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Ausgabe:

1961 Nr. 6

Spalte:

413-424

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Siegfried

Titel/Untertitel:

Die Naturlehre des Schöpfungsberichtes 1961

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413 Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 6 414

lichste Erinnerung an den der Kirche allein gebührenden Ort zu
bejahen wagt:

„Christus ist gegenwärtig als der Anklagende, als der Zerrissene,
als der Christus in der Agonie" .. . „Das Christentum kann sich einzig
und allein erneuern durch die Wendung zum Ursprung, den immer neuen
Aufbruch zu Christus, zum Kreuze ..." (222).

„Christus in der Agonie". Das ist das Größte, wa6 Schneider
von Pascal empfangen hat und wovon seine Werke Zeugnis
geben, je tiefer der Weg ins Dunkel geht (VT 229), desto deutlicher
: der Einbezug unserer Geschichtszeit,
heute, immer, in die Stunde der Agonie Christi.

„Jesus sera en agonie jusqu'ä la fin du monde; il ne faut pas dormir
pendant ce temp6-lä" . . .

„Jesus etant dans l'agonie et dans les plus grandes peines, prions
plus longtemps".

(Le mystere de Jesus, Fragm. 5 53, Edition Brunschwieg.15)
Erst in dieser Perspektive der Passion Christi wird Schneiders
Beharren bei der „theologia tenebrarum"16, entgegen allem
etwa möglichen Aufsteigen zu einer Theologie der Glorie, wird
auch der immer kräftiger hörbare Einspruch gegen die „Geschichtstheologie
... die Gott über die Schulter sehen will" (Pf 54),
recht verstanden. — Es ist nicht zu übersehen, es ist dem Katho

neue Sonderlehre Luthers ist; gerade in ihrer spirituellen Radikalität
hat diese Frühform von Luthers Theologie, wie er scharf
— und mit wohlmeinender Freude beobachtet, merkwürdige
Parallelen in der mittelalterlichen Mystik, ja, erst recht in der
zeitgenössischen Frömmigkeit spanischer Observanz, die Ignatius
und Teresa von Avila bewegte und die das stärkste religiöse
Fundament der katholischen Gegen-Reformation wurde.

Mit der theologia tenebrarum verbindet sich weiter auch die
Erfahrung des Deus absconditus, des Gottes, der in
seiner Offenbarung und Menschwerdung nicht aufhört, der verborgene
Gott zu sein. Luthers Frühtheologie vom „mysterium
absconditum sub contrario" scheint er nur durch Erich Przywara
von ferne zu kennen (Pf 301). Desto nachdrücklicher betont er
Pascals Zeugnis vom verborgenen Gott; seine Einleitung zu der
Pascal-Auswahl (s. o. Anm. 8) gibt ihr genau den Platz, der
ihr im Ganzen von Pascals Gottesglauben und Menschenbilde
zukommt. Die Schlußsätze dieser Einleitung (a.a.O. 37) lassen
erkennen, wieso dieses Christentum der fortgehenden Agonie
Christi und des im Geheimnis verborgen-offenbaren Gottes nicht
nur Pascals und etwa auch Schneiders persönliches Bekenntnis ist,
sondern die Ursprungsrede christlichen Glaubens, die jeder Neu-

liken Schneider selbst bewußt gewesen, daß er mit diesem j Prägung und jeder zukünftigen Bewährung des ewigen Wahrheits-

„Christentum der Agonie", das als „Gegensatz zu dem Christen- wortes den Raum freigibt:

tum des Sieges auf Erden" (B 133) notwendig sei, sehr nahe bei ! „...Gott macht sich in gleichem Maße erkennbar, als er sich unLuthers
„Theologie des Kreuzes" ist. Er hat auch 1 "kennbar macht. So auch weht um das Heilige ein Schein der Bosheit,
geschichtlich richtig gesehen, daß die Kreuzestheologie keine »J» den hödls,ten ,iifer ein SAa"e' d« Dämonie, um Jesus Christus die
°_ " " frage: ob er des Zimmermanns Sohn sei oder ob er rase. Und im Schat-

15) Deutsche Übertragung bei E. Wasmuth, Über die Religion j ten dieser Frage steht die von Christus gegründete Kirche, deren Gren-

(Pensees), Tübingen 1948, S. 246 f.: „Bis ans Ende der Welt wird die j zen wir nicht kennen, steht der Christ. Er ist im wesentlichen ein

Agonie Jesu dauern; nicht schlafen darf man bis dahin" ... „Jesus war Fragender; aber nach Pascals Meinung 6ollte er jede Frage wagen,

in der Agonie und den größten Qualen, — beten wir länger!" Denn die Antwort ist der im Fleische und in der Todesangst verbor-

le) Die Wortprägung übernahm R. S. von E. Przywara, vgl. VT 223. j gene Gott".

