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Ausgabe:

1961 Nr. 1

Spalte:

19-26

Autor/Hrsg.:

Frör, Kurt

Titel/Untertitel:

Textinterpretation und Katechismusunterricht in der kirchlichen Unterweisung 1961

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 1

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Jeder weiß, daß das Problem der Notlüge ein schweres ist.
Hierüber kann man sich orientieren in den meisten anständigen
protestantischen Ethiken, besonders eindringlich bei Bonhoefier.
Was erfordert ist, ist aber das, was ein dänischer Theologe,
Chr. Glarbo, in 6einer robust-maskulinen Weise „volle Ehrlichkeit
in der Verwendung der Lüge" genannt hat. Es geht um
Sauberkeit. Man kann nicht mit gesperrtem Druck anführen und
6ich anschließen an Augustins Worte: „Wer immer glaubt, es
gebe eine Art von Lüge, die keine Sünde sei, der täuscht sich
schändlich, da er sich für einen anständigen Irreführer anderer
hält", und dann hinterher unverfroren Anweisungen erteilen,
wie der Gatte gegebenenfalls de facto seine Frau irreführt, und
der Reisende direkt den Zollbeamten belügt. Und dann — um
das Bild zu vervollständigen — ein kleiner höhnischer Fußtritt an
Luther und „die meisten Lutheraner" wegen ihrer „Theologie
der Lüge". Man wundert sidi darüber, wie ein Mann wie H. in
derartige Verirrungen geraten kann. Katholische Tradition ist
aber stark, und eine kleine Besserung etwa im Verhältnis zu
Liguoris Erörterungen über diese Fragen kann man trotz allem
dankbar notieren.

Bekanntlich kann man in der neueren katholischen Moraltheologie
ein klar ausgesprochenes Abstandnehmen von Liguori
und der mit ihm zusammenhängenden Tradition finden. Scharfe
Bemerkungen gegen Liguori soll man natürlich von dem Redemp-
toristen Bernhard Häring nicht erwarten. Er polemisiert überhaupt
nicht gern, nur mit kleinen, bissigen und merkwürdig
vulgär-katholischen Ausfällen gegen die Reformatoren. Es ist
aber wohl doch charakteristisch, daß er Augustin viel mehr als
Liguori zitiert, und daß Thomas einen viel größeren Platz als
diese beiden einnimmt. Die Warnungen gegen eine extreme
Kasuistik und gegen die Einstellung, wonach die wichtigste Aufgabe
des Moraltheologen die wäre, das Verpflichtende auf ein bescheidenes
Minimum zu reduzieren, sind doch nicht umsonst gewesen
. H.s Buch ist ein Schritt in der richtigen Richtung.

Und doch, was nützt es schließlich, wenn man hinter Liguori

auf Thomas zurückgreift? Solange die Lehrautorität und richterliche
Gewalt der Kirche so ist, wie sie ist, ist der Weg zu einer
durchgreifenden Reformation vom Evangelium her gesperrt. Die
Ethik kann keine echte Glaubensethik werden und 6omit kein
echter Ausdruck der persönlichen Begegnung des Einzelnen mit
Gott. Es ist erfreulich, daß eine katholische Ethik mit dem Titel
„Gesetz Christi" veröffentlicht wird. Mit Befriedigung konstatiert
man, daß dieser Titel wirklich als Programm gemeint ist.
Es ist aber tragisch, feststellen zu müssen, daß sowohl das
klassische Erbe als auch die hierarchische Ordnung der römischen
Kirche in entscheidender Weise die Durchführung des Programms
unmöglich macht.

Von katholischer Seite meint man wohl oft, die einzige
mögliche Alternative zu ihrer Form der Moraltheologie in ihren
reichen Variationen sei eine „Situationsethik". Einige katholische
Forscher haben sich bekanntlich dieser Lösung so stark
angenähert, daß päpstliche Entscheidungen ein klares Nein hierzu
gesagt haben, am schärfsten in Aussagen von 1952 und in
einer offiziellen Instruktion vom 2. Febr. 1956. Noch im Jahre
1951 konnte ein so feiner Kenner der Theologie Karl Barths wie
Hans Urs von Balthasar („Karl Barth", S. 112) schreiben: „Barths
Ethik war immer und wird bis zum Ende eine ausgesprochene
.Situationsethik' bleiben." Die in unserem Zusammenhang wichtige
Frage ist, ob Balthasar und andere Katholiken dasselbe behaupten
würden, jetzt wo Barth den ersten Band seiner konkreten
Ethik („Kirchliche Dogmatik" III. 4, 1951) veröffentlicht hat.
Hält man von katholischer Seite an dieser Beurteilung, die dann
auch sämtliche sonstige evangelische Handbücher der Ethik treffen
wird, fest, ist wohl bis auf weiteres ein fruchtbares Gespräch
über grundsätzliche ethische Probleme zwischen katholischen
und evangelischen Theologen unmöglich. Und doch wäre es
höchst wünschenswert, daß die interkonfessionellen Gespräche,
die vor sich gehen, auch ethische Fragen aufnähmen, so weit so
etwas möglich und sinnvoll ist. Und es ist sinnvoll auf vielen
konkreten Gebieten.

