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Ausgabe:

1961 Nr. 3

Spalte:

229-231

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Congar, Yves

Titel/Untertitel:

Der Laie 1961

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 3

230

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Congar, Yves: Der Laie. Entwurf einer Theologie des Laientums.
Stuttgart: Sdiwabenvcrlag [1957]. 795 S. 8°. Lw. DM 28.—.

Man wird sagen können, daß das Buch zur Ehre Pius' XI.
und der von ihm begründeten Katholischen Aktion (KA) geschrieben
ist. Welche starken Wirkungen von ihr ausgehen, wird
nicht breit vorgeführt, sondern durch die Diskussion ihrer theologischen
Grundlagen deutlich. Hauptthema mußte dabei die
Theologie des Laientums werden. Der gelehrte französische
Dominikaner legt sie vor, indem er eine Ekklesiologie vorlegt.

Der Hauptkampf geht gegen zwei Fronten, zunächst gegen
einen entartenden Klerikalismus. Wohl wird das hierarchische
Prinzip immer aufs neue bejaht; es ist das Prinzip der kirchlichen
Struktur. Aber es gibt Überspannung und Entartung, die in der
Überbewertung des Mönchischen und der Unterbewertung des
Laienstandes sich Ausdruck verschaffen. Unsere Zeit sei aber aus
dem Mittelalter herausgetreten. C. pflichtet protestantischen
Rechtsgelehrten bei, daß das Kirchenrecht zu einseitig sakramentales
Recht sei. „In der Kirche kann man nicht eigentlich von
einem Recht von unten her sprechen" (412). Das Buch will der
Einseitigkeit wehren. Die zweite Gegenfront ist der Protestantismus
, dem wegen seiner antihierarchischen Haltung Verkennung
des grundlegenden kirchlichen Strukturgesetzes vorgeworfen
wird. Durch das ganze Buch zieht sich eine antiprotestantische
Polemik hindurch, die zu beträchtlicher Heftigkeit anschwellen
kann (,,zerstörerisch" 351; „Revolte Luthers" 526). Man fragt
6ich oft, ob von der Grundhaltung des Buches her die Kritik
nicht gemildert werden mußte.

Denn C. kommt der Zweireichelehre des Luthertums so
nahe, daß man nicht ganz selten von einer völligen Deckung der
beiderseitigen Positionen zu reden versucht ist. Gewiß — der
katholische Theologe geht von Thomas aus, der dem Geistesleben
aus dem Mittelalter in die Neuzeit herüberhalf, indem er
die Natur vor der Einstampfung durch die Theologie rettete.
Aber es hat guten Grund, daß bei der Entfaltung der „beiden
Bereiche", der „Eigengesetzlichkeit" und der „Eigenkräfte der
Dinge" die Leistung des Thomas nur selten erscheint, handelt es
sich hier doch auch für C. um Entdeckungen der Neuzeit. Wie
nahe er hier Luther steht, sah er nicht oder wollte er nicht sehen.
Der patristisch höchst beschlagene Verfasser bringt interessantes
frühmittelalterliches Material zur christologischen Begründung
der weltlichen Macht (132 A. 73) und zu Frühformen des Summepiskopats
. „Gott wollte nicht, daß es hienieden nur eine Kirche
gäbe, sondern er wollte eine Kirche und eine Welt" (742).
Hier und sonst ist die Nähe zu Luther viel größer als der Verf.
zu erkennen gibt.

Die Ekklesiologie C.s ist durch die Grundbegriffe „Struktur"
und „Leben" bestimmt, von denen naturgemäß der zweite hier
mehr interessiert als der eTSte. Es mag die Bemerkung genügen,
daß C. über die hierarchische Struktur traditionell denkt. „Es ist
nicht klar genug zu sehen, wie die Kirche als Sakrament logisch
der Kirche als Lebensgemeinschaft vorangeht" (261). Erwähnenswert
ist hier nur das Eingeständnis, „daß die Weihepriesterschaft
mit allem, was in der Struktur der Kirche aus ihr folgt, in ihrer
sakramentalen und hierarchischen Ordnung in der heiligen Schrift
nicht ausdrücklich bezeugt ist" (228). Das Herz der
Ekklesiologie schlägt im Gemeinschaftsleben, bei der plebs sancta
(Rom. Messe). Der Patristiker weist darauf hin. daß es bis zur
Gegenreformation „eine äußerst lebendige Auffassung von der
Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen" gegeben hätte (63). Das
wurde sogar von Päpsten wie Innozenz III. und Bonifaz VIII.
vertreten. Zaghaft redet der Verf. „gewissermaßen" von der
.protestantischen Seite der Kirche"; wie wir der Fußnote S. 280
entnehmen, hielten die deutschen Übersetzer es für nötig, hier
Anführungszeichen zu setzen. Die Vorsicht war übertrieben, denn
hundertmal versichert C, daß der Laie immer der Hierarchie
untergeordnet bliebe. Aber der antireformatorische Affekt, auf
dessen hemmende Wirkung C. oft hinweist, ist bis zur Stunde
sehr stark. Um 60 beaditenswerter ist die Akzentsetzung auf dem
allgemeinen Priestertum der Gläubigen, das mit der Taufe und
Firmung begründet ist. Alle sind in Christus Priester und bringen

