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1961 Nr. 5

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Systematische Theologie: Ethik

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 5

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hängenden Komplikationen zur Diskussion gestellt, am Schluß
taucht unerwartet eine diristologische Perspektive auf, die zwar
in statu nascendi bleibt und in diesem embryonalen Status den
Leser auf eine Logstrup-Dogmatik neugierig zurückläßt. Abgesehen
von diesen schwachen theologischen Reminiszenzen bleibt
das Buch streng in der ontologisch-existentialen Besinnung verhaftet
, wobei man nur staunt, daß ein theologischer Autor es uns
60 herrlich einfach macht: was hat es noch mit dem ganzen theologischen
Ballast auf sich, wenn stimmt, was Logstrup hier ausführt
: die Kommunikation ist ein sich Vorwagen auf ein Entgegenkommen
zu und die Forderung, die sich daraus ergibt, ist
eine allgemeinmenschliche, um sie zu hören, braucht es nicht erst
Offenbarung im theologischen Sinne. Diese Grundtatsache des
Vertrauens ist zugleich mit dem Leben gegeben, es 6teht nicht bei
uns, Vertrauen zu geben, ohne unser Zutun ist das Leben so geschaffen
, daß der eine Mensch sich dem anderen in Vertrauen ausliefert
oder sich ihm verweigert. Damit ist die ganze Theologie
wieder beim „Leben" angelangt und auf die Lebenstatsachen reduziert
. Anders als Martin Heidegger, ja, sogar Ludwig Bins-
wanger (der ja bekanntlich Heidegger in puncto Liebe innerhalb
der Mitmenschlichkeit hat korrigieren wollen) es gesehen haben,
entfaltet bei Logstrup 6ich das Ontische unseres Daseins 6elbst
als Forderung. Denn das Geheimnis ist das Vertrauen, das wir
schenken, die Obhut, die wir pflegen oder deren wir uns selbstisch
enthalten. Diese Inhalte hatten die vorhergenannten Denker nicht
als Existentiale unseres Lebens in den Blick bekommen. Erst bei
Logstrup gestaltet sich das Gebot der Nächstenliebe als die unausgesprochene
, stumme Forderung unserer Existenz, wogegen wir
uns jeden Augenblick empören oder sie in moralischen, juristischen
, konventionellen Vorschriften und Normen aufzufangen
und damit zu relativieren suchen. Und so entfaltet sich aus dem
Leben die Dialektik des Ethischen von selber: die Natur fordert
uns auf, restlos für den anderen dazusein, ohne jeglichen Anspruch
auf Gegenseitigkeit, und die Natur läßt uns gegen ihren Anspruch
revoltieren, indem wir jeden Augenblick uns selbst mit
in die Rechnung ziehen wollen, um dadurch schuldig zu werden.
Man müßte es genau so sagen: „die" Natur fordert die Inobhutnahme
des anderen und „meine" Natur widerstrebt dem (Gleichgültigkeit
, Stumpfsinn, Selbstbehauptung, Expansionswille, usw.).

Wir begrüßen diesen Versuch ethischer Besinnung aus der
Bultmann - Gogartenschen Schule aufs herzlichste. In der souveränen
Stoffbeherrschung, in der zwingenden Logik der Durchführung
, in der umfassenden kulturellen Aufgeschlossenheit gehört
dieses Buch zu den erfreulichsten Spezima der neueren theologischen
Literatur. Dieses Lob bedeutet nicht, daß wir keine Bedenken
hätten, daß dem Verf. keine Fragen zu stellen seien. Im
Gegenteil. Wir haben eine ganze Reihe Bedenken und wollen
bloß die wichtigsten nennen: 1. Genau wie bei Gogarten wird
von Logstrup die ethische Forderung auf das Verhältnis zum
Nächsten abgestellt: er kann die Theologie und deren Offenbarungsbegriff
für lange Zeit auf die Seite 6tellen, indem die Forderung
rein bipolar ist: Ich-Du. Gemeint ist wohl, daß eben
diese Durchführung (Gehorsam-Ungehorsam) der Forderung dann
eo ipso Liebe zu Gott ist, obschon vom „ersten" Gebot nirgends
die Rede ist. Indem aber das Leben Geschenk ist, wird der Gehorsam
an die Forderung zugleich Gehorsam Gott gegenüber und
liebt man Gott. An diesem Punkte jedoch werden die Fragezeichen
anzusetzen sein. Der Nächste ist doch wohl nicht schon Gott.
Die Liebe zum Nächsten wird in der Verkündigung Jesu zwar auf
die gleiche Stufe gestellt wie die Liebe zu Gott, aber diese
kommt doch zuerst, und erst die Gotteserkenntnis (im NT durch
und in Jesus Christus) ermöglicht die Nächstenliebe. So hat es
auch Gogarten ausgeführt, wenn er meint, der Nächste, den man
zu lieben habe, sei nicht im allgemeinen der Mitmensch, sondern
es sei das Kind des Volkes, wobei die Möglichkeit besteht, daß
Gott auch aus Steinen Abraham Kinder erwecken kann (Ich
glaube an den dreieinigen Gott, S. 122—124). Aus der Verheißung
Gottes jedenfalls wird das 2. Gebot „erfüllbar". Bei Log-
strup fehlt diese Verheißung Gottes. Der christologische Ansatz
kommt am Schluß, ist nicht von Anfang an da. Das Leben, die
Existenz, die Natur sind von Anfang an da, und aus der Kategorie
„Geschenk" wird die ganze Forderung mit ihrer einseitigen
Radikalität deduziert. Der Begriff „Geschenk" bekommt aber ein

