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Ausgabe:

1961 Nr. 6

Spalte:

443-445

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Erlanger Theologie 1961

Rezensent:

Simon, Matthias

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 6

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Bezzels, wie er 6agt, barockem Stil sehr zurück. Audi wer ihn gebührend
würdigt, wird doch des Rhetorischen mit der Zeit müde.
Und für die Analyse des Phänomens Bezzel müßte auch diese
Seite stärker beachtet werden. Weniger originell ist für den heutigen
Leser, was sich als Bezzels Beitrag zur Homiletik darbietet.
Hier steht Bezzel in einer bedeutenden Tradition, sowohl von
der Erlanger Schule wie von seinem Vorgänger W. Löhe in Neuen-
dettelsau her. In seinen klassischen beiden Postillen ist W. Löhe
viel nüchterner als Bezzel, ob er schon allgemein als der bedeutendere
Stilist gilt. Daß selbst ein so dem Gängigen abgekehrter
Geist wie Bezzel dem Geist des Nationalismus in der Kriegspredigt
seit 1914 einen gewissen, wenn auch relativ nur sehr geringen
Tribut zu entrichten hatte, verschweigt der Verf. nicht.

Dem entscheidenden Problem hat sich Verf. m. E. aber doch
zu rasch entzogen: daß Bezzel sich zwar im Gegensatz zu den wenigen
Liberalen 6einer Landeskirche wußte, aber trotz der
Originalität seiner Predigt und Autorschaft die Kluft zwischen
damaliger Exegese und kirchlicher Verkündigung nicht wirklich zu
überbrücken vermochte. Stand Bezzel seinen Nürnberger Gegnern
nicht viel näher, als man es auf beiden Seiten damals sehen
konnte oder wollte? Seitz zitiert einen bezeichnenden Aussagezusammenhang
: „Die größte Gefahr für den Glauben unserer Väter
, der hoffentlich auch unser Glaube ist, besteht darin, daß zu
viele Begriffe gepredigt werden. Statt, daß die Tatsachen schlecht
und recht zur Verkündigung gelangen, eine aus der Ewigkeit in
der Zeit bewirkte Geschichte, die durch die Zeiten fortwirkt,
werden Lehrbegriffe und Lehrmeinungen aus den großen Tatsachen
abgezogen. Diese Begriffe verflüchtigen sich zu Schatten
und die Schatten zerfließen" (S. 236). Als ob die Kategorie
.Tatsachen' als solche geeigneter wäre, die Tradition und Rezeption
der christlichen Wahrheit dem Menschen damals und heute
in ihrer spezifischen Eigenart zu verdeutlichen oder gar zu
gewährleisten. Den Anti-Intellektualismus teilte Bezzel mit seinen
damaligen Gegnern. Ob da6 Pochen auf die Tatsachen der
biblisch-reformatorischen Grunderkenntnis zum Zeugnis oder gar
zum Sieg in Kirche und Theologie zu verhelfen vermag, muß
fraglich bleiben, wenn auch niemand damals und später den hohen
Rang der Bezzelschen Denkweise und Verkündigung in Abrede
gestellt hat.

Man möchte aber wünschen, daß der Verf. auch den noch
geplanten zweiten Band seiner Monographie veröffentlichen kann.
Dann sollte ein Literaturverzeichnis der sehr zerstreuten Literatur
über Bezzel nicht fehlen.

Corrigenda: S. 109 lies Frz. V. Reinhard (statt Reinhardt); S. 117 f.
Luthardt (statt Luthhardt!); ebenda die Lebensdaten G. v. Zezschwitz'
1825—1886 (nicht 1866!).

Frankfurt/Main Karl Gerhard Steck

Kantzcnbach, Friedrich Wilhelm: Die Erlanger Theologie. Grundlinien
ihrer Entwicklung im Rahmen der Geschichte der Theologischen
Fakultät 1743 — 1877. München: Evang. Presseverband für Bayern
1960. 264 S., 8 Abb. 8°. DM 22.—.

Man muß zum Obertitel auch den Untertitel hinzulesen,
dann wird schon aus ihm klar, daß nicht die „Erlanger Theologie"
gemeint ist; denn diese würde ja nicht mit dem Jahr 1877 ihr
Ende finden, so bedeutsam da6 Todesjahr Hofmanns ist und so
beachtlich C6 ist, daß im Jahr 1876 die „Zeitschrift für Protestantismus
und Kirche" ihr Erscheinen einstellte. Der Verfasser verweist
zwar in der Vorbemerkung mit Recht darauf, daß mit diesem
Jahr nicht mehr wie bis dahin die dogmatische Arbeit im
Vordergrund der Erlanger Fakultät stand, sondern die exegetisch-
historische. Aber er wird dabei der fortdauernden Wirkung
Reinhold Franks, der ja erst jetzt den Höhepunkt seiner Wirksamkeit
erreichte, nicht ganz gerecht. Und noch viel weniger beginnt
die „Erlanger Theologie" schon 1743. So wird also tatsächlich
sehr viel mehr geboten. Darum aber empfindet man um so
deutlicher den Abbruch mit dem Jahre 1877. Man darf daher
wohl den Grund für diesen Abbruch darin sehen, daß der Verfasser
von Erlangen weg an die kirchliche Hochschule in Neuen-
dettelsau als Kirchenhistoriker gerufen wurde und somit manchen
Quelllen entrückt, vor allem aber vor neue Aufgaben gestellt
wurde.

