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Ausgabe:

1961 Nr. 7

Spalte:

500

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rétif, André

Titel/Untertitel:

Das Heil der Völker 1961

Rezensent:

Hertzberg, Hans Wilhelm

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499

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 7

500

gen Charakter" .. . „So manifestiert der Mensch . .. den Primat
des Geistes über den Stoff"? Mir scheint, diese letzten
Sätze sind eher griechisch als alttestamentlich gedacht.

Am Schluß wird sehr vorsichtig und zurückhaltend von
Gen. 1 zum Neuen Testament hinübergewiesen (S. 112): „Dann
offenbart Gen. 1 die erste Phase eines großen Heilsplans, so daß
die Schöpfung des Menschen als incarnatio imaginis Dei ihren
tiefsten Sinn darin hat, daß 6ie auf die incarnatio Dei vorausdeutend
vorbereitet."

2.) Genesis 2—3: Bei der Bestimmung des literarischen
Charakters von Gen. 2—3 betont R. mit Recht die Einheitlichkeit
der Perikope trotz der Anzeichen eines Zusammenwachsens auf
einem längeren Traditionsweg; die auffällige Gottesbezeichnung
Jahve Elohim' spricht für diese Einheitlichkeit und läßt noch erkennen
, daß es einmal eine selbständige Einheit war, die vom
Jahvisten aufgenommen wurde. (Hier wünschte man einen kurzen
Hinweis auf Ort und Funktion der jahvistischen Urgeschichte im
ganzen, die doch nur von Genesis 12, 1—3 her recht zu sehen
ist.) Sehr schön zeigt er das Entstehen „nicht aus geschriebenen
Urkunden, sondern aus lebendigen Quellen", die Einzigartigkeit
der Erzählung zwischen den außerbiblischen und den biblischen
Parallelen. Die Erzählung ist als Wort aus ihrer Zeit an diese
Zeit gerichtet zu verstehen: „Gen. 2 f. ist sicher nicht nur aus
dem Interesse an der Vergangenheit geboren. Der Hagiograph
läßt die Tatsachen selbst sprechen und predigen. . . Ohne die
Form einer Predigt anzunehmen, geht von dem Bericht ein beredter
Appell an Israel aus. Es ist derselbe Appell, wie die Propheten
ihn an Israel richten . .. Unser Bericht wird getragen von
der prophetischen Schau auf das sündige Israel." Damit erhält er
seinen ,Sitz im Leben'.

Bei der Exegese von Gen. 2 f. zeigt sich ein wesentlicher
Unterschied zur evangelischen Auslegung. Ich stimme ganz überein
mit der Sicht der Perikope als ganzer: „Gen. 2 ist eigentlich
kein zweiter Schöpfungsbericht. . . Gen. 2 hat keinen Selbstzweck,
sondern ist ganz und gar Gen. 3 untergeordnet" (S. 138 f.), und
auch mit der guten Gegenüberstellung von Gen. 1 und 2 f. (sie
antworten auf verschiedene Fragen) S. 139. Von dieser Sicht erwartet
man eine Exegese, der es primär und eigentlich um das in
2—3 Geschehende, „das Drama von Gen. 3" geht. Dies ist wohl
auch beabsichtigt; tatsächlich aber hebt die Exegese die wichtigsten
topoi von Genesis 2 und 3 in einem Nebeneinander
heraus; das zeigen die Überschriften dieses Teils; allein vier
Kapitel handeln von dem .Wundergarten', die anderen Hauptpunkte
sind die anthropologischen Grundbegriffe, Erschaffung der
Frau, Monogenismus, Erbsünde, die Schlange, der Urteilsspruch,
das Proto-Evangelium. Man hat am Ende doch ein wenig den Eindruck
, daß die Geschichte selbst, also das einfache Geschehen,
das die Bibel berichtet, etwas zu sehr hinter den topoi, den Lehrpunkten
zurückgetreten ist. Das zeigt sich zum Beispiel daran,
daß gerade die bewegtesten Abschnitte dieses Geschehens entweder
ganz in den Hintergrund treten oder in der Auslegung
überhaupt nicht erwähnt werden wie der Dialog der Verführung
und die Frage Gottes: Adam, wo bist du? Gerade darin bekommt
in der Exegese die ,Lehre', die es mit Lehrgegenständen zu tun
hat, das Übergewicht über das Übersetzen und Vergegenwärtigen
eines Geschehens, das doch Gen. 2 f. zunächst einmal darstellt
und mit dem es daher auch die Exegese zunächst zu tun hat. Dabei
muß aber gleich bemerkt werden, daß das Gespräch zwischen
Exegese und Dogma in der für einen katholischen Exegeten gegebenen
Situation glänzend geführt wird. Wie hier der Exeget in
ganzer Loyalität gegenüber der Kirchenlehre von den Texten der
Bibel her auf Grenzen kirchlicher Lehrbeschlüsse weist, ihr
andererseits neue, kräftige Impulse gibt, daran könnte auch
evangelische Auslegung lernen. Wie der Verfasser etwa bei der
Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes sich mit den Sätzen
der Bibelkommission von 1909 auseinandersetzt, das ist für
das interkonfessionelle Gespräch wirklich hilfreich. Andererseits
fragt man sich gerade hier: ist es richtig, daß in einer Auslegung
von Gen. 2—3 auf diese Einzelheit soviel Raum und Scharfsinn
verwandt wird, während, wie gezeigt, andere Abschnitte in der
Auslegung so stark zurücktreten? Die Auseinandersetzung mit
dem Dekret endet mit einigen wichtigen Bemerkungen, die das

begrenzte Problem dieser Stelle in den Horizont des großen Problems
des Verhältnisses zwischen den beiden Testamenten stellt;
und dazu wird gesagt: „Auf diesem Gebiet ist die Forschung eben
erst in Gang gekommen." Es wird hell beleuchtet durch das Beispiel
der Jona-Erzählung im Verhältnis zu Mt. 12, 14.

