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1961 Nr. 5

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Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 5

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(hervorzuheben ist auch die sehr besonnene Darstellung der
Honoriusfrage S. 293—295), und resümieren vor allem in aktuellster
Weise die weitverzweigte Forschung der letzten Jahrzehnte
über diese Frage (mit gründlichster Literaturübersicht). Die organische
Einfügung des Gedankenwerkes einiger führender Persönlichkeiten
in diese hietorischen Zusammenhänge macht teilweise
ihre detaillierte Behandlung im speziellen Teil entbehrlich,
wenn auch Wiederholungen zuweilen unvermeidlich sind. Manches
ist dabei freilich wiederum der gedrängteren Behandlung
zum Opfer gefallen. So vermißt man z. B. mit Bedauern eine
Charakteristik der Dichtungen des hlg. Theodoros Studites, die
der von Krumbacher (2. Aufl. S. 713) gegebenen entspricht. Ein
hervorragendes Hilfsmittel der Forschung ist der I. Hauptteil
„Die Reichskirche und ihre Organisation", eine ganz auf die
Höhe der heutigen Forschung gebrachte Übersicht über die Geschichte
und hierarchische Funktion der Patriarchate, Metropo-
lien und Bischofssitze, über die kirchlichen Institutionen und
Ämter, und über die wichtigsten byzantinischen Klöster, sowie
die Einrichtungen des byzantinischen Mönchslebens. Der II. Hauptteil
ist der Darstellung der Liturgie, der liturgischen Bücher, des
Kirchenjahres und der Hagiographie (nach Gattungen und Sammlungen
) gewidmet. Wir erhalten so einen umfassenden Überblick
nicht nur über die theologischen Strömungen und die Werke
der theologischen Literatur im einzelnen, sondern auch über die
kirchliche Organisation und das kirchlich-religiöse Leben von
Byzanz, und das Gesamtwerk wird eingeleitet durch eine sehr
lebendige, ja, temperamentvoll geschriebene Darstellung der
„Entwicklung der theologischen Byzantinistik", die die an 6ich
trockene, bibliographische Übersicht mit scharf skizzierten, zuweilen
humoristisch formulierten Charakterbildern der einzelnen
Gelehrten zu beleben weiß.

Wir besitzen hiermit für dieses so schwierige Gebiet ein so
vorzügliches Handbuch, wie wenige andere Disziplinen.

Graz Endre von Ivnnka

Henry, Paul: Frühchristliche Beziehungen zwischen Theologie und
Philosophie.

Zeitschrift für katholische Theologie 82, 1960 S. 428—439.

Nygren, Gotthard: Die schwedische Augustinforechung.

Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 2, 1960 S. 33 5—3 54.

Pollard, Evan: The Creeds of A. D. 32 5 : Antioch, Caesarea, Nicaea.
Scottish Journal of Theology 13, 1960 S. 278—300.

King, N. Q., Prof., M. A., Ph.D.: "There's such Divinity doth hedge
a King". Studies in ruler cult and the religion of sacral monarchy in
some late fourth Century Byzantine monuments. A public lecture
delivered at the University College, Legon on 15 June 1959. London:
Nelson for the University College of Ghana [i960], 34 S., 7 Abb.
a. 4 Taf. 8°.

KIRCHEN GESCHICHTE: MITTELALTER

C h e n u, M.-D., O. P.: La Theologie au douzieme siecle. Preface
d'Etienne Gilson, de lAcademie francaise. Paris: Libr. philos. J. Vrin
1957. 413 S. 4° = Emdes de philosophie medievale XLV.

Unser Bild von der Geistesgeschichte des 12. Jhdts. hat durch
die Editionen und Untersuchungen der letzten Jahrzehnte tiefgreifende
Wandlungen erfahren. Man kommt immer mehr ab von
dem Schema, demzufolge das 12. Jhdt. nur Vorarbeit in Einzelfragen
für die Scholastik des 13. Jhdts. geleistet hätte — eine Betrachtungsweise
, die noch dem großen Werk von Landgraf zugrunde
liegt —, und man gewinnt den Blick für das Eigengewicht
und die Selbständigkeit der geistigen Bestrebungen und der theologischen
Entwürfe dieses Zeitalters. Es fehlt hier durchaus nicht
an umfassenden Konzeptionen, die freilich im einzelnen nicht 60
vollständig ausgearbeitet sind wie die großen Summen des
13. Jhdts., die aber teilweise in der Kühnheit des Entwurfes und
in der Radikalität der Problemstellung im 13. Jhdt. nicht wieder
erreicht worden sind. Von da aus wird eine Revision der herkömmlichen
Sicht von der Gesamtentwicklung der Scholastik
nötig. Im 13. Jhdt. sind die Bestrebungen des 12. nicht nur fortgeführt
und vollendet, sondern auf weite Strecken hin auch abgebrochen
, verwässert oder vergessen worden.

