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Ausgabe:

1961 Nr. 4

Spalte:

288-289

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kupisch, Karl

Titel/Untertitel:

Quellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus 1961

Rezensent:

Schmidt, Kurt Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 4

lium wesensnotwendig gehören, soldie, die ihm nicht zuwiderlaufen
, und solche, die mit ihm unvereinbar 6ind. Wieweit sich
die evangelische Theologie über die rechte Wertung immer im
klaren war und wieweit die erkannten Grundsätze in die Praxis
umgesetzt wurden, ist eine Frage für sich. Jedenfalls scheint es
notwendig, bei einer Fortführung des Themas den Begriff der
,.katholischen Überlieferungen" zu differenzieren. Zeedens Arbeit
wird als Ausgangspunkt und Anstoß für eine Weiterarbeit
in der Frage nach dem „Katholischen" im Luthertum und dann
auch in der Frage nach der Konfessionswerdung des Luthertums
wertvoll sein.

Nürnberg Friedriiii K n 1 b

Lohee, Bernhard: Reason and Revelation in Luther.
Scottish Journal of Theology 13, 1960 S. 337—365.

KlliCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Col*, Charles C, jr.: The Social Ideas of the Northern Evangelists
1826—1860. New York: Columbia University Press 1954. VII, 268 S.
gr. 8° = Columbia Studies in the Social Sciences Nr. 580.

Ohne einen besonderen theologischen Anspruch zu erheben,
ist diese Studie von Bedeutung für das Verständnis der amerikanischen
religiösen und kirchlichen Entwicklung. Die Problematik
der amerikanischen Kirchengeschichte ist vielfach bestimmt
durch die dem Europäer fremde Vielgestaltigkeit der Kirchen und
Sekten, so daß man eher von Kirchen als von der Kirche zu reden
geneigt ist. Solch eine allgemeinere Orientierung wird weiter
spezifiziert durch Herausstellung besonderer Eigenschaften gewisser
Perioden und gewisser regionaler Gebiete (Nord, Süd,
Ost, West) — die getragen und öfters in ihrer Gestaltung bestimmt
wurden von der historisch-kulturellen Entfaltung der
neuen Nation. Um solch einen Material-Komplex zu überblicken,
6ind vielfach Studien aus dem Bereich der Ideengeschichte notwendig
, ohne daß sie einen theologisch-geschichtlichen Anspruch
erheben; sie sind jedoch für das Verständnis der Eigenart des
amerikanischen Christentums wkhtig. Da der Bürgerkrieg als
eine natürliche und bequeme Scheidelinie in allen Entfaltungen
des amerikanischen Lebens gilt, bekommt die ihm vorangehende
Periode eine besonders zu beachtende Bedeutung bei der großartigen
Entwicklung in diesen jugendlichen Jahren der heranwachsenden
Nation.

Der Verfasser beschreibt dann den Einfluß der Erweckungs-
bewegung auf die soziale Entwicklung dieser besonders regen und
lebendigen Zeit. In dieser Hodiflut der Erweckungsbewegung im
19. Jahrhundert ereignete sich der Übergang vom alten individualistisch
geprägten orthodoxen Calvinismus des 17. und 18.
Jahrhunderts. Etliche Vertreter der neuen Richtung mußten sich
sogar öffentlich gegen die Anklage der Häresie verteidigen.

Unter Hinweis auf den Einfluß namhafter Evangelisten dieser
Periode bietet Cole eine Übersicht über gewisse frühere Aspekte
der 6ich später entfaltenden „social Christianity". Die Beschränkung
auf den Norden ist teils bestimmt durch die Unzugänglichkeit
wichtiger Quellen — ein Umstand, den der Verfasser nicht
näher erklärt. Die Hauptträger der Bewegung, voll von evangelistischem
Eifer und moralistischen Absolutismen, 6ind zugleich
die bedeutendsten Prediger dieser Periode, so etwa: Lyman
Beecher (1775—1863), Congregationalist und Presbyterianer;
Peter Cartwright (1785—1872), Methodist; Francis Wayland
(1796-1865), Methodist; Albert Barnes (1798-1870), Presbyterianer
; Horace Bushneil (1802—1876), Congregationalist;
Henry Ward Beecher (1813—1887), Congregationalist; Charles
G. Finney (1792—1875), Presbyterianer. Andere wären noch zu
nennen. Ohne Ausnahme waren sie charaktervolle Persönlichkeiten
im unermüdlichen Kampf gegen zum Teil bedenkliche und
zum Teil weniger eindrucksvolle Übel der Zeit (Diät- und Kleidungs
-Reform, Vergnügungen, allgemeine Lebensweise kämen
in Betracht). Der amerikanische „Pietismus" wurde nicht von
einem Intellektualismus und Formalismus herausgefordert, sondern
von ethisch-moralischen Fragen. Der IV. Abschnitt behandelt
Social a/id Moral Reform (im Gebiet des persönlichen
Lebens); V. Politics and Political Ideas; VI. The Things of This

