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Ausgabe:

1961 Nr. 4

Spalte:

284

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Grenet, Paul

Titel/Untertitel:

Der Thomismus 1961

Rezensent:

Schmidt, Erik

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 4

284

nun die Eucharistie als Sakrament eingesetzt ist, hat sich das spiritu-
aliter sumere durch Glaube und Liebe, wie es vor der Einsetzung des
Sakramentes möglich war, umgewandelt in ein geistliches Essen, das als
aktueller Bezug auf das Sakrament per meditationem et devotionem zu
verstehen ist. Die eigentliche Gestalt der manducatio spiritualis ist
der heilskräftige Sakramentenempfang, während das „Essen der Väter"
und die Christusverbundenheit der Kinder nur im abgeleiteten Sinn so
genannt werden dürfen; jedoch liegen bei Albert keine Texte vor, in
denen von manducatio spiritualis als votum sacramenti oder gar als
ersatzweise sumptio sacramentalis-6pintualis die Rede wäre. Voraussetzungen
für den Sakramentenempfang sind Gnade und ethische Untadeligkeit
, doch gebraucht er für sie weder die Bezeichnung manducatio
spiritualis noch setzt er sie inhaltlich mit der res sacramenti gleich. Doch
mag Albert auch noch 60 scharfsichtig den Problemen nadigehen, auch
ihm geht die letzte Präzision der Begriffe ab, vor allem zieht er nicht
ausreichend den Signifikationscharakter de6 Sakramentes in Betracht
(85—1 53).

Schließlich befaßt sich auch Thomas von Aquin im Sentenzenkommentar
(1254—6), der Summa theologica (1272/3) und in den exegetischen
Schriftkommentaren (1261—72) mit diesen Fragen. Thomas,
der auf die Realität der Wesensverwandlung und die Kausalität der
Sakramente als instrumenta gratiae den ganzen Nachdruck legt, unterscheidet
den duplex modus manducandi nur ex parte sacramenti: eine
sumptio perfecta, in welcher die Vereinigung des Menschen mit Christus
erreicht wird, und eine imperfecta-sacramentalis, bei der nur das Sakrament
genossen wird ohne dessen Wirkung. So stellt Thomas gegenüber
der stärkeren Betonung des Personal-Anthropologischen bei Bonaventura
die mehr metaphysisch ausgerichtete Antwort dar, während Albert
eine zum Metaphysischen tendierende, aber noch nicht bis ins Letzte
vollendete Sicht der Frage bringt (154—213). Eine kurze Zusammenfassung
(214—224) weist die Grundlinien der Lehrentwicklung auf.

Doch seien einige Ausstellungen gestattet. S. 31 spricht der
Verf. dem Bonaventura den Johanneskommentar ab und beruft sich
dabei auf die Angaben der Edition von Quaracchi. Dabei ist Sch.
ein doppeltes Mißgeschick unterlaufen, die säuberliche Unterscheidung
zwischen dem echten, d. h. in der Quaracchi-Edition herausgegebenen
und einem zweiten unechten, gleichfalls Bonaventura
zugeschriebenen Johanneskommentar (Incipit: Nunquid ad prae-
ceptum tuum) übersehen und ferner die Worte der Editoren, die
sich auf diesen zuletzt genannten Kommentar beziehen, mißverstanden
zu haben; dort heißt es (Proleg. zum Bd. V, pag. VI):
,,Certo non spectat ad S. Bonaventuram. Ratio peremptoria est,
quod alius Commentarius longe diversus et in hoc tomo impres-
eus S. Doctori certo vindicari potest". Sch.s Ausführungen über
Bonaventura sind daher unvollständig. Sodann weckt er bei dem
Leser zuweilen dadurch Verwirrung, daß er, dem Aufbau der einzelnen
Texte, bzw. Quästionen folgend und ihn interpretierend,
auch die fundamenta der Quästionen als Meinung des Autors mit
heranzieht; tatsächlich findet sich die Meinung des Autors nur in
der solutio quaestionis und den solutiones oppositorum, während
die fundamenta samt den rationes in oppositum nur den Stand
des Problems aufzeigen wollen (vgl. S. Gasen, in: Archivum Franciscanum
Historicum 44 (1951) 286—289). Schließlich ist zwar
der Grundsatz, Worte der Scholastiker aus der Gesamtschau ihrer
übrigen Lehre heraus zu erklären, unbedingt richtig; er wirkt sich
aber einseitig aus, wenn man mit ihm auch den Verzicht auf zeitgeschichtliche
Hintergründe meint. Wenn z. B. Bonaventura
stärker auf der Tradition der Frühscholastik beharrt als Thomas
und daher neben dem sakramental-heilshaften Empfang stark das
Personal-Vorausgesetzte betont, Thomas aber stark in der
Sprache des Aristoteles die Kausalität der Sakramente hervorhebt
, so war für beide dabei nicht allein ihre Einstellung zur Tradition
maßgebend, sondern wohl auch ihr Verhalten gegenüber der
Diskussion der Katharer und Waldenser um ordo und meritum,
deren letzte Wurzeln sich bis in die Zeiten vor dem Investiturstreit
verfolgen lassen; auch in dieser Frage hat Bonaventura unter
klarer Distanzierung von deren irrigen Auffassungen stark ihr
berechtigtes Anliegen, den Wert des Personalen, aufgegriffen,
während Thomas ihrer häretischen These klar die katholische
Antithese entgegenhält (sehr eindeutig hat dies H. Grundmann,
Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die
geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den
Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13.
Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der Deutschen
Mystik [Historische Studien, Heft 267] Berlin 1935, 13 ff.,
gezeigt).

