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Ausgabe:

1961 Nr. 7

Spalte:

493-497

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Morenz, Siegfried

Titel/Untertitel:

Aegyptische Religion 1961

Rezensent:

Bonnet, Hans

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493

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 7

494

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Morenz, Siegfried: Ägyptische Religion. Stuttgart: Kohlhammer
[i960]. XVI, 309 S. gr. 8° = Die Religionen der Menschheit, hrsg.
v. Chr. M. Schröder. Bd. 8. Lw. DM 27.-.

Als ich vor Jahren das bekannte, grundlegende Werk von
Kees „Der Götterglaube im alten Ägypten" anzeigte, bezeichnete
ich im Rückblick auf das Erreichte als nädiste Aufgabe der Forschung
, ihr Ziel weiter hinauszurücken und über Lehre und
Theologie vorzudringen zum Glauben. In dem vorliegenden
Werk ist diese Aufgabe in aller Klarheit in Angriff genommen
und mit großem Geschick durchgeführt worden. Kaum ein anderer
war dazu so berufen wie eben M.; denn dieser ist nicht nur
in den ägyptischen Überlieferungen zu Hause, er ist auch religi-
onsgeschichtiich und theologisch geschult, und er ist — und das
wiegt noch mehr — ein Mensch, der weiß, was Religion ist. Dieses
Wissen schärft seinen Blick und gibt ihm eine Kraft der Einfühlung
, die ihn durch das Vordergründige greifbarer Tatbestände
durchstoßen und zu Fragestellungen vordringen läßt, deren Behandlung
an das Innerste rührt, so daß sich in ihr der Kern des
Lebens enthüllt und wir einen Einblick in die Seele des Ägypters
und in den Aufbau seines religiösen Lebens gewinnen.

Damit ist an Letztes gerührt, und so mag es eine lockende
Aufgabe scheinen, das Werk anzeigen zu dürfen. Freilich ist es
nicht leicht, einen Weg zu finden, der dem Gewicht und dem
Ethos des Werkes angemessen wäre. Eine kritische Würdigung,
die da und dort Bedenken anmeldet, an anderen Stellen auch
wohl Eigenes vorträgt, griffe völlig fehl. Sie trüge das Stigma
kleinlichen Mäkeins an sich und würde nicht fördern. Denn was
M. sagt, ist so wohl abgewogen und so gründlich durchdacht, daß
man gut tut, seine Aufstellungen stehen und auf sich wirken zu
lassen, auch wenn man ihnen fürs erste nicht ganz zu folgen vermag
. Gewiß wird man trotzdem nach der Zuverlässigkeit und
Tragfähigkeit des Gebotenen fragen. Dann möge die Versicherung
genügen, daß der Referent, der oft und ernstlich über die
gleichen Fragen nachgedacht hat, keinen Anlaß sieht, Abstriche
vorzunehmen, die an die Grundthesen des Verfs. oder zum mindesten
an die Berechtigung seiner Fragestellungen und seiner
Lösungsversuche rührten. Im übrigen geben die zahlreichen und
sorgfältig redigierten Anmerkungen mit ihren Belegen und Literaturnachweisen
dem mitarbeitenden Leser ein ausreichendes
Rüstzeug zur Nachprüfung und Vertiefung an die Hand.

Auch ein Resümee würde dem Charakter des Buches nicht
entsprechen. Denn alles ist aus einem Guß und eines greift in das
andere. Jede Verkürzung würde darum eine Beeinträchtigung bedeuten
und trüge die.Gefahr einer Verunklärung in sich. Es gibt
eben Bücher, denen eine Anzeige nur gerecht werden kann, wenn
sie zur Lektüre selber auffordert, und diesen gehört das vorliegende
Werk zu.

Aber schließlich ist einer Besprechung auch noch eine andere
Aufgabe gestellt, und diese will mir hier von besonderer Wichtigkeit
dünken. Sie muß über den Standort und damit über das Anliegen
des Verfs. unterrichten. Denn nur wenn man weiß und
ständig im Auge behält, was dieser will und was er nicht will,
ist sein Werk vor Mißverstehen und wohl auch vor Mißbrauch
gesichert. Da ist fürs erste zu unterstreichen, daß M. nicht etwa
eine Geschichte der ägyptischen Religion darbieten will; seine
Arbeit ist vielmehr mit aller Bewußtheit phänomenologisch
ausgerichtet. Es geht ihm also nicht um ein Bild, das alle Tatbestände
und Äußerungen religiösen Denkens und religiöser Praxis
umgreift und ihre Entwicklung unter Einbeziehung der Einflüsse
, die von den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten
ausströmen, ins Auge faßt. Er will vielmehr in das Innerste
des religiösen Lebens selber einführen und seine Wurzeln und
Triebkräfte wie seine Strukturierung sichtbar machen. Er redet
darum nicht von den zahlreichen Göttergestalten mit ihren Kulten
und Mythen. Nur mehr anhangsweise werden die wichtigsten
Gottheiten mit ihren Namen und ihre Eigenart charakterisierenden
Stichworten katalogartig aufgezählt. Das Interesse des Verfs.
gilt eben nicht den sichtbaren Formen, in denen sich die Gotteswelt
darstellt, sondern den Vorstellungen über göttliches Sein
und göttliches Wirken, die sich hinter der Fülle der Gestalten als

wesensbestimmend enthüllen. Auch die großen Götterlehren entfaltet
er nicht umständlidi in ihrem gedanklichen Aufbau.
Schwerer als die gelehrte Arbeit des Theologen wiegt ihm das
religiöse Interesse, aus dem sie geboren sind. Er findet es in dem
Drang, aus Aporien herauszukommen und einen Weg zu bahnen,
der das Glaubensanliegen sicherstellt, das nicht nur den Priester,
sondern auch die Menge der Gläubigen bewegt.

