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1961 Nr. 7

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 7

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,,Sämtlicher Werke" Wicherns bezieht. Da dieses Unternehmen
längere Zeit in Anspruch nehmen wird, ist die von Karl Janssen
besorgte Handausgabe „Ausgewählter Schriften" in drei Bänden
sehr zu begrüßen. Für die Besprechung liegen vor:
Band I : Schriften zur sozialen Frage,
Band II: Pädagogische Schriften.
Der III. Band soll die „Denkschrift", Schriften zur Gefängnisreform
und das Register enthalten. Für diese Handausgabe, die auf die
Mahlingschen „Gesammelten Schriften" zurückgreift, ist die Auswahl
so getroffen, „daß aus jedem Jahrzehnt das Kennzeichnendste
und auch für die Gegenwart Wichtigste geboten" werden soll. Eine
solche Beschränkung erfordert eine außerordentlich gute Sachkenntnis
, die vom Herausgeber in den Einleitungen zu den Bänden
aufgewiesen wird. Darin besteht der Vorzug dieser Ausgabe,
daß sie nicht nur das Material darbietet, sondern eine umfassende
theologische Orientierung über W.s Leben und Wirken und sein
theologisches Denken ermöglicht. Was dort niedergelegt ist, ist
auf knappem Raum eine hilfreiche Interpretation der nicht ganz
unproblematischen Gestalt W.s. Besonders 6tark wird die
Geschichtstheologie des Charismatikers der Liebe
herausgearbeitet. „Er stellt sich als Christ und Theologe seiner
Zeit vorbehaltlos." Damit wird auch seinem sozialen Wirken bei
aller Weitläufigkeit seiner Bemühungen die entscheidende Mitte
zugewiesen. „Wichern vertritt in dem großen Kreise der heilsgeschichtlichen
Theologen .. . einen sehr interessanten Typus."
„Er ist nie auf den Gedanken gekommen, seine Zeit lediglich als
Zeit des Verfalls zu betrachten, ebensowenig wie er sie mit dem
fröhlichen Fortschrittsoptimismu6 des damaligen Bürgertums zu
betrachten wünschte. . .. Unmittelbar neben der Treue zur Geschichte
, die Wichern fordert, steht die harte Anklage gegen dieselbe
Geschichte, die eine ererbte Schuld der Gegenwart begründet
hat." Anschließend an die Erörterungen über die theologische
Struktur 6eines Wesens und Wirkens werden die Leser in seine
sozialen Leitgedanken eingeführt. Leider vermißt man an dieser
Stelle eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Marxismus,
der erhebliche Vorwürfe gegen Wicherns Sozialprogramm und
-praxis erhebt. Vgl. dazu die Ausführungen von Emil Fuchs in
„Marxismus und Christentum" (§ 2).

Die Einleitung zum II. Band gibt Grundlinien der Pädagogik
Wicherns in der Darstellung von Karl Janssen, die das Verständnis
dieser weitwirkenden evangelischen Erziehungsarbeit ermöglicht.

Wir halten die Ausgabe wegen der Sachkenntnis und Gründlichkeit
in der Auswahl, aber ganz besonders wegen der hilfreichen
Einordnung der vorgelegten Schriften in den profan- und
theologiegeschichtlichen Raum für außerordentlich wertvoll und
empfehlen sie insbesondere zum Gebrauch in den Ausbildungsstätten
und für den praktischen Erzieher.

Leipzig Heinz Wagner

Voelter, Hans: Die evangelisch-soziale Bewegung und der Bietigheimer
Tag. Der Evangelisch-soziale Kongreß und die württembergische
evangelisch-soziale Vereinigung. Stuttgart: Scheufeie [1959].
91 S. 8° = Sonderdruck der Blätter für württembergische Kirchengeschichte
19 59.

Die Broschüre ist ein Bericht über die Tätigkeit der dem
evangelisch-sozialen Kongreß angeschlossenen Kreise in Württemberg
. Er ist für mich sehr reizvoll dadurch, daß sehr viele der
Männer und Frauen, die er erwähnt, mir persönlich bekannt, ja,
befreundet waren und sind, soweit sie noch leben. Andererseits
wird mir wieder deutlich klar, wie in Württemberg die Gegensätze
in weniger schroffer Form auftraten und so auch die wirklichen
Probleme weniger tief durchlitten und durchkämpft wurden
. Der Kreis der religiösen Sozialisten und seine führenden
Männer treten nur am Rande ein wenig ins Licht. So erscheint
das Werk fast nur als ein Sichmühen und Verstehen zwischen
Kirche und Sozialdemokratie, der Arbeiterbewegung. Die schwere
Frage nach den tiefsten Ursachen des Atheismus, der Glaubens
feindlichkeit so weiter Kreise unseres Volkes ist nicht das
entscheidende Thema, Christoph Blumhardt wird nur so nebenbei
erwähnt, ebenso der zarte, so tief gewissenhafte Jünger Blumhardts
Eberhard Lempp, der für so viele in Württemberg echtester
Berater war und ist. So ist das Ergebnis der nach 1945 wieder
aufgenommenen Arbeit die sehr zufriedene Feststellung, daß nun

