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Ausgabe:

1961 Nr. 4

Spalte:

276

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Goguel, Maurice

Titel/Untertitel:

Jesus and the Origins of Christianity 1961

Rezensent:

Winter, Paul

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275

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 4

276

standen werden, — die Analogie zu dem gängigen modernen Begriff
von „Verkündigung" liegt auf der Hand, der ja auch verschiedene
Gestalten von „Verkündigung" einschließt; aber zugleich
drängt sich doch die Frage auf, ob dem Begriff von Predigt
bei Dibelius nicht diese Analogie aus der Moderne ungleich näher
liege als der urchristliche Stoff selbst?

Daß Dibelius hier Unklarheiten hinterlassen hat, mag
schließlich auch damit zusammenhängen, daß sein ganzer Entwurf
durch eine fast ausschließliche Hinsicht auf die Formen als
solche geprägt ist. Das ziemt dem, der an der Entdeckung der
Eigengesetzlichkeit unliterarischer Einzelüberlieferungen in der
urchristlichen Traditionsgeschichte entscheidenden Anteil hatte,
— darf aber so nicht übernommen werden. Denn so unaufgebbar
die Einsicht in jene Gesetzlichkeit der Formengeschichte ist, so
notwendig ist die daraufhin zu erneuernde Erkenntnis, daß auch
geprägteste Formen entscheidend bestimmt sind durch die je bestimmten
geschichtlichen Situationen, in denen sie entstehen und
weiterentwickelt werden: Eine „reine" Formengeschichte gibt
es nicht, und so geht die urchristliche Überlieferungsgeschichte
eben keineswegs etwa darin auf, Formgeschichte zu sein. Dibelius
selbst hat nun dieser Begrenzung der Formgeschichte offenbar
eben durch seine Predigttheorie Rechnung tragen wollen, insofern
er zumindest für die älteste Jesusüberlieferung die Predigt
als formschaffende Kraft ansetzte. Da diese Theorie aber hinfällt
, wird die Frage, von der Dibelius ausging, neu und verschärft
gestellt werden müssen: Was trieb eigentlich zur Entstehung
der Tradition von Jesuserzählungen? (Gleicherweise: Was
trieb eigentlich zur Entstehung der Überlieferung von Jesuslogien?
Denn daß das Material der Logienquelle aus dem Reservoir
gemeinchristlicher Paränese geschöpft sei, wie Dibelius meinte,
läßt sich ebenfalls nicht halten.) Ist hier nicht eine geschichtliche
Wirkung Jesu selbst anzunehmen? Die Frage nach dem historischen
Jesus, wie sie sich jüngst der neutestamentlichen Wissenschaft
wieder auferlegt hat, ist ja mit Recht aus der Position formgeschichtlicher
Arbeit heraus neu erwacht, und in der Tat kann
sie legitim nur unter Voraussetzung formgeschichtlicher Erkenntnisse
gestellt werden, — wie sie freilich aber auch zugleich als
Frage nach der Traditionsentstehung den Bereich der Zuständigkeit
formgeschichtlicher Methode begrenzt.

Aber nicht nur nach rückwärts in Richtung auf die Entstehung
der synoptischen Tradition, sondern auch nach vorwärts
im Blick auf den weiteren Verlauf der Traditionsgeschichte
wird schärfer historisch zu differenzieren sein. Die Erkenntnis der
Formen läßt sich z. B. nicht in der Weise, wie dies bei Dibelius
vorliegt, von der Erkenntnis der jeweils verschiedenen Vorstellungstraditionen
, wie sie den geformten Traditionsstücken
zugrunde liegen, isolieren. Das gilt sowohl hinsichtlich der Vorstellungstraditionen
der Umwelt des Urchristentums, an denen
dieses jeweils verschiedenen Anteil hatte, wie auch im Blick auf
die urchristlichen Vorstellungen selbst. Weder können darum
Formen aus der Umwelt isoliert als „Analogien" (Kap. VI) den
Formen urchristlicher Tradition parallel beschrieben werden —
denn was besagt eigentlich solche Analogie der bloßen Formen? —
noch dürfen bei der Beschreibung der urchristlichen Formen so
dezidiert, wie es Dibelius besonders in Auseinandersetzung mit
Bultmann wollte, inhaltliche Gesichtspunkte ausgeschieden werden
(während andererseits Dibelius selbst dann unter der Überschrift
„Der Mythus" (Kap. X) bestimmte Traditionsstücke ganz
unter inhaltlichen Gesichtspunkten zusammenfaßt). Hinzu
kommt, daß die rasche Ausbreitung des Christentums zu einer
Vielzahl recht verschiedener Traditionen geführt hat, wodurch
natürlich auch die Formen als solche auf das stärkste mitbetroffen
worden sind. So hat z. B. Bultmann viel stärker das Problem des
Unterschiedes zwischen palästinisch- und hellenistisch-christlichen
Überlieferungen in die formgeschichtliche Arbeit unmittelbar mit
hineingenommen, — ein Problem, das bei Dibelius einen nur
peripheren Raum einnimmt. Und wie sehr sein Blick auf die
bloße Formgeschichte der synoptischen Überlieferung konzentriert
ist, zeigt sich besonders auch an der Beurteilung der Leistung
der Evangelisten, die ihm im wesentlichen als bloße Sammler
galten. Einmal abgesehen davon, daß sich heute immer deutlicher
herausstellt, daß sich demgegenüber an der jeweils besonderen
Art der Stoffbehandlung das jeweils besondere theologische

