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Ausgabe:

1961 Nr. 4

Spalte:

267-269

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Junker, Hermann

Titel/Untertitel:

Der große Pylon des Tempels der Isis in Philae 1961

Rezensent:

Brunner, Hellmut

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 4

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„Tradition und Neuschöpfung", „Form und Geist", „Autorität
und Freiheit", „Religion der Mittel und Religion der Unmittelbarkeit
" sowie „Toleranz und Intoleranz".

In alledem erfüllt das Buch die Absicht des Verfassers, nicht
uuir dem Religionswissenschaftler, sondern auch denen zu dienen,
„die sich lernend der Religionswissenschaft zuwenden", oder
„denen eine sachliche Auseinandersetzung mit Wesen und Wirklichkeit
der Religion am Herzen liegt" (S. 9). Hier wird nicht
von einem vorgefaßten Religionsbegriff aus konstruiert, sondern
der Religion als Wirklichkeit ihr Wesen abgelauscht. Dem Theologen
, der genötigt ist, sich mit dem Phänomen der Religion auf
Schritt und Tritt auseinanderzusetzen, gibt M. festen Boden unter
seine Füße. Er bewahrt ihn vor vorschnellem und unsachgemäßem
Urteilen, wohl gar Aburteilen.

Aber gerade den Theologen veranlaßt Menschings Buch auch
zu Fragen an den Religionswissenschaftler. Ist es möglich, reli-
gionsphänomenologisch zulässig, Ausdrücke wie „Mission" und
„Kirche", die ja doch genuin christlichen Ursprungs und wesensmäßig
christlich-theologisch 6ind, so als Bezeichnungen für universalreligiöse
Phänomene zu verwenden, wie es hier geschieht?
Zweifellos sind Mission und Kirche Objekte religionsphänomeno-
logischer Beurteilung und Einordnung, aber doch nur als Sonderfälle
religiöser Ausbreitung bzw. Gemeinschaftsbildung. Klärung
wird hier auch der Klärung des Verhältnisses zwischen Religionswissenschaft
und Theologie dienen. Im Schlußkapitel seines Buches
handelt M. von der „Einheit der Religionen". Er weist darauf hin,
daß die beiden Möglichkeiten bestehen, eine „religiöse Einheit
herzustellen" oder „eine bestehende Einheit zu erfassen" (S. 373).
Er entscheidet sich für die zweite Möglichkeit als religionswissenschaftlich
legitime Möglichkeit. Über die „Anerkennung einer
gewissen Einheit innerhalb der Religionswelt", wie sie in der
christlichen „Idee einer allgemeinen Offenbarung" vorliege, eine
„mehr formale Einheitserkenntnis", habe „die moderne Religionsforschung
... in vieler Hinsicht zu einer Erkenntnis inhaltlicher
Verwandtschaften zwischen den Religionen" hinausgeführt
(S. 376). M. nennt das „Urerlebnis des Heiligen", die Gemeinsamkeit
von Strukturformen der Volksreligionen einerseits, der
Weltreligionen andererseits bei Bewahrung der je eigenen Lebensmitte
einer jeden einzelnen Religion, die quer durch die Religionen
laufenden „großen Gemeinsamkeiten in den Erscheinungsformen
des Heiligen, im Gottesumgang und in der Vorstellungswelt
" sowie die verpflichtende Bedeutung „ethischer Wertsysteme
in den Religionen" (S. 379). Das alles trifft religionswissenschaftlich
zu, aber es wird in Frage gestellt, wenn es, wie es hier
der Fall ist, mit einem zen-buddhistischen Zeugnis für die Gleichheit
, also mit einer dogmatischen Aussage einer einzelnen Religion
belegt wird. Das Bekenntnis des Mahäyäna zur Gleichheit
aller Religionen besagt, sobald es aus dem Bereich der niederen
in denjenigen der höheren Wahrheit tritt, daß sich die Gleichheit
am vollkommensten im Buddhismus darstellt und diese Vollkommenheit
wiederum von jeder seiner Schulen gegenüber den
anderen Schulen beansprucht wird. Aufgabe der Religionswissenschaft
ist es, solche Zweideutigkeit der Aussage zu durchstoßen.
Sie wird dann eine Haltung vorfinden, die sie so leicht dem christlichen
Glauben mit seinem allerdings eindeutigen Bekenntnis zum
scp'a'jraf der Offenbarung Gottes in Christus als Störung der
„Einheit der Religionen" verargt.

Tübingen Gerhard Rosenkranz

Junker, Hermann: Der große Pylon des Tempels der Isis in Philä.

Mit Zeichnungen von Dr. O. Daum hrsg. Wien: Rohrer in Komm.
1958. XII, 282 S., 161 Abb., 2 Taf. 4° = Ost. Akademie d. Wissenschaften
, philos.-hist. Klasse, Denkschriften - Sonderband. Kart. ö. S.
660.—.