erreicht ist, daß die führende Schicht der SPD jeden Gegensatz
gegen christliche Überzeugung aus dem Parteiprogramm gestrichen
hat. Ein Mensch, der wie ich, die Tiefe dieser Nöte seit Jahrzehnten
durchsteht, fragt sich zum Schluß: Ist nun in dieser ganzen
Arbeit für Kirche, Partei, Arbeiter etwas geschehen, was mehr
bedeutet als auf der anderen Seite der weihnachtliche Kirchgang
finanziell gewichtiger Menschen? Die Fragen des evangelischsozialen
Kongresses und gar der religiösen Sozialisten fragten
um mehr, und die dort einst eingesetzten Kräfte werden zu ihrer
Zeit Größeres bedeuten.

Leipzig EmilFuchi

Berger, Peter L.: Die soziologische Struktur einer Kirchengemeinde.
Zeitwende XXXI, 1960 S. 325-335.

Best, Erne6t E.: Max Weber and the Christian Criticism of Life.
Theology Today 16, 1959 S. 203-214.

Bis sing, W. M. Frhr. von: Die evangelische Predigt in der modernen
Industriegesellschaft.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1961 S. 105—114.

Demarchi, Franco: Calvinismo e capitalismo.
Protestantesimo XIV, 1959 S. 225-230.

Deuringer, Karl: Probleme der Caritas in der Schule von Salamanca.
Freiburg: Herder 1959. XXIII, 227 S. gr. 8° = Freiburger theol. Studien
, hrsg. v. J. Vincke. H. 75. Kart. DM 16.—.

Gustafson, James M.: Christian Attitudes towards a Technologi-
cal Society.

Theology Today 16. 1959 S. 173—187.
Karrenberg, Friedrich: Christlich-sozial heute.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1961 S. 90—104.
Langhans, Manfred: Zur Religionssoziologie.

Deutsches Pfarrerblatt 60, 1960 S. 79—82.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Till ich, Paul: Frühe Hauptwerke. Hrsg. v. Renate Alb recht.
Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk [1959]. 436 S. 8° = Gesammelte
Werke Bd. I. Lw. DM 32.60.

Die Gesamtausgabe der Werke von Paul Tillich, die mit dem
vorliegenden Band beginnt, ist auf neun Bände veranschlagt.
Die in drei Bänden geplante „Systematische Theologie", von der
zwei vorliegen, soll daneben als Sonderreihe weitergeführt werden
, wie auch die „Religiösen Reden". Es kann nur mit dem
Ausdruck des Dankes vermerkt werden, daß das in 6einer vielfältigen
Fülle von Anfang an erstaunlich geschlossene Gesamtwerk
so der deutschsprachigen Theologie zurückgewonnen und ak
Ganzes erneut in ihrem Bewußtsein verankert wird. Der 1. Band
bringt vier frühe Arbeiten und eine auch die Rezensionen und
Vorworte umfassende, bis 1959 fortgeführte Bibliographie. Die6e
Bibliographie spiegelt das bewegte und bewegende Schicksal des
Denkers, seinen Weg aus dem deutschen in das amerikanische
Geistesleben und schließlich zur Synthese beider Welten. Die
wieder vorgelegten Werke, es sind die Nr. 2, 19, 23 und 37 des
bibliographischen Registers, reichen über 35 bis (im Falle der
theologischen Dissertation) 48 Jahre zurück. So frisch und in Ansehung
ihrer Bedeutung für das spätere Werk interessant sie
sind, so kann es doch nicht der Zweck der Anzeige sein, sie im
eigentlichen Sinne hier zu „rezensieren".

Am Anfang steht die Lizentiatendissertation (1912) „Mystik
und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung".
Sie veranschaulicht dem Kenner, welche Art von Anstößen T.
diesem oszillierenden Denker, seiner die Grenzen des Idealismus
eigenartig überschreitenden Systematik und der Kühnheit seines
Zugreifens verdankt. Es folgt „Das System der Wissenschaften
nach Gegenständen und Methoden. Ein Entwurf" (1923). Hier ist
nicht weniger als eine ganze Wissenschaftslehre geboten, wie sie
in gleich eindrucksvoller Systematik seither — soviel ich sehe —
nicht mehr aufgestellt worden ist. Man ermißt daran einen
Augenblick, wie stark doch in den zwanziger Jahren noch die
lebendigen Nachwirkungen des Idealismus waren und wie sehr
wir uns seither davon entfernt haben. Aber das mindert die Bedeutung
dieses Werkes von T. nicht, es ist vielmehr darin vorbildlich
, daß hier die Legitimation von Theologie und Philosophie
im System der Wissenschaften unternommen wird. Hier,
und noch mehr in der folgenden Schrift kommen dann auch die