fast chri6tologisches Gewicht. Sonst würde der Verf. nicht die
totale Selbstlosigkeit, das Opfer, die Inobhutnahme aus ihm logisch
deduzieren können. Der „natürliche" Begriff Geschenk enthält
das alles keineswegs. Warum soll das Leben nicht auf Gegenseitigkeit
beruhen? Alle Ordnungen des Lebens zeigen, wie sehr
die „Verstrickung" mitmenschlicher Beziehungen auf Gegenseitigkeit
beruhen: Eltern-Kinder, Mann-Frau, Obrigkeit-Bürger,
Arbeitgeber-Arbeitnehmer, und dennoch könnte eine „gläubige"
Interpretation dieser Beziehungen dankbar von einem Geschenk
der Schöpfung reden! Das Wort „Geschenk" enthält
noch keineswegs die christologische Einseitigkeit der totalen Inobhutnahme
. 2. Es strebt also die Hauptkategorie „Geschenk"
ins Christologische hinein, woher der weitere Inhalt des Liebesgebotes
deduziert werden kann, andererseits bleibt sie ausgesprochen
dem naturrechtlichen Denken verhaftet. Zwar erwähnt der
Verf. dies nirgends und versucht, der phänomenologischen Methode
treu zu bleiben, aber seine ontologischen Beobachtungen
(die Tatsächlichkeit der „Verstrickung" als vorgefundenes Phänomen
, als Seiendes zugleich das Gute und Wahre enthaltend)
stehen um Haaresbreite in Nachbarschaft zum naturrechtlichen
Denken, dessen Losung lautet: ens et verum et bonum conver-
tuntur. Nicht zu vergessen ist auch, wie das Sein für Thomas von
Aquin nach allen Aspekten Geschenkcharakter besitzt (vgl. Thomas
-Lexikon, ed. L. Schütz2, S. 258 ff.). Auch er leitet aus diesem
geschenkten Sein die Gottes- und Nächstenliebe ab. Soll nach
Ansicht Logstrups auch die evangelische Theologie wieder auf
naturrechtlidien Unterbau reduziert werden? So ist es wohl kaum
gemeint. Aber hätte dann nicht doch die theologisdie Offenbarungskategorie
von Anfang an eine entscheidende Rolle spielen
sollen? 3. Wie nahe die Verwandtschaft dieser phänomenologischen
Studien mit dem unter 2. erwähnten Denken ist, zeigt
der Begriff der Schuld. Sieht dieser nicht nach einer bloßen Privation
aus, wenn etwa auf S. 158 Schuld als „konstante Zerstörung
des Gutseins des gegebenen Lebens" beschrieben wird? Und
bringt die von Lagstrup befürwortete Umschreibung der Schuld
als Revolte gegen die Forderung nicht mit sich, daß es sich bei
der Schuld um nicht zustandegekommene Fülle des Lebens handelt
? 4. Indem die ethische Forderung radikal ist, unser Handeln
immer in seiner Anhängigkeit von zeitgeschichtlich relativen
Normen verhaftet und dadurch der Forderung widerstrebende
bleibt die menschliche Existenz in einer tragischen Verhaftung.
Es fehlt die Zukunft, die Hoffnung, das Esdiatologische. Damit
wird die Reduktion des Theologisdien auf das Phänomen des
Gesdiöpflidien, bzw. des Natürlichen am schmerzlichsten offenbar
. Denn die Wendung einer evangelischen Ethik in der Verkündigung
des im Auferstandenen kommenden Reiches bietet:
nadidrücklidi für die Problematik der Forderung; andere Möglichkeiten
als sie hier innerhalb einer tragischen Existenz erörtert,
werden können.

5. Ein arger Schnitzer ist dem Verf. auf S. 180 passiert, wo er den
Schweizer Prof. Max Huber, früheren Präsidenten des Intern. Gerichtshofes
im Haag und Prof. in Zürich, mit Prof. Kurt Huber, dem verschwommenen
Fichteaner aus der Bewegung der „Weißen Rose" (16.—
19. Febr. 43) verwechselt hat (vgl. auch Register unter Max Huber).
Sonderbar ist auch, daß an vielen Stellen, etwa S. 142, 186, 189 stets
von antropomorph statt von anthropomorph geredet wird.

Basel Hendrik van Oyen

Bismarck, Klaus von: Was heißt denn eigentlich Täglich Brot?
Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 11—16.

Buri, Fritz: Die Universalität des ethischen Denkens Albert Schweitzers
und die künftige Gestalt seiner revolutionären Kraft.
Zeitschrift für evangelische Ethik 1961 S. 1—5.

Dolch, Heimo: Förderung und Gefährdung des Kultus durch die
Technik.

Theologie und Glaube 51, 1961 S. 57—44.

Freund, Ludwig: Demokratie als Herrschaftsform.
Zeitschrift für evangelische Ethik 1961, S. 26—39.

H e i n e n, Wilhelm: Der leidende Mensch und die Gesellschaft.
Theologie und Glaube 51, 1961 S. 22—37.

I w a n d, Hans J. f: Das Liebesgebot und der Wiederaufbau Europas.
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Lutz, Hans: Die technische Entwicklung und die Sicherheit des Menschen
.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1960 S. 341—355.