstandene) Wurzelstock habe stehen können

(p. 18—23). In Qumran habe nun aber neben der Bedeutung
von n s r „Sproß" immer auch das „Bewahren" mitgeklungen,
und zwar, weil die Erwähnung des „Sprosses" immer den Gedanken
an die ganze Sekte einschloß, die sich als den „Heiligen
Rest" verstand. Solche Assoziationen seien auch für Matthäus
vorauszusetzen. „Der ,heilige Wurzelschoß' und der .heilige
Rest' stehen synonym in Qum, demnach in Entsprechung zu dem
Verhältnis Jes 42 ,der Bewahrte' — Jes 49 , die Bewahrten', sowie
zu dem Verhältnis Jes 11 ,Sproß'/Messias — Jes 60 ,Sproß'/
messianische Gruppe und schließlich zu dem Verhältnis
Na£<agaioq/Jesus — NaCcogalot /Christen im NT" (p. 24). —
Damit scheint der eigentliche Beweisgang abgeschlossen zu sein.
Er wird ergänzt durch eine Zusammenstellung der theologischen
Parallelen in Qumrantexten und mandäischen Schriften, in erster
Linie „Pflanzung" und „Sproß", daneben „Quelle des Lebens",
„lebendiges Wasser" und der Motivkreis „Garten, Baum, Laub,
Zweige, Frucht". Daraus ergeben sich gewichtige Argumente für
einen ursprünglichen Zusammenhang zwischen Mandäern und
Spätjudentum, wobei das letztere nicht ausschließlich durch Qumran
repräsentiert werden soll. Die Anwendung des Terminus
„Nazoräer" auf die Christen müsse deshalb irgendwie in Verbindung
mit jenen jüdischen Gruppen gesehen werden, wobei die
Verbindungslinie über Johannes den Täufer zu ziehen sei, aus
dessen nächstem Kreis Jesus einige seiner Jünger gewann. Doch
brauche man die Sekten für den Sinn, den Matthäus mit
6 NaCcogalog verband, nicht in Betracht zu ziehen (p. 24—36).

Der eigentliche, von seinen wertvollen Nebenhinweisen befreite
Gedankengang entbehrt der Schlüssigkeit, auf die es bei
begriffs- und sachgeschichtlichen Untersuchungen dieser Art ankommt
. Daß die Qumrangemeinde nur durch ihr Selbstverständnis
als „heiliger Rest" das bisher fünfmal in den Dankpsalmen
belegte Wort nesär umvokalisiert und es in dieser Gestalt in
die zunächst bei Matthäus endende Überlieferung eingeführt
habe, ist eine mehr als kühne Hypothese, zumal doch gerade in
den Dankpsalmen (1 Q H VI 7 und 8) der Heilige Rest ausdrücklich
nicht mit einem Wort vom Stamm n s r bezeichnet wird, sondern
m i s' ä r (parallel zum folgenden: „kleine Menge", nicht
„geringe Lebenskraft", wie Bardtke übersetzt) und sche'erith
heißt. Sodann heißt es alle Unterschiede nivellieren, wenn man
auch hinter dem von Matthäus bevorzugten Na£cogaios, selbst
wenn Matthäus dabei nur an Jes. 42 und 49 gedacht haben sollte,
einen Repräsentanten des „heiligen Restes" sehen wollte — im
Munde eines solchen wäre Matth. 22, 1—10 unmöglich! Gegen
diese Feststellung würde der Nachweis, daß die das Wort n s r
enthaltenden Texte im NT im Hinblick auf einen Begriff
NatcogaToi „die Bewahrten" zitiert werden, auch dann nicht
ins Gewicht fallen, wenn er — was überdies unwahrscheinlich
ist — richtig wäre. Was die drei anderen Stellen „außerhalb" der
Bibel anlangt, an denen eine n s r -Terminologie begegnet —
man vermißt hier übrigens die Karder-Inschrift, in der N'CL'Y
= näsa/oräi neben KLSTYD'N = kristiyän genannt
werden —, so ist gerade auf Grund der eben gemachten
Einwände noch nicht bewiesen, daß sie auch von der Bibel unabhängig
sind. Die Argumente, die für einen Zusammenhang dieser
Stellen mit der aramäischen Bezeichnung für „Christen" bisher
vorgebracht worden sind, hätten vom Verf. konsequenter Weise
bestritten und die Texte unter dem Vorzeichen seines neuen
Bedeutungsansatzes abermals interpretiert werden müssen; so,
wie er sie anführt, wird nicht recht klar, was sie eigentlich beweisen
sollen.

Positiv wäre zum Nazoräer-Problem zu sagen, daß Schaeders
Argumente, daß das et) durchaus auf ein Schwa wie im Städtenamen
näsrath zurückgehen kann (ThWb IV 882), bisher
nicht entkräftet sind. Unbegreiflicherweise sagt G. zweimal (p. 9
und 11) trotz seines eigenen Hinweises auf Schaeder, daß die
Herkunft des ö-Lautes dunkel bleibe. Die Ableitung von
NaCcogalog vom Namen der Stadt Nazareth scheint mir also
durch Gärtners Abhandlung nicht widerlegt zu sein. Das schließt
nicht aus, daß die Mandäer den überkommenen Namen
näse/°räjä anders gedeutet haben (aber wohl kaum als „die
Bewahrten"); ihr Christenhaß (dazu K.Rudolph, WZU Leipzig
1957/58, p. 651—659) braucht nicht dagegen zu sprechen, daß sie
de facto die alte syrische Bezeichnung für „Christen" auf sich