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1961 Nr. 6

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 6

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man wohl den Eindruck, daß der Verf. mehr an dem einzelnen
Theologen hängt als an der Erlanger Theologie, so z. B. bei
seiner eingehenden Schilderung Thierschs. Andererseits wird uns
dadurch auch wieder eine Gestalt wie Wiener, der, so kurz er
auch nur in Erlangen wirken durfte, doch sehr zur Erlanger
Theologie gehört, lebendig vor die Augen gestellt.

Der Verf. hat mit umfassender und sorgsamer Benützung
der bisherigen Literatur gearbeitet, dazu aber auch noch eine
Reihe handschriftlicher Quellen in Archiven und Privatbesitzen
herangezogen. Seine Aufgabe sah er als Historiker natürlich vor
allen Dingen in der Aufzeigung der verschiedenen Zusammenhänge
. Er mußte bei seinem Thema darüber hinaus auch auf
systematische Fragen eingehen und hat das mit Klarheit und Geschick
getan, um sowohl die verschiedenen Übergänge als die sich
herausbildenden Unterschiede kurz und anschaulich aufzuzeigen.
Es darf überhaupt als Vorzug des Buches gerühmt werden, daß es
anschauliche, lebendige Eindrücke vom Gesamtverlauf wie von
einzelnen Punkten vermittelt.

Aus äußeren Gründen wurde darauf verzichtet, bei den älteren
Personen alle Lebensdaten zu bringen. Man hätte es vielleicht
doch nicht unterlassen sollen. Recht oft werden Zeitschriftenaufsätze
oder Einzelarbeiten aus Sammelwerken nach
Sonderdrucken zitiert. Das empfiehlt sich nicht. Der Benützer bekommt
leichter die Gesamtveröffentlichung in die Hand als einen
Sonderdruck.

Daß das Buch auch gut ausgestattet ist und die führenden
Männer in bezeichnenden Bildern vorführt, soll schließlich nicht
unerwähnt bleiben.

Wenn man das Buch zu Ende gelesen hat, bedauert man, daß
es nicht wenigstens bis in die Zeit des ersten Weltkrieges herauf
weitergeführt wurde. Vielleicht aber veranlaßt die Aufnahme, die
es hoffentlich findet, den Verf. zu dieser Fortsetzung.

Nürnberg Matthias Simon

Biet, Pierre: Les canons de Sardique et les Libertes Gallicanes. A

Evdokimov. Paul: L'Orthodoxie. Neuchätel-Paris: Deladiaux &
Nicstle [1959]. 351 S., 5 Taf. gr. 8° = Bibliotheque Theologique,
publ. par J.-J. von Allmen. sfr. 15.—.

Der russisch-orthodoxe Verf. dieses bemerkenswerten Buches
schreibt auf S. 41 über die von ihm angewandte Methode:
,,Nous avons choisi consciemment la methode descriptive, stric-
tement objective . . . mais la catholicite orthodoxe passant dans
notre ctre meme - teile une source - et dont nous sommes et vivons,
eile est dans ce monde mais n'est pas de ce monde, et par cela
est inorganisable, inobjectivable et informulable". Unter dem
Dualismus dieser, nach seiner Meinung zum Wesen der Orthodoxie
gehörenden Methode steht denn auch seine gesamte Darstellung
. Sie will mehr als nur eine Art konfessioneller Selbstdarstellung
sein, sie will nicht nur reine Tatsachenforschung und
deren Ergebnisse ausbreiten, sie will, und das wird wiederholt
ausdrücklich betont, die Einheit und Fülle (,,unite et plenitude")
der orthodoxen Kirche in der Lehre und in der Liturgie entfalten.
Evdokimov bringt hierfür ein umfassendes Wissen der „objektiven
" und „inobjektiven" Materien mit, d.h. der vordergründigen
Tatsachen und der hintergründigen, mystischen Zusammenhänge
derselben. Das wird z. B. an dem bemerkenswert kurzen Kapitel
über das kanonische Recht (S. 18 5—187) klar, eine Kürze, die
völlig im Wesen der oben genannten Methode des Verfs. liegt.
Das Phänomen des kanonischen Rechtes in der orthodoxen
Kirche erscheint auf zwei Ebenen oder „Plänen": .....il ne faut

jamais confondre les deux plans bien distinets, ni sourtout dog-
matiser les canons. Ceci affirme, il faut relever le lien direct qui
les place dans une reeiprocite fonctionelle. Les canons sont l'ex-
pression exterieure, visible, historique et mobile de l'immuable
des dogmes. L'expression et les formes existentielles changent
suivant les circonstances et l'äge historique de la chretiente. ..
Sans jamais pretendre ä la plenitude exhaustive de ses formes
diseiplinaires, le droit canonique realise l'ordre charismatique le
plus correctement possible dans des conditions historiques
donnees, afin de le preserver de toute deviation qui toucherait ä
Lesse immuable de l'Eglise" (S. 186). Unter jeder äußeren
Form orthodoxer Frömmigkeit, Liturgie und Lehre spürt E. also
den geistlichen Quellen nach, die nach seiner Auffassung erst das
Wesen, „Lesse immuable de l'Eglise" ausmachen.

