Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1961

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

363

364

ist es die Kirche, die bestimmt, welche Bücher die hl. Schrift ausmachen
, und die die Authenzität, Kanonizität und rechte Erklärung
der hl. Schrift garantiert, aufgrund ihrer Tradition und ihrer
Unfehlbarkeit, die gewährleistet ist kraft ihrer Leitung durch den
hl. Geist (S. 195). „Tradition (die Lehre und der Glaube der Ur-
kirche) bestand, bevor das Neue Testament niedergeschrieben
wurde, inspiriert vom hl. Geist. Als das Evangelium schriftlich
fixiert wurde, wurde nichts ganz ausgelassen, was heilsnotwendig
wäre." Aber in formaler Hinsicht ist die hl. Schrift unvollständig.

Der Gebrauch des Plurals „traditiones" hängt damit zusammen
, daß zu jener Zeit der Unterschied zwischen heils-
notwendigen Wahrheiten und disziplinären und liturgischen Vorschriften
geläufig war. Aber Driedo sieht keinen Widerspruch
zwischen der Mannigfaltigkeit von Einzelregeln und Tradition
als einer Ganzheit, denn für ihn ist die Kirche eine Ganzheit, die
von der Zeit Abels(S. 171 ff.) durch die Zeit Moses in die Gegenwart
reicht. In dieser Kirche kann daher die hl. Schrift nur verstanden
werden im Geiste der einheitlichen und unverletzlichen
Tradition der durch die Jahrtausende bestehenden Kirche, die
Lehre sowohl wie Brauchtum bestimmt. Es ist daher Häresie, diesem
Verständnis der „allumfassenden" Kirche die eigene, individuelle
Auffassung entgegenzusetzen, auch im Hinblick auf die
„traditiones".

Diese Anschauung bestimmt auch seine Wertung der
Kirchenväter. Sie sind „Zeugen" für den Glauben der Kirche
ihrer Zeit. Aber sie entwickeln ihn nicht. Sie sind in sich selbst
keine „Autorität". Die Autorität, die sie besitzen, ist ihnen von
der Kirche, von der kirchlichen Hierarchie, durch deren Anerkennung
verliehen. Das Lehramt kommt allein den Bischöfen zu. Sie
allein wachen über die Tradition, und sie allein sind berechtigt,
die „Auswickelung" in größerer Klarheit und Eindrücklichkeit all
dessen zu bewirken, was die Kirche immer geglaubt hat.

Klerus und Laien zusammen bilden die allumfassende Kirche,
die bei Driedo eine beträchtliche Rolle spielt. Was sie gemeinsam
haben, ist aber nur der „Glaube", nicht ein Recht zu lehren, nicht
ein „allgemeines" Priestertum und auch nicht ein gleichberechtigtes
Priestertum der Hierarchie. Die subjektive Tradition ist
„Glauben und Lehre der universalen, hierarchischen Kirche".
Darum unterscheidet Driedo zwischen der Sukzession der Kirchenväter
, die bis ins 16. Jahrhundert geht, und der apostolischen
Sukzession der Bischöfe, die die Orthodoxie gewährleistet. Tradition
ist einerseits die „endlose Kette von Glaube und Lehre"
und andererseits das, was von der „Kirche jetzt und hier gelehrt
wird" (S. 245).

Die wichtigste Funktion Driedo's im Glauben seiner Zeit
6ieht Verf. darin, daß er eine Verschmelzung der Elemente versuchte
, die später auseinanderfielen: die Verbindung von Augustinus
Auffassung von der Kirche mit einer Betonung der Wichtigkeit
ihrer sichtbaren Elemente; die Vereinheitlichung der Rolle
von hl. Schrift und Tradition (Urkirche, Kirchenväter, Konzile,
päpstliche Lehre) und der vorchristlichen Vergangenheit; Urkirche
und gegenwärtige Kirche; die Rolle des Individuums im
Rahmen einer überindividuellen Aufgabe; die Wahrung der Unfehlbarkeit
der Kirche als Garant individueller Sicherheit in einer
Zeit, die in tiefster Unsicherheit zu leben hatte.

Eine eingehendere Diskussion der entwickelten Gedankengänge
wäre aus vielen Gründen wünschenswert. Ein ausgezeichnet
angelegter Index erleichtert die Benutzung des Buches und die
Ausschöpfung der mannigfachen anregenden Interpretationen.

New York Marianne B e t h

B ü s s e r, Fritz: Das Bild der Natur bei Zwingli.

Zwingliana XI, 1960 S. 241—256.
Fast, Heinold: Die Sonderstellung der Täufer in St. Gallen und

Appenzell.

Zwingliana XI, 1960 S. 223—240.
Gessert, Robert A.: The Integrity of Faith: An Inquiry into the

Meaning of Law in the Thought of John Calvin.

Scottish Journal of Theology 13, 1960 S. 247—261.
Keesecker, William F.: John Calvins Mirror.

Theology Today 17, 1960 S. 288—289.
Krause, Gerhard: Zwingiis Auslegung der Propheten.

Zwingliana XI, 1960 S. 257—265.