Trotz der vorgebrachten kritischen Bemerkungen gibt Sch.s
Studie ein ziemlich abgerundetes Bild der Fragestellung und vermittelt
wertvolle Einsichten.

Mönchengladbach Sophronius Clasen

Grenet, Paul: Der Thomismus. Kompendium der Philosophie des
Thomas von Aquin. Ins Deutsche übertr. v. R. Tann ho f. Essen:
Ludgerus-Verlag Hubert Wingen KG [1959]. 128 S. 8°. Lw. DM 8.60.

Das Büchlein will eine Einführung in den Thomismus sein,
ist aber tatsächlich auch eine Apologie desselben. Angesichts der
vielen Irrtümer unserer Zeit, sagt der Übersetzer im Vorwort,
wachse da6 Interesse für den Thomismus (4). — Wir deuten kurz
den Inhalt des Buches an: Es zerfällt in zwei Teile. Im ersten,
der Physik und Naturphilosophie, werden behandelt: In der Kosmologie
das Problem der inneren Veränderung (8) und die Begriffe
Potenz und Form (Akt) (11); es folgen die Lehren von
der Substanz und den akzidentiellen Formen (15 f.); vom Stoff
und der Form (18); (der thomistische ,,Hylomorphismus" oder
die Zusammensetzung der körperhaften Natur aus Stoff und
Form (20)); vom ersten Stoff und der substantiellen Form (Körper
und Seele) (28); von der Wirk- und Zielursache (31 f.); vom
Erkennen als einem nichtphysischen Aufnehmen der Form des
Erkennbaren (37 f.); vom Verstände, der das Universale denkt
(43 f.); vom Verhältnis des Strebens zum Erkennen (50 f.) und
vom Wesen des Menschen (61 f.). — Der zweite Teil, die Metaphysik
oder Seinsphilosophie, behandelt die Ontologie (71 f.),
Wesen und Sein (78 f.), Vereinzelung und Artbestimmung
(81 f.), Individuelle Substanz und Subsistenz (8 3 f.) oder die
Lehre vom Menschen (86 f.), sowie Partizipation und Analogie
(90 f.). Gegen Kant wird die Erkenntnisfähigkeit des Menschen
in Bezug auf das Sein behauptet (101 f.) und der Begriff der göttlichen
Ursächlichkeit definiert (107 f.). Endlich erörtert die Lehre
von Gott die 5 Gottesbeweise des Thomas, das Problem des
Übels und die Stellung des Menschen im Weltall (111 ff.).

Der evangelische Theologe, der von der Bibel, der Reformation
und der neueren. Philosophie herkommt, wird zum Ganzen
und zum Einzelnen mandies Fragezeidien stellen. Schon die Methode
der Begriffsbildung erregt Bedenken. Es wird jeweils von
„evidenten" Tatsachen ausgegangen, dann werden die Irrtümer
der Gegner widerlegt, endlich der thomistische Begriff als die
einzig richtige „Erklärung" des Phänomens hingestellt. Sind die
Tatsachen, von denen ausgegangen wird, wirklich so evident?
Und wenn schon, werden die oft doch sehr komplizierten Tatbestände
durdi die recht abstrakten Begriffe wirklich erklärt?
Wird z. B. das psychophysische Problem durch die Einsetzung des
Begriffs der substantiellen Form (= Seele) wirklich erhellt? Und
ist es statthaft, etwa beim Seelenproblem (28 f.), von solchen
Begriffen aus so rasch theologische Konsequenzen zu ziehen?
Gott, so heißt es, denkt und schafft die Welt, indem er seine
Ideen im Stoff verwirklicht (22). Ein tiefer Gedanke! Aber folgt
er 60 einfach aus der Lehre von Stoff und Form? Man kann von
einem Kompendium keine ausgeführte Erkenntnistheorie erwarten
. Dennoch scheint es uns nicht möglich, Kants Kritizismus
durch einige Gegenargumente einfach beiseite zu schieben (101 f.).
Wir sind ohne Vorurteile gegen die Gottesbeweise, ihre Möglichkeit
und ihr Recht, aber — ist es angängig, nach Kants Kritik
die alten Gottesbeweise ohne immanente Kritik einfach zu erneuern
? — Abgesehen von solchen Einwänden kann anerkannt
werden, daß das Buch eine gute Einführung in den Thomismus
darstellt.

Derben/Elbe Erik S c h m i d t

H a m m o n d, Lewis M.: The Medieval Doctrine of Man.
Anglican Theological Review 42, 1960 S. 347—361.

P a u 1 y, Ferdinand: Der heilige Goar und Bischof Rustikus.
Trierer Theologische Zeitschrift 70, 1961 S. 47—54.

Prerovsky, Oldrich: Le idee oligarchiche nei difensori di demente
VII.

Salesianum XXII, 1960 S. 383—409.
T ü c h 1 e, Hermann: Vom Gestaltwandel eucharistischer Frömmigkeit
im 13. Jahrhundert.

Theologie und Glaube 50, 1960 S. 433—445.