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Ausgabe:

1961 Nr. 5

Spalte:

348-349

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kötscher-Bark, Ursula

Titel/Untertitel:

Jesus - undogmatisch 1961

Rezensent:

Schmidt, Erik

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 5

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darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die messianiäche Frage
nicht nur in sich selbst vielschichtig ist, sondern muß auch beachten
, daß Jesus in einer Umwelt auftritt, in der er infolge
vielfach erhobener Ansprüche auf seine Vollmacht befragt wurde.
Erwägungen, wie 6ie zum Thema „Gotteskindschaft" unter dem
Gesichtspunkt der Gottesverkündigung Jesu (abbal) angestellt
worden sind, bleiben unberücksichtigt.

Die didaktischen Ausführungen enthalten wertvolle und
dankenswerte Erkenntnisse, die in lebendiger Auseinandersetzung
mit anderen Versuchen gemacht werden; dabei ist bemerkenswert
, in wie positiver Weise sich der westdeutsche Verfasser
zu katechetischen Arbeiten, wie sie in der Zeitschrift „Die
Christenlehre" vorgelegt worden sind, äußert, ein Zeichen dafür,
daß die in unserem Bereich vorgenommene grundsätzliche Besinnung
auf den Katechumenat der Kirche zu greifbaren Ergebnissen
führt. An dieser Stelle wird deutlich, wie stark die aus
verschiedenen Verhältnissen kommende Arbeit an der christlichen
Unterweisung in den beiden Teilen Deutschlands voneinander
lernen kann. Die didaktischen Erwägungen Stocks sind auf einen
regelmäßigen Religionsunterricht im Rahmen der Schule und in
ihr insbesondere auf Oberschüler zugeschnitten, wenn auch immer
wieder der Blick auf Unter- und Mittelstufe gerichtet wird, der
durch die Erkenntnis bestimmt ist: „Die Perikopen der Grundschule
sind keine Kindergeschichten; sie sollten 6päter wiederkehren
, um interpretatorisch vertieft und erweiternd verknüpft
zu werden" (57). Die Abzweckung auf den Religionsunterricht
der Schule läßt den Verfasser seine Aufgabe als „methodisch angelegte
Propädeutik des Glaubens, der es um bildende Begegnung
mit dem Evangelium in seiner Überlieferungsgestalt geht"
(59) ansehen. In unserem Bereich aber geht es um den Katechumenat
der Kirche, den sie ihren getauften Kindern und Jugendlichen
schuldig ist. Dieser Unterschied macht es verständlich,
daß der Verfasser sich verhältnismäßig zaghaft, wenn auch anerkennend
zu dem äußert, was O. Ziegner in seiner methodischen
und theologischen Besinnung Katechismus als Unterrichtsgeschehen
heißt.

Der Ansatzpunkt dafür liegt in der von Stock vorgetragenen
Erkenntnis, daß die Evangelien „nichts anderes als die Geschichte
des Menschen vor Gott, Schuld und Versagen, Gericht
und Erbarmen, Tod und Leben" (46) erzählen und daß in jeder
Perikope das Ganze der Botsdiaft, wenn auch unter verschiedenem
Aspekt, enthalten ist. Stock will „die Sachinterpretation im Sinn
des exemplarischen Verstehens so weit vortreiben, daß die Schüler
von selbst die Bezugnahme der aussagenden Erzählung auf die
eigene Existenz heraushören" (47), und er bejaht das Recht der
Schüler darauf, „nach einer klaren, weisenden Lehre und nach
verbindlichen Aussagen zu verlangen" (60). Solche Lehre aber
als Katechismus, der im Gespräch — siehe Luthers Kleinen Katechismus
in seiner Anlage — gewonnen wird, setzt bekennende
Bezeugung voraus; sie richtet sich nach der in der jeweiligen
Altersstufe gegebenen Aufnahmefähigkeit, weshalb die Altersstufenlehre
für die Erarbeitung eines Lehrplanes und die Gestalt
der Interpretation der biblischen Geschichte erhebliche Bedeutung
hat. Sie bestimmt aber auch das Erzählen der biblischen Geschichte
selbst. Wir gehen darin mit Stock einig, daß es in ihr um
die Zuwendung Gottes zum Menschen geht. Darum heißt biblische
Geschichte im allgemeinen erzählen: wir erzählen nicht die Geschichte
von Menschen, sondern wir erzählen die Geschichte
unseres Gottes mit seinen Menschen, und weil es die Geschichte
unseres Gottes ist, sind wir hier mit dabei, auch wenn sie
von Menschen einer vergangenen Zeit redet. Und das bedeutet
für die Geschichte der synoptischen Evangelien: Weil Gott sich
uns in Jesus Christus zuwendet, und das deshalb, weil Jesus Christus
aus der Zuwendung Gottes zu ihm und seiner Zuwendung
zu Gott lebt, erzählen wir die Geschichte der Evangelien in der
Weise: Jesus begegnet uns als der, der an Gottes Stelle bei uns
ist in Gottes Vollmacht; wir sehen an ihm Gottes Bild; und Jesus
begegnet uns als der, auf dem Gottes Wohlgefallen ruht, weil
er unser Nächster geworden ist; wir 6ehen in ihm den Menschen
nach Gottes Wohlgefallen; er erscheint uns als wahrer Gott und
wahrer Mensch. So wird er uns zum Gericht über unser Menschentum
, auf dem nicht Gottes Wohlgefallen ruht, und zur Gnade,