So geht es M. immer um die Lebensmitte. Einen breiten Raum
nimmt darum in seinen Ausführungen die Darstellung der inneren Beziehungen
zwischen Gottheit und Mensch ein, das Handeln der Gottheit
, wie es in Gebot und Weisung, Eingebung und Schickung und nicht
zuletzt in den Geheimnissen des Lebens wie des Todes erfahren wird,
und die Antwort des Menschen, die in Kultus und Frömmigkeit ihren
Ausdruck findet. Beides nimmt M. zusammen, da er auch im Kult nur
die Frömmigkeit sucht. Darüber rückt in der Forderung eines Wandels,
der in Verantwortung vor der Gottheit geführt wird, auch der Einfluß
der Religion auf die Lebensführung ins Licht und gibt zu beachtenswerten
Betrachtungen über die Maat, d. h. das Rechte, was Gott will,
und ihr Gegenbild, die Sünde, Anlaß. Wieder ist es bezeichnend, daß
sich dabei der Verf. im besonderen der gewiß zentralen, aber doch
schwer angreifbaren Frage zuwendet, wie sich der Ägypter vergewissert
habe, was im Einzelfall Maat sei.

Noch in manch anderen Stücken ließe sich die Einstellung
des Verfs. zu seinem Gegenstand dartun; aber ich breche ab.
Deutlich genug ist ja geworden, daß er seine Aufgabe völlig anders
anfaßt, als es sonst gemeinhin gesdiieht. Es geht eben M.
ganz um den Glauben, und sich diesem zu nähern, hat man bisher
in nur mehr tastenden und nicht immer glücklichen Ansätzen
versucht. Verständlich ist diese Zurückhaltung schon. Hinter ihr
steht die Frage, ob es für uns überhaupt möglich ist, ohne arge
Fehlschlüsse so tief in das innere Leben des Ägypters einzudringen
. Sie ist in der Tat sehr ernst zu nehmen, und so wird es
an solchen nicht fehlen, die dem Bemühen des Verfs. mit mehr
oder weniger Skepsis begegnen.

Von vornherein ist ja auch zuzugeben, daß die Gefahr,
eigene Empfindungsweisen in fremde Vorstellungskreise hineinzutragen
, im besonderen zur Problematik der Phänomenologie gehört
. Niemand kann sich seines Innersten entäußern, und der
religiöse Mensch, der über Religion schreibt, soll es auch nicht
einmal; denn er würde sich damit des Sensoriums für religiöse
Werte begeben. Eines Korrektivs bedarf es freilich. Es liegt in
einer gewissenhaften Durchdringung des Tatsachenmateriales und
vor allem einer sauberen Interpretation der Texte, die sich auch
rein philologisch zu rechtfertigen vermag. M. weiß dieses Korrektiv
zu handhaben. Das zeigen schon die im ganzen freilich nur
dem Fachmanne spürbaren selbständigen Untersuchungen, die
hinter vielen seiner Darlegungen stehen. Trotzdem werden — und
das kann kaum anders sein — in dem Leser doch je und dann
Zweifel auftauchen, ob die Aussagekraft der Texte nicht doch
überschätzt und eben der Punkt erreicht ist, in dem ein dem
Ägypter fremdes Empfinden einfließt.

Kann man, um dafür ein Beispiel zu geben, ein Gebet „Mögest Du
Maat in mein Herz geben" wirklich mit Paul Gerhardts „O Jesu, Jesu,
setze mir selbst die Fackel bei" konfrontieren? Wird man sich nicht
überhaupt, wenn von der Leitung des Menschen durch die Gottheit die
Rede ist, auch jenes urtümlichen Glaubens erinnern müssen, daß im
Menschen und insbesondere in seinem Herzen Götter wohnen, die sein
Handeln bestimmen und u. U. auch zu sehr Unheiligem leiten? Redet
doch noch zur Zeit der 22. Dynastie ein Priester des Amun sein Herz
als Gott an, der zum Lebensgenuß auffordert. „Das Herz ist ein Gott,
seine Kapelle ist der Magen, und er freut sich, wenn die Glieder in
Feststimmung 6ind." Den Weisungen dieses Gottes zu folgen, war
jenem Priester schließlich auch Maat. Primitive Grundlagen brechen
also immer wieder auf.

Man verstehe mich nicht falsch. Ich will keineswegs sagen,
daß der Ägypter immer in solch massiven Denkformen verharre
und die Interpretation von M. nicht zum mindesten in der Ebene
des Diskutierbaren läge. Ich möchte vielmehr auf einen anderen
Tatbestand hindeuten, der für das Verständnis des Werkes wesentlich
ist. Jede Religion ist mehrschichtig, d. h. unter den gleichen
Worten und Formen bergen sich Glaubens- und Frömmigkeitshaltungen
, die sehr verschieden gestimmt sein können. Das
wird vor allem dann der Fall sein, wenn es an einer fest umschriebenen
Lehre und an einer sie kontrollierenden Kirche fehlt,
auf deren Richtschnur zuletzt doch alles einschwingt. So stehen
in der ägyptischen Religion zu allen Zeiten Glaubens- und Ver-