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Ausgabe:

1961 Nr. 5

Spalte:

360-362

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Werbeck, Wilfrid

Titel/Untertitel:

Jacobus Perez von Valencia 1961

Rezensent:

Hahn, Friedrich

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359 Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 5 360

griechischen Kirchenväter in den Kreis der theologischen Autoritäten
an (274—308). An erster Stelle 6teht hier der Areopagit,
neben ihm Maximus Confes6or und Gregor von Nazianz (278 f.).
Aber auch Gregor von Nyssa wird für die Anthropologie, Chry-
60stomos, Origenes für die spirituelle Schriftauslegung, Johannes
Damaszenus für Christologie und theologische Systematik
wichtig. Besonders die Schule von Chartres, die Schüler Gilberts
(aber auch Citeauxl) stützen sich auf die griechischen Väter. Der
augustinisch orientierte Widerstand hat 6ein Zentrum im Kreis
um Petrus Lombardus, der lediglich den Damaszener zitiert (287).
Der Einfluß der griechischen Väter drängt nicht nur die heilsgeschichtlich
begründete zugunsten einer kosmisch orientierten
Frömmigkeit zurück (293), indem die Schöpfung als Manifestation
des unerkennbaren Gottes in den Vordergrund des Interesses
rückt (304 ff.), sondern vom Areopagiten her bricht auch
der Gedanke des Übernatürlichen 6ich Bahn (293 f.), ohne daß es
freilich innerhalb der neuplatonischen Partizipationsmetaphysik
zu einer Verselbständigung des Natürlichen kommen könnte
(296 f.)1.

Mit dem Einfluß der griechischen Väter verbindet sich gegen
Ende des Jhdts. eine Schärfung des Blicks für die metaphysische
Begrifflichkeit in der Theologie (309—322). Das zeigt der Gebrauch
der Begriffe causa, substantia, forma, motus, potentia, in
der Anthropologie der Gebrauch von finis, intentio, libertas,
virtus, iustitia. Doch stiften die unter dem Namen des Aristoteles
umlaufenden neuplatonischen Schriften noch lange Verwirrung
(312). David von Dinant (317 f.) und Amalrich von Bene
(318—320) werden als Beispiele für die gefährlichen theologischen
Möglichkeiten der noch ungefestigten Anfänge dieses metaphysischen
Erwachens behandelt. Ob sie aber nicht noch besser Beispiele
für den pantheistischen Trend im Ansatz der Chartreser
Theologie der absoluten Einheit darstellen? Es ist wahr, daß dieser
Trend bei den Meistern von Chartres gebremst wurde, aber
das geschah auf Kosten der Konsequenz des Ausgangspunktes.
Diese Konsequenz wird bei Amalrich offenbar virulent; und auch
David von Dinant steht unter dem Eindruck des Themas ,de uni-
tate', obwohl er Aristoteliker sein will und den Chartreser Leitgedanken
von Gott als transzendenter Form der Dinge verwirft2.

Die metaphysische Hochflut zu Beginn des 13. Jhdts. ist ein
Höhepunkt auf dem Wege der Theologie zur Wissenschaft. Dieser
Weg (323—350) ist im 12. Jhdt. der Weg des Magisters, einer
„neuen sozialen Kategorie". Die Magister wirken nicht im Kloster
, sondern in den Städten. Sie begnügen sich nicht mit der
Exegese der Schrift, sondern suchen Vernunftgründe für ihren
Inhalt, indem sie profane Begriffe und Verhältnisse auf den theologischen
Stoff übertragen (331). Die Lehrmeinungen der Magister
treten neben die Autorität der Väter. Haben doch die
Magister den Sinn der autoritativen Aussprüche überhaupt erst
festzustellen (351 ff.). Die dabei entwickelten Regeln der Textinterpretation
, von Abaelard zuerst formuliert, von Alanus aus-

*) Daß jedoch die Theologie — unter dem Einfluß des Areopagiten
— schon im 12. Jhdt. als (übernatürliche) Glaubenswissenschaft gedacht
werde, namentlich in der Schule Gilberts (307 f.), leuchtet nicht
ganz ein. Gilberts Unterscheidung zwischen rationes theologicae und ra-
tiones naturales, an die Chenu anscheinend denkt (315), ist eine Unterscheidung
innerhalb des Bereichs der natürlichen Vernunft selbst, je
nachdem, ob sie sich auf die Einheit oder auf die Vielheit in den Dingen
richtet (vgl. ThLZ 1958, 442). Es ist doch charakteristisch für die Theologie
des 12. Jhdts., daß sie grundsätzlich Vernunft und Glaube in
Übereinstimmung sieht, auch hinsichtlich der Glaubenswahrheiten selbst,
wenngleich der rationalen Argumentation keine psychologisch
zwingende Kraft zugeschrieben wird (vgl. Grabmann, Gesch. d. scholast.
Methode II, 337 f., 475, 545 ff.). Die Beziehung der Theologie auf ein
über natürliches Gegenstandsfeld dürfte jedenfalls erst aus dem
Kompromiß der Theologie mit der aristotelischen Metaphysik resultieren
.