Profil der Evangelisten erkennen läßt, so hat Dibelius bei der
Behandlung der Endphase der Überlieferungsgeschichte unter der
Überschrift .Sammlung' (Kap. VIII) nicht einmal beachtet, daß
allein schon die Tatsache solcher Stoffsammlungen — besonders
Erstsammlungen wie des Markusevangeliums und der Logienquelle
— ein beachtliches Novum in der Überlieferungsgeschichte
als ganzer darstellt, deren Motiven nachzufragen deshalb notwendig
und lohnend ist. Und so hat Dibelius schließlich ebenfalls
ein entscheidendes Problem urchristlicher Überlieferungsgeschichte
kaum in der gehörigen Schärfe gesehen: daß nämlich
nicht nur Paulus, sondern auch die deuteropaulinische Literatur
— mit Ausnahme einiger weniger Einzellogien — keine Jesusüberlieferungen
zu kennen scheint. Dibelius hat sich wiederum
durch seine Predigttheorie den Blick dafür verstellt; indem er
kerygmatische Überlieferungen wie 1. Kor. 15, 3 ff. mit den
Actareden zusammenbringt, kann er — so wenig davon in den
Briefen selbst sichtbar wird — doch für die Form der Missionspredigt
als solche, wie sie auch für Paulus als Missionar vorauszusetzen
sei, einen festen Ort für paradigmenartige Jesusüberlieferungen
voraussetzen. Aber das ist kaum möglich. Wenn
überhaupt Paulus Jesusüberlieferungen synoptischer Art kannte,
so dürften dies hellenistisch-christliche Traditionen gewesen sein,
in denen Jesus als -DeTog ävijg erscheint, — die er aber (zumindest
im Gebrauch seiner gnostischen Gegner in Korinth) aus theologischen
Gründen ablehnt! Weite Bereiche synoptischer Jesusüberlieferung
dürften dagegen zur Zeit des Paulus noch auf die
palästinisch-christliche Gemeinde beschränkt gewesen sein; das
Markusevangelium ist überlieferungsgeschichtlich jedenfalls als
ein nachpaulinisches Phänomen zu werten! Ist dem aber so, so
dürfte der synoptische Stoff zuversichtlicher als Zeugnis der uns
sonst ja kaum mehr sichtbaren palästinischen Urchristenheit ausgewertet
werden.

Dies alles sind Fragen, die sich aus der Auseinandersetzung
mit Dibelius auf der von ihm entscheidend mitgeschaffenen
Grundlage formgeschichtlicher Methode ergeben; sie zeigen, wie
viel wir ihm verdanken, wie wenig dies Buch an Aktualität verloren
hat, und wie viel Förderung und Anregung die Auseinandersetzung
mit ihm in Zustimmung und Kritik zu bringen vermag.
Da das Buch im übrigen von einem überragenden Lehrer und
Stilisten geschrieben ist, wird es auch als Lehrbuch zur Einführung
in die Problematik der Formgeschichte seinen bewährten
Platz einnehmen. So ist dem Herausgeber und dem Verlag aufrichtig
für diese Neuauflage zu danken.

Marburg/Lahn Ulrich Wi 1 ck en s

Goguel, Maurice: Jesus and the Origins of Christianity. Vol. I & II.
Translated by Olive W y o n with an introduetion by C. Leslie
Mit ton. New York: Harper & Brothers, 1960. 590 S. 8° = Harper
Torchbooks 65 u. 66. $ 1.35 u. $ 1.85.

Das im lahr 1932 erschienene Buch Goguels ,,La Vie de lesus" ist
seit 193 3 englischen Lesern in der Übersetzung von Dr. Olive Wyon
(„The Life of Jesus") zugänglich gewesen. Die unveränderte Neuauflage
der englischen Übersetzung enthält ein Vorwort von C. L. Mitton
(Birmingham, Engl.), in dem einige anspruchsvolle Behauptungen über
die Unumstößlichkeit der von Goguel gezogenen historischen Rückschlüsse
aufgestellt werden.

So begrüßenswert die Aufnahme des Buches in die Reihe der
Torchbooks ist, wäre zu fragen, warum Herausgeber und Übersetzer es
für überflüssig gehalten haben, die von Goguel selbst vor seinem Tode
vorgenommene revidierte und ergänzte französische Neuauflage („Jesus",
erschienen 19 50 bei A. Payot in Paris) anstatt der Fassung aus dem Jahr
1932 ihrer Ausgabe zugrunde zu legen. Im Literaturverzeichnis werden
einige deutsche Bücher (z. B. von G. Dalman) nach französischer Übersetzung
zitiert, und zwar auch dann, wenn englische Übersetzungen der
betreffenden Bücher vorhanden sind. Verwirrend sind die innerhalb de«
englischen Textes gebrauchten Abkürzungen A. J. ( = Antiquites
Juives) und G. J. (= Guerre Juive) für die Werke des Josephus. Im allgemeinen
ist die Übersetzung vorzüglich. Von den erwähnten Mängeln
abgesehen, wird die Neuauflage allen im besten Sinne des Wortes
„liberalen" Lesern willkommen sein.

London Paul Winter

A a 1 d e r s, H. Wzn., G. J. D.: L'Epitre ä Menoch, attribuee ä Mani.
Vigiliae Christianae XIV, 1960 S. 245—249.