die uns erlöst zu jenem Menschentum, das unter Gottes Wohlgefallen
steht. Diese Geschichte ruht aber auf der Geschichte
unseres Gottes mit ihm; diesen Aspekt bekommt Stock deshalb
nicht klar in den Blick, weil er Taufe und Versuchung, Passion
und Ostergeschichte noch nicht in seine Erörterung einbezieht. Das
aber ruft den Wunsch hervor: Studien, wie sie Hans Stock vorlegt
, müssen auf dem Grund theologischer Besinnung fortgesetzt
werden für die alttestamentlidie Geschichte, für weitere Partien
der Synoptiker und auch für die Apostelgeschichte. Der Katechismus
aber, der sich beim Erzählen solcher Geschichte ereignet
und ihr vorgeht, heißt: Gott wendet sich seinen
Menschen zu, zuletzt in Jesu6 Christus,
daß er sie zu dem befreie, was in seinem Bilde
erscheint, auf daß sie, von ihm angerufen
und angeredet, ihm gehören. Dann wird in der erzählten
synoptischen Geschichte unser Gott selbst sichtbar im
Bilde Jesu, und wir werden sichtbar als die, die wir sein sollen,
auch im Bilde Jesu, das uns darin zu Gericht und Gnade wird.

Stock wendet sich gelegentlich gegen ein allgemeines Gottvertrauen
und grenzt es gegen den Glauben ab, den Jesus Christus
erweckt; das geschieht mit Recht, jedoch sollte nicht übersehen
werden: was in jenem allgemeinen Gottvertrauen als
Voraussetzung echten Glaubens steckt, kann von einem Menschen
nicht beurteilt werden; der Glaube der Menschen, die zu
Jesus kommen, ist ganz gewiß das Vertrauen, er könne ihr Helfer
sein, und die Gesdiichte sucht unser Vertrauen, ihn unseren Helfer
sein zu lassen. Davon hat Martin Luther in seinen Predigten
— der Verfasser bringt dankenswerte Beispiele, die sich vermehren
lassen — eindrücklich zu reden verstanden. Stock grenzt sich
gegen ein Reden von der Freundlichkeit Jesu ab; die heilige
Schrift weiß von der Menschenfreundlichkeit Gottes deutlich zu
reden; auch sie gehört zum Bilde dessen, der als der Sohn des
Vaters bezeugt wird. Diese Erwägungen sollen die Freude und
den Dank über die verdienstvollen Studien nicht schmälern, sondern
wollen das begonnene Gespräch fördern, daß es 6ich fortsetze
.

Eisenadi Walter G r u n d m an n

Kötscher-Bark, Ursula: Jesus — undogmatisch. Bern - Stuttgart:
Haupt [1958]. 95 S. 8°. Kart. sfr./DM 6.80.

Die vorliegende Arbeit, die kein Geringerer als A. Schweitzer
warm empfohlen hat, ist bibelkritisch mit systematischer Zielsetzung
. Sie stellt die Frage: Kann der moderne Mensch mit seinem
geschärften historischen Bewußtsein die Verquickung des
Dogmatischen, Historischen und Unhistorischen im christlichen
Dogma noch mitmachen (5. 7)? Die Kirche fordert das heute noch
und beruft sich dabei nicht auf den historischen Jesus, sondern
auf das Offenbarungszeugnis der Apostel (6). Gewiß können
Offenbarungstatsachen an Geschichtliches anknüpfen, aber dann
müssen sie aus ihm herausgewachsen sein. Ist dies beim Apostolikum
der Fall (8/9)? Die Verf. verneint diese Frage und will dies
Urteil begründen. Dabei ist sie sich darüber im klaren, daß solche
Prüfung ein Wagnis ist und ein persönliches Bekenntnis (12).
Im Ganzen bewegt 6ich die Verf. mit i'.rer Kritik auf schon gebahnten
Wegen. Doch sind manche Einzelheiten beachtlich und
z.T. originell. Wir führen einiges an: 1. Das Taufgeschehen ist
keine Offenbarung der Sohnschaft Jesu, sondern die Erkenntnis
Gottes als des Vaters (23/24). 2. Das Messiasbewußtsein Jesu
hat sich langsam entwickelt und er behielt es bis zuletzt Gott vor,
ihn als solchen zu offenbaren (31 f.). 3. Der Titel Menschensohn
drückte ursprünglich nur 6eine Bezogenheit auf Gott aus
(43). 4. Die jüdische Obrigkeit war gezwungen, zu dem mes-
sianischen Anspruch Jesu, den er auch beim Verhör v/eder bejahte
noch verneinte (Du sagst es!), Stellung zu nehmen (48. 58).
5. Jesus konnte wohl sein Leiden als messianisches Tun deuten,
aber der Tod des Messias war auch für ihn unfaßbar (54/55).
Er hat seinen Tod weder genau vorhergewußt noch als Opfer und
stellvertretende Erlösung gewertet (52/5 3). 6. Judas wollte
seinen Meister durch den Verrat des Messiasgeheimnisses zwingen
, das Reich, wie er es erwartete, aufzurichten (57). 7. Die
ersten Visionen des Auferstandenen hatten die Frauen (62/63),