s) Davids Gedanke der Einheit Gottes über allen Verschiedenheiten,
die ihrerseits durch Formen bedingt sind, erinnert von fern an Avicennas
Gedanken der Einheit des göttlichen esse jenseits aller quidditativen
Bestimmung. Bekanntschaft mit Avicenna zeigen jedenfalls die Sätze
„ens abstrahit ab omni ente distincto" und „ens per intellectum est
ante omne ens determinatum" (G. Thery, David de Dinant. 1925, p. 135,
fragm. 3 u. 4, vgl. Albertus Magn. I Sent. I a. 5 n. 2—3). — Es überrascht
, daß Chenu 320 das Verbot der aristotelischen Schriften nicht
mit der Verurteilung Davids in Verbindung bringen will.

gebaut, haben bis heute Gültigkeit. Der Sinn der autoritativen
Texte entscheidet sich jedoch erst durch ihre Einbeziehung in das
rationale Verständnis der Wirklichkeit, und so wird die Theologie
aus der Auslegung der sacra pagina notwendig zur Konstruktion
der sacra doctrina (329 ff.). In der Entwicklung der
literarischen Formen läßt sich dieser Prozeß als Verselbständigung
der scholastischen quaestio gegenüber dem kommentierten
Schrifttext, dessen Schwierigkeiten ursprünglich den Anlaß zu
ihrer Entstehung gaben, beobaditen (3 37 ff.). Dieser Weg gipfelt
in der Zusammenfassung der Quaestionen im freien Aufbau einer
Summe. Der Weg der Theologie zur Wissenschaft kommt auch in
der „Temperatur" der theologischen Sprache zum Ausdruck:
Diese wird im Vergleich zur monastischen Theologie kühler, gewinnt
den charakteristisch scholastischen, „objektiven" Ton
(344 f.).

Nach einer Untersuchung des theologischen Vokabulars des
12. Jhdts., besonders im Blick auf die Übersetzung griechischer
Termini, schließt Chenu 6ein Werk ab mit einer Betrachtung über
die Einstellung der Theologen des 12. Jhdts. zu Tradition und
Fortschritt (386—398). Er führt erstaunliche Aussagen, vor allem
von Richard und Andreas von St. Victor an, die sich gegen eine
bloße Autoritätentheologie wenden. Andererseits haben die
Bewahrer der Tradition immer wieder Gedanken lediglich ihrer
„Neuheit" wegen verworfen. Das Prinzip einer lebendigen Tradition
, die Neues mit Altem zu verbinden weiß, sieht Chenu in
einem Gleichnis Bernhards von Chartres ausgedrückt. Bernhard
vergleicht sein Geschlecht mit Zwergen, die auf den Schultern
von Riesen stehen, aber von diesem Platz aus trotz ihrer eigenen
Zwergenhaftigkeit mehr und weiter sehen können als jene (396).

Chenus Buch muß ohne Zweifel als grundlegend für die
weitere Erforschung des 12. Jhdts. und der Scholastik überhaupt
bezeichnet werden. Es ist schwer zu sagen, was man an diesem
Buch zuerst rühmen soll: die Fülle bezeichnender Einzelzüge, den
Reichtum immer wieder überraschender Verbindungen zwischen
scheinbar weit Auseinanderliegendem, die neuartigen Perspektiven
, die aus der Zusammenschau sonst getrennter Forschungsebenen
resultieren, die Verknüpfung alles Einzelnen in umgreifenden
Zusammenhängen, die den Blick auf eine geistige Einheit
des Zeitalters eröffnen, auf eine Einheit, die nicht vereinfacht,
sondern Einheit in der Vielfalt sichtbar macht. E6 bleibt zu hoffen,
daß dieses Werk durch eine Übersetzung auch einem weiteren
Kreise zugänglich gemacht werde.

Wuppertal-Elberfeld Wolfhart Pannenberg

Ohnsorge, W.: Der Patricius-Titel Karls des Großen.

Byzantinische Zeitschrift 52, 1960 S. 300—321.
Reinhardt, Rudolf: Die Steuerliste des Provinzialkapitels OSB

Mainz-Bamberg vom Jahre 1501.

Tübinger Theologische Quartalschrift 141, 1960 S. 321—328.

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMA TIONSZEIT

y

Werbeck, Wilfrid: Jacobus Perez von Valencia. Untersuchungen zu
seinem Psalmenkommentar. Tübingen: Mohr 1959. VI. 273 S. gr. 8°
= Beiträge zur Historischen Theologie, hrsg. von G. Ebeling, 28.
Kart. DM 31.50.

Diese Arbeit (von der Theolog. Fakultät der Universität
Zürich 1958 als Dissertation angenommen) ermittelt „die herme-
neutischen, exegetischen und theologischen Quellen und Anschauungen
" (Vorwort) des Jacobus Perez von Valencia. W.s sehr
gründliche, gewissenhafte und wissenschaftsmethodisch vorbildliche
Untersuchung bietet eine wirkliche Bereicherung unserer
Kenntnisse der hermeneutischen, exegetischen, aber auch theologischen
Situation des 15. Jhdts. Gerade bei den Vorarbeiten zur
Neuedition der 1. Psalmenvorlesung Luthers (WA 3 u. 4) wurde
deutlich, wieviel Fragen hier noch zu beantworten sind. Werbeck
hat durch sein Buch eine ganz wesentliche Vorarbeit geleistet.
Erst auf dem sicheren Fundament dieser Untersuchung wird man
sich der Frage nach dem Verhältnis Luthers zu Perez (siehe
G. Ebeling, Luthers Psalterdruck vom Jahre 1513, ZThK 50,
1953, S. 43 ff. Ferner G. Ebeling, Luthers Auslegung des 14. (15.)
Psalms in der ersten Psalmenvorlesung im Vergleich mit der Tra-