Das vorliegende Werk de6 gelehrten französischen Dominikaners
, der besonders durch 6eine Einführung in das Studium des
Thomas von Aquin bekannt ist (1950), beabsichtigt nicht, derartige
Konsequenzen zu ziehen, aber es gibt zum ersten Mal seit
Grabmanns Geschichte der scholastischen Methode einen zusammenfassenden
Eindruck von der Eigenbedeutung der Theologie
des 12. Jhdts. Dabei bildet nicht die Entwicklung der Schulen, die
Abfolge der theologischen Entwürfe und der Überblick über ihren
Lehrgehalt den Leitfaden der Darstellung. Vielmehr zielt die Absicht
des Verfassers auf deren geistigen Untergrund, auf das geistige
„Klima" (11), aus dem die Ausbildung der Einzellehren erst
verständlich wird. Dieses geistige Klima aber — und das macht
einen besonderen Vorzug des Buches aus — wird nicht abstrakt
ideengeschichtlich, sondern in der Einheit der intellektuellen mit
den kirchlich-institutionellen, mit den politischen, soziologischen
und frömmigkeitsgeschichtlichen Wandlungen des Zeitalters beschrieben
. Das Thema gewinnt Gestalt in einer Folge monographischer
Essays, die jeweils einen neuen Aspekt zum Bilde des
Ganzen hinzufügen, so daß der Leser am Schluß einen starken
Eindruck von der Vieldimensionalität dieser geistigen Welt mitnimmt
.

Den Ausgangspunkt bildet die „Renaissance" des 12. Jhdts.,
das Aufkommen eines neuen Lebensgefühls, das der Natur der
Dinge im Kosmos und dem Menschen als Mikrokosmos zugewendet
ist. Von daher erklärt sich die begierige Aufnahme antiker
Naturphilosophie, das Streben nach Rationalität, beides besonders
in der Schule von Chartres lebendig. Das Wirken Gottes
wird weniger im wunderhaft Außerordentlichen als im gesetzmäßigen
Zusammenhang der Natur gesudit (26 f.). Die Kunst
des 12. Jhdts., insbesondere die neue Plastik, wie sie an der
Kathedrale von Chartres — nicht zufällig gerade hierl — entsteht
, drückt denselben Naturalismus aus. Die Desakralisierung der
Natur ist auch im Zusammenhang mit den technischen Leistungen
der Zeit zu sehen: Die Einführung der Windmühle, die
Erfindung des Pferdegeschirrs, die mechanische Zeitregelung
durch die Uhr (insbesondere durch die Kirchturmsuhr), die Ausdehnung
und Sicherung der Seefahrt durch die Erfindung des
Kompasses revolutionieren das Leben (47 f.) und machen dem
Menschen seine Stellung als Herr der Natur bewußt. Der damit
zusammenhängende neue Humanismus zeigt sich in der Kontroverse
über die Frage, weshalb der Mensch geschaffen wurde (52f.):
nur als Ersatz für die gefallenen Engel, oder um seiner selbst
willen als Zweck der ganzen Schöpfung. Die Bejahung der letzteren
These weist dem Menschen eine neue Stellung in der Welt
zu und macht alle Naturerkenntnis zum Mittel der Selbsterkenntnis
des Menschen.

In Spannung zum Aufschwung der Naturphilosophie, der
von Chartres ausgeht, vollzieht sich ein Aufschwung des geschichtlichen
Denkens, sowohl in der allgemeinen Historiographie wie
in der Geschichtstheologie der Schule von St. Victor (62—89).
Auch hier sind die humanistischen Impulse wirksam, und schon
in der Bevorzugung des Literalsinns der Schrift äußert sich das
allgemeine Streben nach rationaler Klarheit. Aber Hugo von
St. Victor empfindet den Gegensatz der biblischen „historia" als
einer zeitlichen Ereignisfolge gegen die Tein logische Konstruktion
des Kosmos, wie sie das am platonischen Timaios orientierte
Ideal der Chartreser Naturphilosophie war. Dieser Gegensatz
äußert sich in der Kontroverse, ob die einzelnen Schöpfungswerke
in zeitlicher Abfolge oder — wie die Chartreser mit Augustin behaupteten
(68) — die ganze Schöpfung auf einmal hervorgebracht
worden ist. Das geschichtliche Denken Hugos läßt ihn ferner
gegen Abaelard den Unterschied der Epochen stark betonen: Die
Propheten hatten keine Kenntnis der Inkarnation Christi. Der
Glaubensinhalt ist keine zeitlose Wahrheit (69). Das Geschichtsverständnis
Hugos, obwohl er die Geschichte post Christum nicht
behandelt, unterscheidet sich nicht prinzipiell von der Historiographie
seiner Zeit. Auch 6ie ist eschatologisch ausgerichtete
Geschichtstheologie.

Man fragt sich, weshalb dieser hcilsgeschichtliche Ansatz im
12. Jhdt. dann doch der Wiederbelebung der geschichtslosen
griechischen Metaphysik unterlegen und damit auch der späteren
Scholastik verlorengegangen ist. Chenu gibt an späterer Stelle
(202 - 9) eine Antwort auf diese Frage: Die Victoriner bauten