World; VII. The Slavery Question. Mit einigen Ausnahmen, und
zwar in verschiedenen Schattierungen, bekundet 6ich ein gemeinsamer
Idealismus, Fortschrittsglaube und unkritischer Biblizismus.
Auffallend sind die gleichartigen Stellungnahmen gegenüber dem
Katholizismus, der göttlichen Begründung der demokratischen
Republik und der Gleichsetzung von Protestantismus und politischem
Fortschritt. In einer Zeit, in der fast alle Prediger Politiker
waren, befürworteten sie (ohne Erfolg) die Gründung einer
christlichen politischen Partei — könnten doch die Presbyterianer
allein eine halbe Million Wähler stellen und die fünf größten
protestantischen Kirchen jede öffentliche Wahl bestimmenl

Unter Hinweis auf calvinistische Prinzipien (obwohl der
Verfasser keine theologische Analyse vornimmt) befaßt sich der
VI. Abschnitt mit einer Reihe von ökonomischen Problemen
und Fragen. Man vergleiche etwa die Predigt von Bushneil,
„Prosperity Our Duty", die deT Verfasser als „eine Modernisierung
der calvinistischen Geschäfts-Ethik" im 19. Jahrhundert bezeichnet
. Hier werden das Recht des Reichtums und die Pflicht
der Wohltätigkeit als ebenbürtige Forderungen dargestellt. Eifrige
Prediger drängten auf Zufriedenheit mit dem Status quo,
was gleichbedeutend war mit Zustimmung zum kapitalistischen
System. Andererseits wurde die Wohltätigkeit als „Beruf" bezeichnet
, und der Gedanke des „stewardship" und seine rege
Praxis hat sich bei vielen Reichen im Lande tief eingebürgert.
Mit solcher Bevorzugung der Reichen wurde ihr Ansehen im
kirchlichen Leben erhöht. In der Frage der Sklaverei ist kein
einheitlicher Vorstoß zu verzeichnen, obwohl damals allgemein
das Recht des Kampfes befürwortet wurde. Diese Darstellung
ist von besonderem Interesse angesichts einer neueren Ansicht,
daß der eigentliche Ausbruch der Feindseligkeiten zurückzuführen
sei auf das Hetzen von Fanatikern auf beiden Seiten. Die Teilnahme
theologischer Studenten an dieser Frage zeigte sich gelegentlich
in einer Debatte im Lane Theological Seminary, Cin-
cinnati, Ohio (1833) (Lyman Beecher, President), worauf die
„cessio" der meisten Studenten nach Oberlin College, Ohio
(Finney, President) erfolgte.

Für die Evangelisten dieser Periode bedeutete der Bürgerkrieg
das Ende ihrer Epoche. Die neuen Nach-Kriegs-Probleme der
Industrialisierung, das neue wissenschaftliche Weltbild (Darwinismus
) und überhaupt die neue psychologische Orientierung
verwandelten ihre altmodischen Fragestellungen in neue. Sie sind
Kinder ihrer Zeit gewesen, und doch haben sie ein Erbe hinterlassen
, das für das weitere Verständnis des komplizierten Komplexes
amerikanischen Christentums wichtig ist. Besondere Aufmerksamkeit
verdienen die bibliographischen Hinweise auf
Werke der genannten Evangelisten. Das Hauptwerk von Finney,
Lectures on Revivak, ißt ins Deutsche übersetzt worden.

Webster Groves/Mö./USA. Carl E. Schneider

Kupisch, Karl, Prof. Dr.: Quellen zur Geschichte des deutschen
Protestantismus (1871—1945). Göttingen-Berlin-Frankfurt: Musterschmidt
-Verlag [i960]. 310 S. 8° = Quellensammlung zur Kulturgeschichte
, hrsg. v. W.Treue, Bd. 11. Kart. DM 22.80.

Wie das deutsche Reich, so hat auch der deutsche Protestantismus
eine entscheidende Wandlung erfahren in der Zeit zwischen
1870 und 1945. Wenn einer der besten Kenner dieser Geschichte
jetzt eine Auswahl der wichtigsten Quellen vorlegt, so
ist das sehr zu begrüßen. K. bietet nach einer kurzen Übersicht
über den Ablauf der Geschichte Dokumente, die die Probleme
sichtbar werden lassen, mit denen der Protestantismus im Deutschland
dieser Jahrzehnte zu ringen hatte, angefangen mit dem Erlaß
Kaiser Wilhelms I. von 1873, durch den auch die Kirche der
altpreußischen Union endlich ihre Synodalverfassung erhielt, bis
hin zu Bischof Wurms Protest gegen die Euthanasie. Im Vordergrund
steht dabei deutlich die soziale Frage; auch die Entwicklung
der Jugendarbeit ist betont. Es fehlen aber auch nicht die Programme
der kirchlichen Parteien und Bünde vor 1918 oder die
wichtigsten Äußerungen zum Apostolikumstreit, zur ökumenischen
Bewegung oder zur Mission. Auch die Entwicklung der
Theologie von Ritsehl bis Bultmann ist zu erfassen gesucht.
Selbstverständlich fehlen die Beschlüsse der wichtigsten Bekenntnissynoden
nicht.