Den Stoff hat Verf. folgendermaßen entfaltet: Introduction
historique (S. 7—43); I. Introduction, II. Byzance apres Byzance,
III. Pro Domo Sua (hier spricht E. von seiner oben angeführten Methode
). 1. Teil: Anthropologie (S. 47—119): I. Les premisses
orientales de la theologie patristique, II. Anthropologie, III. Les ori-
gines et les fins, IV. Anthropologie de la deification, V. L'ascetisme,
VI. L'experience mystique et le face ä face de la saintete. 2. Teil:
Ecclesiologie (S. 123—170). Dieses Kapitel umfaßt die theologisch
-philosophischen Voraussetzungen der Ekklesiologie, ihren mystischen
Theandrismus (S. 126) wie ihren christologisdien Aspekt (S. 140
—142), aber auch die „notae ecclesiae" (S. 154—157), ihren konziliaren
Charakter (S. 158—161), die Mysterien des Priestertums (S. 164—166),
um mit der vorzugsweisen russischen Missionstätigkeit zu schließen
(S. 166—170). 3. Teil: La foi de L'Eglise (S. 173—197): I. Le
dogme, II. La täche dogmatique des conciles et leur heritage, III. Le
droit canonique, IV. La Bible. Hier ist es wieder für den ontologischen
Grundzug des ganzen Buches bezeichnend, wenn Verf. das „orthodoxe
a priori" folgendermaßen umschreibt: „Le degre de ma reeeptivite est en
fonetion de l'approfondissement de mon licu ontologique dans le Corps,
de ma vie dans l'Eglise qui strueture ,theandriquement' (vgl. S. 126!, O.)
mon esprit pour faire comprendre qu'en dernier lieu c'est l'Eglise qui
Iit la Bible des que s'ouvrent ses pages" (S. 188). V. In dubiis libertas.
Dabei handelt es sich vor allem um die Frage einer wissenschaftlichen,
d.h. christlich-wissenschaftlichen Kritik an der Bibel. Verf. stellt den
Satz voran — wiederum ein „orthodoxes a priori"! — : „ . .. ,1'objecti-
vite scientifique' n'est qu'un mythe" (S. 193). Persönliche „Passionen",
Sympathie u. ä. beeinflussen, jedenfalls nach E., den Wissenschaftler.
Dieser, einen protestantischen Leser überrasdiende (oder auch vielleicht
nidit überraschende!) Antiobjektivismus basiert kennzeichnenderweise
nicht etwa auf einer traditionalistisch-kanonistischen Konzeption Es.
Im Gegenteil, die Infallibilität der Väter und der Tradition lehnt er als
rabbinisch ab. Nach Sergej Bulgakov ist es vielmehr die „kreatürliche
Freiheit des Geistes" (oder sein kreatürIich-sophiani6cher Charakter?,
O.), dessen Arbeit alle Aufgaben eines Säkulums begreifen darf und soll.
Eine Arbeit also, die in der „Freiheit der Kinder Gottes" geschieht
(S. 194). VI. La tradition. 4. Teil: La prifere de l'Eglise
(S. 201—299): I. La categorie du sacre. Le temps sacre. L'espace sacr£.
Le temple, II. Initiation ä l'icone, III. La liturgie, IV. Les sacrements.
5.Teil: L'eschaton ou les choses dernieres: I. L'Eglise
dans le monde et les choses dernieres, II. L'eschatologie, III. Orthodoxie
et heterodoxie.

Diese Fülle des Stoffes, die Verf. mit einer souveränen Beherrschung
der Literatur der Kirchenväter, Konzilsentscheidungen,
einschlägiger Spezialuntersuchungen u. ä. meistert, wird mit Hilfe
einer übergreifenden Idee dargestellt. Sie wurde bereits in der
Methode angedeutet. S. 7 erweitert E. die von Sestov her bekannte
Dialektik des Christentums zwischen Athen und Jerusalem
. „Ce n'est pas seulemcnt l'opposition Athenes-Jcrusalem,
hcllcnes-juifs, c'est aussi la formation des mentalites historiques:
Rome, Hippone, Augsbourg, Gcneve, et de lautre cote: Jerusalem
, Antioche, Alexandrie, Byzance. . .". (Warum übrigens verschweigt
Verf. hier die klassische Pentarchie?1) Diese Gegensätze
zu überwinden sieht E. in besonderer Weise die Orthodoxie berufen
. Und zwar deshalb, weil nach seiner Meinung ,,1'ortho-
doxie est la forme la moins normative du christianisme, la moins
traduisible en coneepts" (S. 8). Diese Anschauung 6timmt mit
der oben angeführten Methode des Verfs. überein. Es ist nach E.
die Stärke der Ostkirche, daß sie wenig normativ sei, daß sie
gewissermaßen ständig die Schau freigibt zum eigentlichen Wesen
nicht nur der Orthodoxie, sondern der ecclesia überhaupt. Z. B.:
„Les non-orthodoxes, de par leur denomination, ne sont plus

*) Vgl. D. H. Marot: Note sur la Pentarchie, in: Irenikon 32,
1959, S. 436—442.

propos du llle article de 1682.

Redierdies de Science Religieuse XLIX, 1961 S. 37—67.
Hammermayer, Ludwig: Zur Geschichte der „Bibliotheca Pala

tina" in der Vatikanischen Bibliothek.

Römische Quartalschrift 55, 1960 S. 1—42.
Liebing, Heinz: Historisch-kritische Theologie — zum 100. Todes

tag Ferdinand Christian Baurs am 2. Dezember 1960.

Zeitschrift für Theologie und Kirche 57, 1960 S. 302—317.
Tilliette, Xavier: Prädestination et Liberte chez Jules Lequier.

Recherches de Science Religieuse XLIX, 1961 S. 5—36.

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE