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Ausgabe:

1961 Nr. 4

Spalte:

304-306

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Reinisch, Leonhard

Titel/Untertitel:

Theologie heute 1961

Rezensent:

Mumm, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 4

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aus dem „handschriftlichen Nachlaß Schleiermachens, was zum
Thema Hermeneutik gehört", vollständig wiedergibt, dagegen
auf Vorlesungsnachschriften ganz verzichtet. In chronologischer
Reihenfolge werden folgende Handschriften wiedergegeben:

1. die Aphorismen von 1805 und 1809,

2. der 1. Entwurf aus der Zeit zwischen 1810 und 1819,

3. die kompendienartige Darstellung von 1819,

4. die gesonderte Darstellung de6 2. Teiles aus der Zeit
zwischen 1820 und 1829,

5. die Akademiereden von 1829 sowie

6. die Randbemerkungen von 1832 auf 33

— Manuskripte, die sich im Literaturarchiv des Instituts für
deutsche Sprache und Literatur der Deutschen Akademie der
Wissenschaften in Berlin befinden.

Der Herausgeber bemerkt mit Recht, daß die Schleiermacher-
sche Hermeneutik unter Berücksichtigung dieser Manuskripte neu
zu interpretieren sei, wobei besonders die Entwicklung der
Gedanken Schleiermachers und seine starke Betonung der grammatischen
Interpretation — in teilweisem Gegensatz zu Diltheys
bekannter Analyse der Hermeneutik Schleiermachers — zu berücksichtigen
sei. Er hat in einer Einleitung selbst einige besonders
markante Thesen Schleiermachers hervorgehoben: daß die heilige
Schrift für sich einen speziellen hermeneutischen Grundsatz
beanspruchen dürfe, daß die hermeneutischen Methoden sich in
keiner Weise nach der geschichtlichen Besonderheit einer zu verstehenden
Sache richten dürfen, daß der Verstehensvorgang rein
auf seine allgemeinen Prinzipien zurückzuführen sei, und daß die
Hermeneutik sich besonders auf den konkreten Vorgang des
lebendigen Sprechens auszurichten habe. Schleiermacher selbst sei
sich in immer größerem Maße der philosophischen Bedeutung der
Hermeneutik bewußt geworden.

Diese wenigen Bemerkungen genügen, um auf die Grenze
und die Bedeutung der Hermeneutik Schleiermachers hinzuweisen.
Davon geben die hier vorgelegten Manuskripte einen ausgezeichneten
Einblick. Sie stellen freilich auch den Schleiermacher-
Forscher vor die Aufgabe, das große Material über Hermeneutik
mit heranzuziehen, das in dem theologischen und ethischen
Schrifttum Schleiermachers in reichem Maße ausgebreitet ist und
in den konkreten Auslegungsvorgang des Theologen hineinführt,
woraus dann ersichtlich wird, daß Hermeneutik für Schleiermacher
auch ein besonderes theologisches Anliegen ist. War er doch der
erste, der „den eminenten Wert, den die protestantische Kirche
auf die Auslegung legt" erkannte und begründete (Christliche
Sitte, Beilage A, § 214).

Kiel Werner Schultz

Dantine, Wilhelm: Die Gerechtmachung des Gottlosen. Eine dogmatische
Untersuchung. München: Kaiser 1959. 144 S. 8°. Kart.
DM 9.80.

Mit dieser klaren und gründlichen Untersuchung zu einem
Thema, das im klassischen Luthertum das Zentrum der dogmatischen
Gesamtüberlieferung bildete, hat der Verfasser nur eine
systematische Besinnung beabsichtigt, eine Überprüfung gewisser
Voraussetzungen in der älteren Lehrdarstellung. Mit Ausgangspunkt
in der biblischen Rechtfertigungslehre macht er auch — im
IV. Kapitel — einen Versuch, die grundlegende Bedeutung der
iustificatio für die gesamte Theologie in neuer Weise herauszustellen
.

Im II. Kapitel behandelt der Verf. die altlutherische Rechtfertigungslehre
, wobei er vor allem betont, daß ihre Stärke und
ihre Schwäche darin lag, daß das Thema der Rechtfertigung
hauptsächlich als ein Moment des ordo salutis betrachtet wurde,
m. a. W. daß die individuelle Heilsaneignung immer im Vordergrund
stand. Die Stärke war, daß die Rechtfertigung wirklich auf
den Glauben des Einzelnen bezogen wurde, die Schwäche aber,
daß der Rahmen zu eng war, um den Reichtum des biblischen
Rechtfertigungsgedankens zu fassen. Dagegen sieht er in dem
forensischen Charakter der klassischen Rechtfertigungslehre im
Luthertum wie auch im Calvinismus einen Zug, worin das
biblische Denken treu bewahrt worden ist. Nur wurde das göttliche
Urteil allzu sehr als ein Gericht Gotte« dem Einzelnen gegenüber
betrachtet, während nach der Bibel das Gericht Gottes die
ganze Welt umfaßt.

