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Ausgabe:

1961 Nr. 4

Spalte:

286-287

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Zeeden, Ernst Walter

Titel/Untertitel:

Katholische Überlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts 1961

Rezensent:

Kalb, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 4

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KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

[Luther:] D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die
Deutsche Bibel 1522—1546. 10. Bd., 1. Hälfte: Die Übersetzung des
Dritten Teils des Alten Testaments (Buch Hiob und Psalter). XV,
590 S. 2. Hälfte: Die Übersetzung des Dritten Teik des Alten Testaments
(Sprüche Salomonis bis Hohelied Salomonis). CI, 349 S.U. Bd.,
1. Hälfte: Die Übersetzung des Prophetenteils des Alten Testaments
(Die Propheten Jesaja bis Hesekiel). XI, 576 S. Weimar: Böhlau
1956/57/60. 4°. DM 55.—; 50.—; 58.—.

Bd. 10, 1 — dem H. Rüdcert einen Nachruf auf W. Eiert
(f 1954) vorangestellt hat —, ein Teil von Bd. 10, 2 und Bd. 11,1
entsprechen in der Einrichtung der Edition der Texte dem in den
früheren Bänden befolgten Grundsatz, sofern jeweils die erste
Fassung der Übersetzungstexte und diejenige von 1545 abgedruckt
werden, d. h. also für Hiob, Sprüche, Prediger und Hohes-
lied diejenige von 1524, für Jesaja von 1528, für Jeremia, Klagelieder
und Ezechiel diejenige von 1532 („Die Propheten alle
Deudsch"); dazu für Ezechiel die neue Vorrede von 1541 und die
,.Unterrichtung über das Gebäu Ezechielis" von 1541 sowie für
Kapitel 38 und 39 die Abweichungen des Erstdrucks von 1530.
Entsprechendes kündigt das Vorwort, das auch Bd. 11,2 einschließt
, für Jona, Habakuk, Sacharia an (Erstdrucke 1526/28);
dazu neue Forschungsergebnisse für Daniel. Der Apparat berücksichtigt
in der üblichen Weise die Lesarten der Wittenberger Vollbibeln
von 1534 und 1546 und der verschiedenen Separatdrucke
sowie die Korrekturabweichungen des Erstdruckes von dem (nur
teilweise erhaltenen) Übersetzungsmanuskript.

Eine Sonderbehandlung erfährt der Psalter in 10, 1. Hier
wird in einer besonderen Spalte auch der Text der Revision von
1531 geboten, also die erste einigermaßen abschließende Gestalt
eines stark variierenden Übersetzungswerkes, dazu in einer weiteren
Sonderspalte die Lesarten der vier Wittenberger Drucke
zwischen 1524 und 1528. In einem besonderen Apparat werden
auch die Varianten jener 19 Psalmen gebracht, die Luther zwischen
1517 und 1524 in verschiedenen Einzelschriften (WA 8.
10, II. 15) bereits veröffentlicht hatte. Man gewinnt also einen
umfassenden Überblick über Luthers Psalterübersetzung. Er wird
darüber hinaus noch ergänzt durch die Sonderstücke, die Bd. 10, 2
enthält:

1. Rörers kurzes Psalmenregister von 1541/42 (149—151):

2. Luthers Vorrede zur Neuenburger Psalterausgabe von 1545
(152-157);

3. seine Psalterium translationis veteris correcrum von 1529/37,
also die lateinische Psalterrevision (158—289);

4. die handschriftlichen Eintragungen in seine beiden hebräischen
Handpsalter von 1516 (,,Frankfurter" und „Danziger" Psalter
, 290—346).

Der 1913 von W. Köhler wieder entdeckte „Parma-Psalter"
ist, wie Volz überzeugend nachweist, kein Handexemplar Luthers
und steht auch nicht im Zusammenhang mit Luthers Bibelübersetzung
. Er gewährt freilich Aufschlüsse über den Stand der damaligen
hebräischen Studien in Wittenberg.

Bd. 10, 2 beginnt mit einer Reihe von äußerst sorgfältigen
Einzeluntersuchungen des Herausgebers. 1. über die Abhängigkeitsverhältnisse
der verschiedenen Drucke sowohl der Sonderausgaben
des dritten Teils des Alten Testaments, des Psalters
(12 Wittenberger Drucke zwischen 1524 und 1544, überwiegend
bei Lufft), der Bücher Salomonis, wie der Wittenberger Gesamtbibeln
; 2. über Luthers Übersetzungsarbeit, vor allem am Psalter
, und über die Konkurrenz der Druckereien (Cranach — Döring
gegen Lotther). Die Fülle von Korrekturen innerhalb des dauernd
in Bewegung befindlichen Übersetzungswerkes Luthers läßt anhand
dieser Nachweise sehr schön das intensive Bemühen um
eine befriedigende Fassung des Textes verfolgen. Für den Psalter
ist sie schließlich 1531 im wesentlichen erreicht. Ein weiterer Teil
der Einleitung gilt den Vorreden, Nachworten, Randglossen usw.
Auch hier hat der Herausgeber in 6einer bekannten und wiederholt
hervorgehobenen Sorgfalt und Genauigkeit als Ergebnis
einer ebenso mühsamen wie umsichtigen und systematischen
druckgeschichtlichen Nachforschung ein umfangreiches Material

auch an kleinen und kleinsten Beobachtungen und Feststellungen
vorgelegt, so daß man auftauchende Einzelfragen zum größten
Teil aus den vielen Anmerkungen zu dem Text der Untersuchungen
wird klären können, zumal Volz bestrebt ist, alles ihm Erreichbare
mitzuteilen. Die Beigaben in diesem Band, Rörers
Psalterregister, Psalterrevision usw. sind jeweils mit einer eigenen
Einleitung versehen.