Die Insel Philae, hart südlich des jetzigen Staudammes von
Assuan, hat ein bewegtes Schicksal. Ihre Blütezeit erlebte sie in
der Zeit, da Ägypten von den Ptolemäern und Römern beherrscht
wurde. Damals entstanden die großen Tempelbauten, zumeist der
Isis geweiht, nachdem die Insel vorher nur kleinere Bauwerke getragen
hatte. Der Kult der mütterlichen Isis, die ihr kleines
Gotteskind, den Horusknaben, nach dem Tode ihres Gatten Osiris
im Verborgenen großzieht und vor allen Gefahren durch Feinde
und Tiere bewahrt, dies göttliche Vorbild liebender Fürsorge fand
in den Zeiten gesellschaftlicher Auflösung des späten Hellenismus

so weite Verbreitung im Mittelmeerraum bis Gallien und Germanien
, daß der Tempel dieser Göttin an der Südgrenze Ägyptens das
wichtigste Heiligtum des Landes wurde. Erst unter Justinian
mußte es — als letztes am Nil — seine Pforten schließen, nachdem
das übrige Ägypten längst christianisiert war.

Seit 1907 steht die Insel, die vorher zu den malerischsten
Ruinenstätten Ägyptens gehört hatte, unter Wasser, und nur
wenige Wochen im Hochsommer, wenn die Hitze den Aufenthalt
für Europäer qualvoll macht, gibt der sinkende Stausee die Tempel
wieder frei. Nach dem Bau des neuen Hochdamms werden diese
Schwankungen aufhören, da der See erst weiter südlich beginnt,
aber Philae wird dann, ab 1965, ganzjährig von fließendem
Wasser etwa 4 m hoch überspült werden; das wird den Mauern
mehr Schaden tun als der alte ruhende See, 60 daß mit raschem
Einsturz zu rechnen ist, wenn nicht Rettungspläne verwirklicht
werden.

Wie bei allen Tempeln dieser Zeit tragen auch in Philae die
Wände und Türen, die Säulen und teilweise selbst die Decken
Darstellungen und Inschriften. Diese sehr ausführlichen Texte
schildern nicht nur die Theologie ihrer Zeit, sondern geben willkommenen
Aufschluß über den Tempelkult, über die Feste, ihren
Ablauf und ihren Sinn — Dinge, über die ältere Anlagen sich
ausschweigen. Die Frühzeit der Ägyptologie hat den Tempelinschriften
der griechisch-römischen Periode große Aufmerksamkeit
gewidmet, doch sind diese langen Texte später stark in den Hintergrund
getreten, als man 6ich vor einer überreichen Fülle von älteren
Urkunden sah, die zunächst gesichtet werden wollten. Neuerdings
aber wächst das Interesse an den späten Denkmälern wieder,
und neue Ausgaben erscheinen, neue Bearbeitungen erschließen
den religionsgeschichtlichen Gehalt.

Vor 1907 hatten zwei deutsche Expeditionen in Tausenden
von Abklatschen und Photographien sowie zahlreichen Handkopien
das Material der Philaetempel sichergestellt, doch haben
zwei Weltkriege und wirtschaftliche Nöte eine Veröffentlichung
bisher verhindert. Nachdem Hermann Junker seine bewunders-
werte Veröffentlichung der Gise-Grabung vor einigen Jahren abgeschlossen
hat, wendet sich die Aufmerksamkeit des Achtzigers
jetzt wieder der Periode zu, der seine Dissertation galt: eben der
griechisch-römischen Zeit Ägyptens. In einem ersten Band veröffentlicht
er mit zwei Photographien das gesamte Inschriften-
und Bildmaterial des Großen Pylons (erbaut 370—50 v. Chr.) in
Strichzeichnungen, die aus der geübten Feder von Dr. Daum
stammen, die Texte außerdem in Hieroglyphen-Typendruck mit
gegenübergestellter Übersetzung und einigen philologischen Anmerkungen
, die das Verständnis der Texte erheblich fördern.
Eine theologisch-religionshistorische Auswertung wird nicht versucht
— mit Recht, da sich solche Ergebnisse nur unter Heranziehen
von Paralleltexten anderer Tempel gewinnen lassen und
den Rahmen einer Veröffentlichung weit sprengen würden.

Die Texte dieses Bandes — meist in Klarschrift, nur gelegentlich
in Kryptographie — enthalten Beischriften der Szenen und
Segenswünsche der Götter, nur gelegentlich mythische Anspielungen
und einige längere Hymnen und Lieder. In spätzeitlicher
Manier erhalten alle Teile des Bauwerks ihre Deutung, der Pylon
selbst, die Nischen für die Flaggenmaste, diese selbst, ja, jede
Tür. Bei den langen Götterprozessionen, die zu den Herren des
Tempels kommen, beobachten wir deutlich die beiden Tendenzen
dieser späten ägyptischen Religion: Einmal das Verschwinden
kleinerer Götter, ihr Aufgehen in den großen Gestalten des
Mythos, andererseits die Aufspaltung dieser großen Gottheiten
in zahlreiche Erscheinungsformen, meist nach ihren Verehrungsorten
: „Horos von Bühen, Horus von Kuban, Horus von Anibe"
usw. Die Texte eines Pylons zählen bekanntlich nicht zu den
reizvollsten eines ägyptischen Tempels, und doch lassen sich bei
genauem Zusehen auch diesen zunächst stereotyp erscheinenden
Phrasen viele wichtige Einzelheiten entnehmen. Formal fällt der
strenge Bau besonders der Hymnen und Lieder, aber auch der
kurzen Worte des Königs oder der Götter auf; mit Vorliebe verwenden
die Ägypter dieser Zeit lange Alliterationsreihen.

Wir können dem Altmeister nicht genug Dank sagen für
diese zuverlässige und handliche Darbietung eines wertvollen und
erneut gefährdeten Materials und wünschen ihm und uns, daß er
die Veröffentlichung des ganzen Tempels, zu dessen wichtigsten