Metzger, Bruce M.: The Geneva Bible of 1 560.

Theology Today 17, 1960 S. 339—352.
Spitz, Lewis W.: Luthers Sola Scriptura.

Concordia Theological Monthly XXXI, 1960 S. 740—745.

KIRCH EN GESCHICHTE: NEUZEIT

Bodenstein, Walter: Neige des Historismus. Ernst Troeltsdis Entwicklungsgang
. Gütersloh: Mohn [1959], 216 S., gr. 8°. Lw. DM 9.80.

Nachdem in der heutigen Theologie die Frage nach der Geschichte
mit neuer Intensität aufgebrochen ist, erscheint es nur
natürlich, wenn dieser Aufbruch mit der Rückfrage nach den bisherigen
Lösungen des Geschichtsproblems verbunden ist. Ernst
Troeltsch bietet sich hier vor allem der Betrachtung an. Es ist sehr
verdienstlich, daß Bodenstein das gesamte Werk dieses Mannes
als des wohl bedeutendsten Vertreters des theologischen Liberalismus
der vergangenen Generation einer sowohl behutsamen
wie kritischen Durchsicht unterzogen hat. In vier Etappen sieht
Bodenstein den Vollzug des Denkprozesse6 bei Troeltsch. In der
Frühschrift von 1891 über Vernunft und Offenbarung bei Melan-
dithon und J. Gerhard ereignet sich die Trennung von der Schule
Ritschis und die Orientierung an einem natürlichen Religionsbegriff
als Grundlage für den Offenbarungsgedanken. Von hier
aus ergibt sich für Troeltsch der Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung
mit dem Positivismus und Naturalismus seiner Zeit.
Die Selbständigkeit der Religion wird gegenüber allen möglichen
Bestreitungen behauptet durch die Theorie vom religiösen Apri-
ori, also der Annahme einer religiösen Naturanlage des Menschen
, die ebenso genuin menschlich ist wie das logische oder
ästhetische Vermögen. Hier taucht bei Troeltsch nun 6chon ein
neues Problem auf, das sich ihm vor allem aus der Beschäftigung
mit der Religionsgeschichte ergibt: das Problem der Absolutheit
des Christentums. An dieser Stelle setzt die dreifache kritische
Würdigung Troeltsdis durch den Verfasser ein: Troeltsch war der
einzige sich frei dem Zweifel darbietende Theologe seiner Zeit,
der sich die rein humane Perspektive auf das Christentum restlos
deutlich machen wollte; er endet in seiner theologischen Epoche
bei einer idealistischen Restmetaphysik, und er weiß nichts von
den für die Theologie nach Troeltsch unaufgebbaren Denkmitteln
der Paradoxie und der Antinomie. — Die nächste Phase seines
Denkens ist das große Werk über die christlichen Soziallehren.
In ihm geht es um den Zusammenhang des Christentums mit der
europäischen Kulturgeschichte. Zu dem vom Neukantianismus her
bestimmten Denken treten nun von Max Weber herrührende
soziologische Motive. Neben der positiven Würdigung dieses
Werkes, dem Bodenstein sowohl methodisch als Beispiel für die
kulturgeschichtliche Methode in der Theologie wie seiner Periodi-
sierung nach zustimmt, 6tehen aber zugleich die Bedenken,
die sich vor allem gegen Troeltsdis Mißverständnis des Luthertums
wenden. Den tiefsten Grund dafür sieht Bodenstein darin,
daß Troeltsch kein Verhältnis zum reformatorischen Evangelium
hat und ihm die Gotteserfahrung Luthers immer fremd geblieben
ist. Bodenstein meint, Troeltsch habe die stärkste sozialgestaltende
Idee des Christentums überhaupt übersehen, die Unmittelbarkeit
jeder einzelnen Seele zu Gott und die Grenzziehung, die
damit der menschlichen Gesellschaft zugemutet wird. Es ist mir
allerdings fraglich, ob dieses sozialkritische Moment der christlichen
Sozialidee als die „stärkste sozialgestaltende Idee des
Christentums" (S. 138) bezeichnet werden kann und ob nicht
der Gedanke der Mitmensdilidikeit oder der Nächstenliebe eine
viel stärkere Potenz hat. — Als vierte Phase seines Denkens ist
das Ringen um das Historismus - Problem anzusehen mit seinen
verschiedenen, und wie Bodenstein einleuchtend darstellt, nicht
zureichenden Lösungsversudien im Entwurf einer europäischen
Kultursynthese, in der verspäteten Hinwendung zu Malebranche
und Leibniz und schließlich einer ethischen Lösung. Bodenstein
dürfte recht haben, wenn er diese letzten Leistungen des Kulturphilosophen
Troeltsch als eine „säkularisierte Gestalt der Theologie
seiner vorangegangenen Epoche" (S. 187) ansieht. Jedoch
bleibt mir fraglich, ob man mit mehr oder weniger verhohlenem
innigem Bedauern beim „gescheiterten Theologen Troeltsch" die
Elemente eines „christlichen Restglaubens" (S. 208) allzu sehr betonen
muß, die schließlich bei ihm übrigbleiben. Ist es nicht viel-