Textinterpretation und Katechismusunterricht in der kirchlichen Unterweisung1

Von Kurt Fror, Erlangen

Der Leiter des Katechetischen Amtes in Loccum legt der
weiteren Öffentlichkeit eine Konzeption der kirchlichen Unterweisung
vor, die er während seiner langjährigen Tätigkeit in
Lehrgängen und Vorträgen erarbeitet hat. Wie schon der Untertitel
ausweist, wendet sich die Schrift nicht nur an Konfirmatoren,
sondern ebenso an die Religionslehrer an den öffentlichen
Schulen.

Der erste Abschnitt (7—11) beschäftigt sich mit der Diskussion
um die Konfirmationsfrage. Die Vorschläge einer Vorverlegung
der Konfirmation werden abgelehnt, weil die Kirche gerade
den schwierigen Jahrgängen um das 13. bis 15. Lebensjahr das
volle Evangelium nahebringen müsse. Sie kann sich diesem notwendigen
und durchaus nicht unmöglichen Dienst nicht dadurch
entziehen wollen, daß sie in ein „bequemeres" Alter ausweicht.
Statt dessen soll die erste Zulassung zum Abendmahl an das Ende
des ersten Unterrichtsjahres verlegt werden, damit die Kinder
während des zweiten Jahres unter dem seelsorgerlichen Geleit
ihres Pfarrers und in der Verbundenheit mit der Gruppe schon
an der Abendmahlsfeier teilnehmen können. Dieser wertvolle
Vorschlag ist bekanntlich inzwischen von dem Ausschuß der EKD
für die Neuordnung der Konfirmation aufgegriffen worden. Die
Konsequenzen einer solchen Praxis — die übrigens von dem zu
wählenden Lebensalter der Kinder ganz unabhängig ist — scheinen
uns freilich bei Witt nicht hinreichend geklärt zu sein. Er
unterscheidet die faktische Admission nach dem ersten Jahr von
der „offiziellen Zulassung" nach dem zweiten Jahr (S. 9). Man
kann sich schwer vorstellen, was eine solche formale Dublette zur
wirklichen Admission noch bedeuten soll, wenn sie nicht als Rückfall
in eine veraltete kirchenrechtliche Interpretation des Kon-

') Witt, Karl: Konfirmandenunterridit. Neue Wege der Kat-
echetik in Kirche und Schule. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
[1959]. 90 S. 8°.

firmationsgeschehens verstanden werden soll2. Auch die überholte
Vorstellung der Konfirmation als Abschluß des Gesamt-
katechumenats ist hier noch stehen geblieben.

Der zweite Abschnitt (12—23) grenzt den Konfirmandenunterricht
vom Religionsunterricht der Schule ab. Der Unterschied
besteht zunächst im Stoff (zum biblischen Unterricht tritt jetzt
als sein „Gegenüber" die Katechismuslehre), vor allem aber in der
betonten „Zurüstung auf die Gliedschaft in der Gemeinde".
Dadurch wird die eigentümliche Atmosphäre und der besondere
„Stil des Gemeinschaftslebens" (13) bestimmt. Das fängt schon
an bei dem nicht unwesentlichen Problem der Raumgestaltung und
der Schaffung kleiner Gruppen. Es setzt sich fort im Stil des Umgangs
, in der Einübung einer verpflichtenden Ordnung, in der
„inneren Lehrhaltung" des Leiters und in der Einschaltung von
Rüstzeiten. Von der Beachtung dieser Hinweise wird der Konfirmandenunterricht
nur Gewinn haben können.

Der dritte Abschnitt (24—54) ist der Kritik am landläufigen
Katechismusunterricht gewidmet. Die Verwendung des Katechismus
als systematische Lehrdarstellung (Laiendogmatik), als
„Pauk- und Lernbuch" und, damit zusammenhängend, seine „Zerstückelung
" in kleinste Lektionen über die Auslegungen Luthers
(26 f.) haben dazu geführt, daß er „keinen Sitz mehr im Leben
des Menschen von heute" hat (28). Der Katechismus kann für
die Gemeinde von heute nur dadurch zurückgewonnen werden,
daß er wieder, wie von Luther selbst, verstanden wird als „meine
persönliche Antwort auf das Angesprochensein durch das lebendige
Wort der Schrift" (29). Dann muß die übliche Verwendung
von veranschaulichenden Geschichten ebenso revidiert werden wie

2) Vgl. K. Fror, Theol. Grundfragen der Konfirmation, in: Con-
firmatio. Forschungen zur Geschichte und Praxis der Konfirmation, 1959,
S. 74—117.