Nicht überzeugt hat mich das Schlußkapitel, „Das Proto-
Evangelium" (Gen. 3, 15). Der Einleitung dieses Kapitels auf
S. 256 f. 6timme ich voll zu. Sie endet in dem Satz: „Die Paradiesesbeschreibung
der Genesis will bezeugen, daß es für den
sündigen und elenden Menschen eine Hoffnung gibt." Aber kann
nun der Exeget wirklich so fortfahren: „Die bündige Formulierung
dieses Glaubens ist das Proto-Evangelium"? Hier meine
ich, zeigt sich die Gefahr einer Auslegung, die das einfache Geschehen
des hier Berichteten zu sehr hinter dessen Lehrgegenständen
zurücktreten läßt. Läßt man dieses Geschehen in seinem
starken Gefälle selber sprechen, so ist zwar R. gegen viele Ausleger
dieser Kapitel darin durchaus zuzustimmen, „daß hier wirklich
eine Heilsperspektive vorhanden ist" (S. 258); aber doch
wohl kaum in dem festgeschlossenen Abschnitt, der Gottes strafendes
Urteil ausspricht (also 11—19), sondern wahrscheinlich in
dem Schlußabschnitt 20 ff., der indirekt sagt, daß Gott die Menschen
dennoch leben ließ und sie darin begnadigte. Und eben
dies ist andeutend, aber doch hörbar genug in Vers 21 ausgesprochen
(R. sieht das auch, S. 261 unten!), der ein Grundmotiv
der Erzählung aufnimmt und abschließt. Ich meine, die Intention
der Lehrtradition vom Proto-Evangelium ist durchaus
anerkannt, wenn man die .Heilsperspektive' von Gen. 2 f. dort
sieht, wo sie nur liegen kann, wenn man die Geschichte selbst in
dem ihr eigenen Gefälle zu Wort kommen läßt.

Erfreulich ist die zuchtvolle, klare Sprache der Auslegung,
die in guter Weise den Nichttheologen in die großen Fragen der
alttestamentlichen Exegese hineinleitet.

Heidelberg Claus Westermann

R e t i (, Andre, u. Paul Lamarche: Das Heil der Völker. Israels
Erwählung und die Berufung der Heiden im Alten Testament. Deutsche
Bearbeitung v. J. E. G u n 11 i, OSB. Düsseldorf: Patmos-Verlag
[i960]. 109 S. 8° = Die Welt der Bibel. Kleinkommentare zur Heiligen
Schrift, hrsg. v. E. Beck, E. Hillmann, E. Walter, H. 9. Kart.
DM 4.80.

Das kleine Buch, die deutsche Übersetzung des französischen
„Le Salut des Nations", will zeigen, wie der Üniversalismus von
Anfang an im AT vorhanden gewesen ist, allerdings mit parti-
kularistischen Gedankengängen dauernd im Streit liegt. Dabei
6ind die Verfasser sich bewußt, daß die Betonung der Besonderheit
Israels notwendig war, „um seine providentielle Aufgabe
für das Heil der ganzen Welt besser erfüllen zu können" (S. 27).
Die (katholischen) Verfasser sind dabei kritischer Stellungnahme
durchaus offen, und trotz der volkstümlich gehaltenen Diktion
verrät jede Seite, daß das Buch um den heutigen Stand der Diskussion
weiß, ja, in diesem mitten drin steht. Die geschichtlichen
Bücher werden sowohl nach ihren Quellen bewertet wie auch als
Gesamterscheinungen, was methodisch wichtig ist. Bei manchen,
auch prophetischen Büchern, wird ein „negativer Universalismus"
festgestellt. Eine Stelle wie Am. 9, 12 z. B. kann erst durch die
LXX (vgl. Act. 15, 171) positiv-universalistisch gedeutet werden.
Ein Mann wie Hosea „hat die universale Reichweite der Güte
Jahwes wohl nicht klar erkannt" (S. 45), aber „das Verständnis
für die alle Menschen umfassende Erlösungsgnade . . . vorbereitet
". Bei Deuterojesaja wird die mitunter vorhandene partikula-
ristische Einstellung durch die Ebed-Jahwe-Lieder überwunden —
ein origineller Gedanke! Auch bei Daniel ist, trotz der zeitgeschichtlichen
Bedingtheit, eine „Philosophie der Heilsgeschichte"
nicht zu verkennen (S. 8 3). In den Psalmen sind das Universalistische
und das Partikularistische deutlich nebeneinander zu
sehen. Der Weg zu einer Versteifung des Letzteren ist eben
immer offen, aber von der universalistischen Haltung her gehen
vom AT die Linien auch dem NT entgegen. So kann das für
weitere Kreise gedachte und gefällig geschriebene Büchlein, dessen
Umfang keine erschöpfende Behandlung des Gegenstandes zuläßt
, dennoch einen guten Durchblick durch die Problematik der
Sache verschaffen.

Kiel Hans Wilhelm H e rtzb e r g