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1961 Nr. 4

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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301

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 4

302

III. Johann Schasching,
Soziologie und Philosophie

Dieser dritte Beitrag hat direkt mit der Metaphysik nichts
zu tun und auch wenig mit der scholastischen Philosophie als
solcher. Es geht in dieser überaus anschaulich geschriebenen
Untersuchung vielmehr um die Frage, in welchem Verhältnis die
Soziologie als die Wissenschaft von der sozialen Wirklichkeit zur
Philosophie steht.

Zuerst wird in einem ideengeschichtlichen Überblick gezeigt,
daß die Soziologie sich immer mehr zu ihrer eigenen Selbständigkeit
hindurchgerungen hat. Hierbei unterscheidet der Verfasser
eine dreifache Entwicklung:

In der ersten Periode, der vorsoziologischen,
herrscht der Primat der Philosophie. Bei Plato sind die soziologischen
Gedanken über die Arbeitsteilung z. B. von der Idee des
besten Staates abhängig. Aristoteles hat von den drei Klassen,
den Reichen, den sehr Armen und dem Mittelstand dem letzteren
den Vorzug gegeben. Dieser habe als Stabilisator für die Gesellschaft
eine besondere Aufgabe. Auch hier ist klar ersichtlich, daß
die Bevorzugung gerade dieser Klasse seiner philosophischen
Zuneigung für das Mittlere entspricht. Thomas von Aquin hat
als soziales Ideal die mittelalterliche Stadt vor sich gesehen mit
dem System der hierarchischen Gliederung. Die Säkularisierung
des mittelalterlichen Weltbildes führte dann zur Hinwendung an
die diesseitigen Lebensordnungen (164).

In der zweiten Periode, der universalsoziologischen
, geht es um die eigene Selbständigkeit dieser Wissenschaft,
ohne jedoch von bestimmten Philosophen frei zu kommen. Es
herrschen der Positivismus und der Naturalismus vor. Als der
eigentliche Begründer der Soziologie gilt Auguste Comte. Mit
seinem Dreistadiengesetz wollte er die Vergangenheit verstehen,
die Gegenwart erfassen und die Zukunft beherrschen. Die Überwindung
der theologischen und der metaphysischen Phase führt
nach ihm zur wissenschaftlichen, der positiven (165). Aber auch
bei ihm ist diese Soziologie mit einer bestimmten Philosophie,
eben der positivistischen, verbunden. Bei Spencer ist die philosophische
Grundlage seiner Soziologie der Evolutionismus. Bei
Karl Marx ging die Soziologie ein Bündnis ein mit dem dialektischen
Materialismus. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
bestand eine enge Beziehung der Soziologie zur Biologie; und
später bei Othmar Spann waren der deutsche Idealismus und die
Romantik bestimmend; aber auch er bemühte sich noch um eine
universalistische Soziologie.

Die dritte Periode, die eklektische, ist zwar in
den Vertretern (Weber, Simmel, Vierkandt) und in den Schulen
sehr verschieden (Kultursoziologie, Wissenssoziologie [Scheler,
Mannheim]). Einig sind sich aber diese Soziologen in dem Willen
zur völligen Trennung ihrer Wissenschaft gegenüber der
Philosophie.

In der Gegenwart setzt aber wieder eine Annäherung zwischen
Soziologie und Philosophie ein. Ohne Philosophie gibt es
keine wissenschaftliche Theorie und auch keine Wissenschaft vom
Menschen (184). Es besteht sogar die Gefahr für die empirische
Forschung, daß sie sich ohne klare Begrifflichkeit in Randprobleme
verliert. Die Philosophie kann mit dazu beitragen, die
Soziologie vor der Erstarrung und dem Dogmatismus zu bewahren
. Nach Sorokin leidet die gegenwärtige Soziologie „an einer
historischen Amnesie und an einem einseitigen Columbus-
Komplex" und vor allem an einer Mechanisierung des Sozialen,
die sich in der Testomanie und Quantophrenie auswirkt (187 f.).
Wenn die Soziologie der Philosophie bedarf, so gilt auch das
Umgekehrte: die Philosophie ist angewiesen auf die Soziologie.
Auf dem Gebiet der Naturrechtslehre liegt in dieser Richtung ein
entscheidender scholastischer Versuch vor von Joh. Messner
(193 ff.). Für das Naturrecht kann die empirische Soziologie einen
wesentlichen Beitrag leisten.