So bietet uns denn das Buch zwar nicht eine Geschichte der
Theologischen Fakultät dieses Zeitraums, wohl aber eine Geschichte
der an ihr vertretenen Theologie. Es ist dankenswert,
daß Verf. mit der Gründung der Fakultät beginnt, ja, auch zunächst
in einem kurzen Überblick klar und deutlich die Vor-
| geschichte herausarbeitet. Von einer eigentlichen „Entwicklung"
j darf man dann allerdings nur insofern reden, als man 6ich des
| deutlichen Bruches — eines sehr gründlichen Abbruches und eines
noch jäheren Neuansatzes — um das Jahr 1833 klar bewußt wird,
was bei dem Verfasser durchaus der Fall ist, und worauf er nachdrücklich
hinweist. Es gibt wohl eine Entwicklung innerhalb der
ersten drei Teile — in der Zeit des Übergangs von gemäßigter
Orthodoxie zur Frühaufklärung unter Huth, in der Zeit von Neo-
logie und Rationalismus unter Georg Friedrich Seiler und Friedrich
Hufnagel und in der Zeit der wissenschaftlichen Reorganisation
und der beginnenden religiösen Umbesinnung. Besonders
deutlich macht das der Verfasser noch dadurch, daß er Christoph
Friedrich von Ammon als den Theologen der Wandlung schildert.
In diesem Zeitabschnitt wird Seiler etwas gegen härtere Urteile
über seinen Rationalismus in Schutz genommen. Man hat aber
dabei den Eindruck, daß die Beweise dafür nur aus den früheren
Arbeiten Seilers entnommen sind. Im übrigen wird auch bei Seiler
eine theologische Entwicklung aufgezeigt und als innerlich folgerichtig
erkannt. Zum nächsten Abschnitt, zur Zeit der eigentlichen
Erlanger Theologie, führt aber keine Entwicklungslinie
innerhalb der Fakultät. Die bei Kaiser aufgezeigte Wandlung soll
nicht bestritten werden, darf aber noch viel weniger überbewertet
werden, was meiner Ansicht nach hier trotz gewisser Einschränkungen
geschieht. (Nebenbei: Das von Kolde übernommene Darum
für sein konfessionelles Gutachten muß auf 1828 berichtigt
werden.) Das zeigt ganz besonders die Rolle, die Kaiser bei der
Neubesetzung im Jahr 1833, durch die ja die innere Umwandlung
der Fakultät erfolgte, spielte. Daß es sich hier nicht nur, wie es
bisher immer dargestellt wird, um einen Gewaltakt des Oberkonsistoriums
, sondern geradezu um eine Selbstauflösung der
Fakultät handelte, hoffe ich demnächst zeigen zu können. Dabei
wird sich dann auch zeigen, daß zu Höflings Berufung nicht seine
Schrift über den Mystizismus, sondern schon eine frühere Anlaß
gab.

Im Abschnitt über die Erweckungsbewegung findet der Dekan
Theodor Lehmus eine wohlverdiente Würdigung. Ob Verf.
gewußt hat, daß Lehmus ein „verhinderter" Erlanger Theologe
war und daß er, der wie wenige andere seiner Zeit für einen Lehrstuhl
geschaffen war, zeitlebens daran litt, daß er eben nicht nach
Erlangen kam, sondern man dafür Ackermann berief? Einen inhaltlichen
Einfluß auf die Erlanger Theologie vermag ich allerdings
nicht zu sehen. Das Verdienst aber hat er, daß die
Erweckungsbewegung in Bayern theologisches Interesse bekam und
so dann im Unterschied von ihren Schwestern in anderen Kirchen
eigene wissenschaftliche Früchte zeitigte, und insofern möchte
man ihn als den eigentlichen Vater der „Erlanger Theologie" betrachten
.

In dem nun beginnenden zweiten Abschnitt läßt sich allerdings
im Unterschied vom ersten Abschnitt eine innere Entwicklung
aufzeigen. Verf. zeigt zuerst in seinem dritten Teil die
Erweckungsbewegung in Franken und ihre Bedeutung für die
Fakultät. Im Mittelpunkt steht hier die Gestalt Christian Kraffts.
(Wenn er dabei davon spricht, daß Karl von Raumer von größerer
Bedeutung geworden sei als Gotthilf Heinrich Schubert, so
ist das unbedingt richtig, liegt aber weniger in der Persönlichkeit
als in der Tatsache, daß in der Zwischenzeit in der Fakultät
bedeutsame Änderungen vor sich gegangen waren.) Der nächste
Teil schildert dann die Entstehung der Erlanger lutherischen
Theologie durch Harleß, Olshausen, Höfling und Thomasius, um
dann im 6. Teil die große Zeit der Entfaltung und Auswirkung
dieser Theologie unter Hofmann, Schmid, Delitzsch, Harnack,
Frank, Köhler und Zezschwitz zu zeigen. Dankbar empfindet man
hier, daß das im Titel genannte Jahr 1877 nicht so ernst genommen
wird. Zwar werden nur die noch vor diesem Jahr in die
Fakultät eingetretenen Professoren oder habilitierten Privatdozenten
genannt. Das Werk dieser Männer wird aber dann
weiterhin behandelt und zur Darstellung gebracht, so vor allen
Dingen auch die Theologie Reinhold Franks. Gelegentlich hat