Die Darstellung der altlutherischen Rechtfertigungslehre
wird auf Heinrich Schmids Dogmatik der evangelisch-lutherischen
Kirche aufgebaut. Es muß aber dabei beachtet werden, daß
Schmids klassische „Epitome" eben in der Einfügung der iustificatio
in den Rahmen der gratia applicatrix die Überlieferung der
Spätorthodoxie, nicht aber die Lehre de6 klassischen Altluthertums
, wiedergibt. Die Kritik des Verfassers wird mit diesem Vorbehalt
ihr Recht behalten. Sehr wichtige Folgerungen in bezug
auf die spätere Entwicklung des Luthertums werden auch von der
kritisierten Verengerung des Rechtfertigungsgedankens her gezogen
(S. 27 ff.).

In einem umfangreichen Kapitel (III), das beinahe die Hälfte
des Buches ausmacht, wird die biblische Lehre von der Gerecht-
machung des Gottlosen behandelt. Für Paulus, wie übrigens auch
für Luther, i6t die Alternative Gerechterklärung - Gerecht-
machung unzutreffend. In der iustificatio impii (Rom. 4, 5) geht
es um beides, eine wirkliche Verwandlung und ein göttliches Urteil
. Klar und überzeugend zeigt der Verf., welche große Rolle das
forensische Denkschema in der Bibel spielt. Das Verhältnis zwischen
Gott und Mensch wird oft — auch wo wir es gewöhnlich
nicht merken — als ein Prozeß vorgestellt, worin der angeklagte
und schuldbeladene Mensch wieder in sein Recht hineingesetzt
wird. Dieser Prozeß umfaßt die ganze Schöpfung; „die Gesamtbeziehung
von Gott und Mensch ist forensisch strukturiert"
(S. 69). Nach dem biblischen Verständnis ist die iustificatio eine
effektive Gerechtmachung, die aber „ausschließlich durch ein vollmächtiges
Gerichtsurteil Ereignis wird" (S. 90). Besonderes Gewicht
wird darauf gelegt, daß der heilige Geist als Fürsprecher,
Paraklet, d. h. in den Kategorien des forensischen Schemas, beschrieben
wird.

Die forensische Grundstruktur, deren Bedeutung im III. Kapitel
exegetisch und bibeltheologisch herausgearbeitet wird, macht
der Verf. dann im IV. Kapitel zum Ausgangspunkt für einige
systematische Erwägungen über „die iustificatio impii als Glau-
benswahrheit". Die im forensischen Rahmen entwickelte Lehre
von der iustificatio impii wird hier sozusagen ak Zentrallehre
der Dogmatik dargestellt. Sie wäre nach dem Verf. eher in den
Prolegomena im Anschluß an die Offenbarungslehre zu behandeln
, als in dem Zusammenhang des ordo salutis. Alle theologische
Aussagen sollten von dem forensischen Grundschema her
ihr bestimmtes Gepräge bekommen. Damit sollte überall „die
Wahrheit des Richtertums Gottes und der Verantwortlichkeit des
von Gott angeklagten und schuldigen Menschen" zur Geltung
gebracht werden (S. 106).

Zu den Vorschlägen des Verfassers betreffs der Anordnung
des dogmatischen Stoffes können ohne Zweifel Einwände erhoben
werden. Dessen ungeachtet kann seine Monographie über
die Rechtfertigungslehre als ein sehr wichtiger Beitrag bezeichnet
werden, sowohl zur Dogmatik selbst als auch zur heutigen
Besinnung über die Grundlagen und die Struktur einer evangelischen
Dogmatik.

Druckfehler finden sich S. 28, Zeile 12; S. 44, Z. 17; S. 70, letzte
Zeile; S. 71, Z. 17 u. 19; S. 97, Z. 4.

Lund Bengt Hägglund

Reiiiisch, Leonhard: Theologie heute. Eine Vortragsreihe des
Bayerischen Rundfunks hrsg. München: Beck [1959]. X, 210 S. 8°.
Lw. DM 7.80.

„Was heißt Glauben im christlichen Sinn? Es ist die uralte
Frage, wie man die drei Voraussetzungen christlichen Glaubens
— Gnade, Vernunft und Freiheit — in Einklang bringen kann."
Mit diesen Worten beschreibt der Herausgeber das Unternehmen,
dem 6ich der Bayrische Rundfunk zuwandte, al6 er mehrere hervorragende
Theologen und Vertreter der beiden großen christlichen
Bekenntnisse in völliger Parität zu Vorträgen während des Winters
195 8/59 aufforderte. Nun sind diese Vorträge in einem
gemeinsamen Band gedrudct erschienen. Das ist gut. Einmal
wird hier sichtbar, welchen erheblichen Anspruch der Rundfunk
mit diesen Vorträgen an seine Hörer gestellt hat. Was da gesagt
worden ist, verlangte geradezu danach, nicht nur verklungene