Zum Schluß zeigt Schasching, daß die empirische Forschung
in der Soziologie durchaus ihre Berechtigung hat, aber daß sie
nicht ohne meta-empirische Voraussetzungen auskommt. Die
mikrosoziologische Grundeinstellung, die Beschränkung auf die
Teilbereiche der Gesellschaft, fördert zwar wichtiges Material
herbei. Aber die Einstellung zu einem Teilgebiet und die anzuwendende
Methode in der empirischen Soziologie setzen Gegebenheiten
voraus, die nicht der unmittelbaren Forschung entnommen
sind. Wenn z. B. eine Umfrage analysiert wird, dann
wird ein Sinnzusammenhang zwischen den verschiedenen Antworten
immer schon vorausgesetzt (203). Auch die makrosoziologische
Betrachtungsweise bedarf einer Theorie. Es gibt im
Grunde keine Voraussetzungslosigkeit in der Wissenschaft, auch
nicht in der Soziologie. Bei der Deskription der Wirklichkeit geht
es eben nicht nur um ein Abschreiben oder um ein mit Worten
Fotografieren (204). Erst von bestimmten Fragestellungen her
ergibt sich eine bestimmte Beobachtung.

Zum Schluß wird darauf hingewiesen, daß es gar keine reine
Empirie geben kann. Ohne eine philosophische Theorie kann die
Soziologie, zwar bildlich gesprochen, tief in "den Berg des Materials
eindringen. Aber es besteht dann auch die Gefahr, daß ,,Löcher
in die Luft gebohrt werden" (209). Unfruchtbar ist daher die
Unterscheidung zwischen einer philosophisch vorbelasteten und
einer völlig voraussetzungslosen Stilform in der Soziologie. Sinnvoll
ist dagegen die Frage, „ob sich das jeweilige Apriori einer
empirischen Sozialforschung als zielkonform oder als zielkonträr
erweist" und ob es „zur Erhellung oder zur Entstellung der sozialen
Wirklichkeit beiträgt" (210).

Im Unterschied zu den beiden vorausgehenden Untersuchungen
legt sich der Verfasser dieses wichtigen Beitrags nicht
auf eine bestimmte scholastisch begründete Metaphysik fest. Er
nimmt zwar von dorther die wichtige Anregung für die Annäherung
von Soziologie und Philosophie. Aber er fordert doch dazu
auf, die apriorischen Voraussetzungen der Soziologien zu prüfen.
Er warnt auch vor einer einseitigen Bindung an eine bestimmte
Philosophie.

Dies wird in unserer Situation heute überhaupt grundsätzlich
wichtig sein und für diese Hinführung sei dem Verfasser besonders
gedankt. Bei all unserem Erfassen der Wirklichkeit sollten
wir gewarnt sein vor jeglicher Verabsolutierung der Teilaspekte
. Zugleich sollten wir darauf Bedacht nehmen, daß sich alle
Voraussetzungen und Vorgegebenheiten immer wieder in der
Wirklichkeitserkenntnis als wahr erweisen lassen müssen.

Wenn auch, wie erwähnt, grundsätzliche Fragen im kritischen
Denken und im Theologischen bleiben, ist doch mit dankbarer
Empfehlung auf diese überaus wertvolle Gemeinschaftsarbeit
hinzuweisen.

Eisenadi Heinz Eridi E isenh u th

Breton, S.: Logique et theologique.

Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques 44, 1960 S. 409
bis 440.

G a r n e 11, A. Campbell: Contemporary Thought and the Return to
Religion. Lexington/Kentucky: The College of the Bible 1960. 99 S.
gr. 8° = The College of the Bible Spring Lectures 1958. $ 2.—.

H i c k, John H.: The Idea of Necessary Being.
Princeton Seminary Bulletin 54, 1960 S. 11—21.

T h e o d o ra k o p o u 1 o s, Johannes: Philosophie und Religion. Eröffnungsrede
zur Griechischen Woche vom 21. —27. Juni 1960. München
: Hueber [i960]. 15 S. gr. 8° = Münchener Universitätsreden, N. F.
H. 27. DM 1.50.

T i 11 i c h, Paul: Christentum und Marxismus.
Zeitwende XXXII, 1961 S. 24-29.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

S c h 1 e i e r m a c h e r. Fr. D. E.: Hermeneutik. Nach den Handschriften
neu hrsg. u. eingeleit. v. H. K i m m e r 1 e. Heidelberg: Winter
1959. 175 S. 4° = Abhandl. d. Heidelberger Akademie d. Wiss.,
Philos.-hist. Klasse, Jg. 1959, 2. Abhandl. DM 25.—.

Seit langem bestand der Wunsch nach einer vollständigen
Ausgabe der Arbeiten Schleiermachers über das heute immer
stärker in den Brennpunkt sowohl der philosophischen wie der
theologischen Besinnung tretende Problemgebiet der Hermeneutik
, das bisher nur in der recht unvollständigen Ausgabe von
Friedrich Lücke in dem 7. Band der 1. Abteilung der Gesammelten
Werke Schleiermachers (Berlin 1878) zugänglich war. Dieser
Wunsch ist nun durch die vorliegende Ausgabe erfüllt, die alles