Es kann auch hier nur wiederholt werden, was schon früher
gesagt worden ist: mit der Bearbeitung dieser Bände der Abteilung
Deutsche Bibel hat der Herausgeber sich alle Anerkennung
und allen Dank verdient. Bd. 11,2 ist inzwischen erschienen;
Bd. 13 soll als letzter Textband die Apokryphen enthalten.

Göttingen Ernst Wolf

Z e e d e n, Ernst Walter: Katholische Uberlieferungen in den lutherischen
Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Münster/W.: Aschen-
dorff [1959]. 108 S. gr 8° = Katholisches Leben und Kämpfen im
Zeitalter der Glaubensspaltung. Vereinsschriften d. Gesellschaft z.
Herausgabe des Corpus Catholicorum, 17. Kart. DM 6.80.

Daß katholische Überlieferungen sich in den lutherischen
Kirchenordnungen und in der Praxis des kirchlichen Lebens im
Luthertum erstaunlich lange gehalten haben, ist eine feststehende
Tatsache. Die Untersuchung E. W. Zeedens hat sich zur Aufgabe
gemacht, die verstreuten Hinweise auf diesen Tatbestand
zu sammeln und durch Berichte aus den Quellen zu ergänzen
und zu vertiefen, wobei noch keine systematische Vollständigkeit
angestrebt und erreicht ist. Der Verfasser bedient sich
der Kirchenordnungen als Quellen mit der notwendigen Vorsicht
; denn aus ihnen kann nur ersehen werden, was sein bzw.
nicht sein sollte, aber nicht immer, wie die Zustände tatsächlich
beschaffen waren. Das weite Feld des gottesdienstlichen Lebens
wird im 1. Kapitel behandelt. Neben dem schon vielfach bei Graff
(Gesch. d. Auflösung d. gottesd. Formen. . .) belegten Weiterwirken
katholischer Formen, Ordnungen und Gebärden interessiert
vor allem der Blick auf die Verhältnisse in Stifts- und
Domkirchen mit gemischtkonfessionellen Kapiteln und auf das
katholische kultische Brauchtum wie geistliche Spiele, Prozessionen
, Wallfahrten, Wetterläuten, das in lutherischen Gebieten
weit kräftiger fm Schwange war, als man anzunehmen geneigt ist.
Das 2. Kapitel, von den Rechts- und Wirtschaftsverhältnissen
handelnd, zeigt auf, daß das katholische Kirchenrecht bis hin zur
Jurisdiktion eines katholischen Bischofs über ein evangelisches
Kirchenwesen manchenorts in Geltung blieb und auch die wirtschaftlichen
Grundlagen des Pfarrberufes weithin die gleichen
waren wie vor der Reformation. Das 3. Kapitel endlich legt dar,
wie die kirchlichen Mißstände aus der vorreformatorischen Zeit
nicht sofort ausgeräumt werden konnten, sondern erst allmählich
abgestellt wurden, als auch die katholische Kirche, veranlaßt
durch die Reformation, sie zu beseitigen begann. Zeeden, der
von katholischer Warte aus schreibt, weiß die Dinge wohltuend
irenisch und sachlich darzustellen. Er verzichtet bewußt auf dogmatische
Erörterungen wie auch darauf, aus dem vorgelegten Tatbestand
weiterreichende Schlüsse zu ziehen, wenn er auch in der
Schlußbetrachtung nach den Motiven für solche Überlieferungstreue
im Luthertum fragt und mit Recht dabei auf die Abwehr
des Calvinismus und des Schwärmertums hinweist.

Gerade die Frage nach dem Motiv für solche Überlieferungstreue
wird im Anschluß an 6eine Untersuchung noch schärfer gestellt
werden müssen. Die Kirche der lutherischen Reformation
wollte und will nicht eine Kirche mit dem Gründungsjahr 1517
sein, sondern sie weiß sich einbezogen in die „Eine, heilige, allgemeine
(katholische) und apostolische Kirche". Es ist also nicht
das Trägheitsgesetz, auch nicht die Schwierigkeit, alteingewurzelte
Vorstellungen und Bräuche in kurzer Zeit auszumerzen,
nicht Luthers konservative Art, nicht die Rücksicht auf die
Schwachen, was die lutherische Kirche in erster Linie konservativ
sein ließ, sondern der Wille, „katholisch" zu sein und zu bleiben
, d. h. die Verbindung mit den Vätern im Glauben festzuhalten
und nur dort Vorhandenes zu tilgen oder Verschwundenes
wieder einzuführen, wo es vom Neuen Testament her geboten
schien. Die „katholischen Überlieferungen" müssen also einer
dogmatischen Wertung vom evangelischen Verständnis her
unterworfen werden. Es sind darunter solche, die zum Evange-