Die Naturlehre des Schöpfungsberichtes

Erwägungen zur Vorgeschichte von Genesis 1

Von Siegfried Herrmann, Berlin

Gottfried Quell zum 65. Geburtstag
Die Einsicht, daß die in Genesis 1 geschilderten Vorgänge j nung hat sich in erster Linie für die ersten Verse des Kap. 1, vor

allem für v. 2 durchgesetzt, wo Anspielungen auf mythische
Größen aus Israels Umwelt unstreitig vorliegen. Als ein Werk
der jüngeren Redaktionsarbeit wird man die Aufgliederung des

des Schöpfungswerkes nicht die getreue Wiedergabe kosmischer
Ereignisse im Sinne moderner Naturwissenschaft sein können,
hat die Neigung verstärkt, die grundlegende Aussage von

Gen. 1 eine allein theologische sein zu lassen. Vom Standpunkt j ganzen Schöpfungsvorganges auf ein Werk von sechs Tagen an-
einer historisch-kritischen Beurteilung des Textes allerdings muß | sprechen dürfen, wobei die Tendenz verfolgt ist, den siebenten
die Beschränkung auf seine theologische Bedeutung als eine Ver- j Tag als den Tag der Ruhe besonders herauszustellen. Die Kom-
kürzung seines ursprünglich gemeinten Aussagegehaltes angese- plexität des Textes ist also grundsätzlich anerkannt. Was jedoch
hen werden. Denn in Wirklichkeit lag es doch in der Absicht des die Einzelheiten anbetrifft, so hat sich die religionsgeschichtliche
Verfassers von Genesis 1, die Entstehung der Welt zu beschrei- | Forschung vorwiegend auf die Einleitung des Schöpfungsberichtes
ben, wie sie sich nach seiner Überzeugung tatsächlich vollzogen konzentriert, wo mythische Anspielungen deutlich genug hervorhat
. Daran sollte um so weniger gezweifelt werden, als der Ver- | treten, zugleich aber auch das Vorbild außerisraelitischer Schöp-
fasser sich bemüht, vom Aufstrahlen ersten Lichtes bis zur Ent- fungsvorstellungen den Beginn des biblischen Berichtes beein-
stehung des Menschen ein klar gegliedertes und auch vorstell- flugsen konnte. Es sei nur beiläufig bemerkt, daß in Einzelfragen
bares Bild von der Entstehung der uns umgebenden Welt zu ent- fceT noch nicht das letzte Wort gesprochen zu sein scheint,
werfen. Diese Schilderung der einzelnen Schöpfungsakte aber ist rj)as „klassische" Vergleichsmaterial aus dem mesopotamischen
keine selbstverständlich-naive Darstellung, sondern hat den • Bereich, allem voran das Weltschöpfungsepos Enüma elis1, ist
zuweilen unterschätzten, aber entscheidenden Aspekt zur Vor- j durdl die Nachrichten des Philo von Byblos, die er seinerseits
aussetzung, daß der Verfasser überhaupt eine feste Vorstellung I wieder dcm älteren Werk des Sanchunjaton verdanken will,
davon hatte, was Welt ist, was zu ihr gehört und wie sich die ! nidlf nur fa zurreffender Weise ergänzt, sondern in Richtung auf

Teile der Welt zueinander verhalten. Die erstaunliche Folge
richtigkeit und Vollständigkeit, mit der das Schöpfungswerk in
Genesis 1 geschildert wird, fordert die Frage heraus, ob der
biblische Verfasser sein Material au6 eigener Beobachtung gewann
oder ob er für seine Darstellung Vorbilder, zumindest Anregungen
besessen haben könnte. Es ist also die Frage, wo die
Wurzeln des in Genesis 1 vorliegenden Weltbildes, genauer gesagt
, der dort entfalteten Lehrmeinung von Natur und Kosmos
liegen.

Der Beantwortung dicseT Frage ist schon weitgehend vorgearbeitet
. Wenn man auch den in seinem vollen Umfang von
Gen. 1,1—2,4a reichenden Schöpfungsbericht als Ganzes unbedenklich
der PriesreTSchrift zuweist, so ist man längst davon
überzeugt, daß in ihm älteres Material verwertet ist. das nicht
erst auf das Konto der Schlußfassung zu setzen ist. Diese Meiden
biblischen Bericht konkreter geworden2. Demgegenüber
scheint das ägyptische Material etwas im Schatten zu 6tehen, obgleich
es volle Beachtung beanspruchen darf. Das gilt nach
neueren Untersuchungen für die Vorstellung der lebenschaffenden
n7nh es gilt vor allem für die Konzeption von der Schöpfung
durch das Wort, wie sie in der Göttcrlehre von Memphis vom

') Greßmann, AOT =1926. S. 108-129; Pritchard, ANET 21955,
S 60—72.

2) C. Gemen, Die phönikische Religion nach Philo von Byblos
(1939) = MVÄG 42, 3. O. Eißfcldt, Ras Schamra und Snnchunjaton
(1939); ders., Taautos und Sanchunjaton (1952); ders., Sanchunjaton
von Berut und Ilumilku von Ugarit (1952).

3) S. Morenz, Ägypten und die altorphische Kosmogonie, in: Aus
Antike und Orient. Festschrift Wilhelm Schubart (1950), S. 64 ff.