Opfer dar! Es wird kaum der Erwähnung bedürfen, daß die viel
diskutierte Frage nach der Teilnahme der Gläubigen am Vollzug
des Meßopfers eingehend behandelt wird, ebenso die Frage der
Teilnahme der Laien am Lehramt und der Leitung der Kirche.
Immer will C. zeigen, daß der Laie kraft seiner Taufe geistliches
Priestertum ausübt und damit am hierarchischen Leben beteiligt
ist. Die Aussagen hier, die gegen Mißverständnisse abgeschirmt
werden mußten — „allein der hierarchische Priester opfert wirklich
im Namen der ganzen Kirche, während die Gläubigen nur
geistig und mittelbar (durch den Priester) opfern" (332) —, können
gelegentlich sehr weit gehen. Die priesterliche Wandlungsvollmacht
ist „gewirkt durch die Gnade Gottes oder den Heiligen
Geist auf das Gebet des christlichen Volkes
h i n" (340). Die sakramentale Struktur der Kirche gilt — nur —
für die „Zwischenzeit" bis zur Wiederkehr Christi (250 ff.).
„Im Stand der Vollendung gibt es nicht mehr den Akt des
Opferns, sondern nur noch sein Resultat: die lebendige Gemeinschaft
" (254). Die Theologie, die von der Eschatologie her denkt,
kehrt also die traditionelle Rangordnung um. Gern wird in diesem
Zusammenhang der neutestamentliche Begriff „Fülle" gebraucht
. „Der ganze Leib ist in Wahrheit der Träger des ganzen
Lebens in Christus und er allein ist es vollständig. Nur in seiner
Ganzheit verwirklidit sich dieses Leben in Fülle" (744). Wenige
Zeilen danach liest man in lapidarer Kürze, „daß die Gläubigen
das Pleroma der Hierarchie sind". Damit ist schon zum harmonischen
Verhältnis von Struktur und Fülle vorgedrungen, um die
sich der Verf. sehr bemüht zeigt und die er am eindrucksvollsten
unter dem Bild von Webkette und Einsdiußfaden beschreibt.

Auf solchem Hintergrund ist die KA zu sehen, die von der
zentralen geistlichen Aufgabe des Laien her zu begreifen ist. Ihm
ist aufgegeben, sich im Leben der Welt zu heiligen, in der „Pro-
fanität der Dinge" (594), durch die „Priesterschaft der Zweitursachen
" (48) hindurch. Von der Nähe zur lutherischen Zweireichelehre
war schon die Rede; hinzutreten muß hier der Rück-
verweis auf das Pleroma. Die letzten theologischen Fragen hier
dürften noch nicht geklärt sein. Während Pius XI. wiederholt
definierte: „Teilhabe des Laientums am hierarchischen Aposto-
lat", ersetzte Pius XII. „Teilhabe" durch „Mitarbeit" (599) und
schwächte damit die Formel seines Vorgängers ab. C. sagt: „Es
kann nicht zweifelhaft 6ein, daß die KA der Gläubigen nicht
Teilhabe an den konstitutiven Ämtern und Vollmachten der
Hierarchie ist" (597); „darum muß die KA sich der Hierarchie
unterordnen" (598). Aber — „das Zeitliche selbst und seine
Verwirklichung gehören nicht zum eigentlichen Bereich der
Kirche und damit auch nicht der KA, sondern zum eigentlichen
Bereich dieser Welt. Eben hier liegt der Einsatz der Christen
für das Irdisch-Zeitliche" (639). „So kann der
Christ neben Akten des Gotteslobes oder der Gottesliebe auch
im rein Irdischen Werke tun, sie innerlich und wesentlich auf
Gott hinordnen und zu Christus führen. Das ist dann zutiefst
apostolisches Werk" (638). Techniker, Ärzte, Gewerkschaftler,
Politiker tun ein weltliches Werk. „Auf all diesen Gebieten
menschlichen Tuns auf der Erde des Menschen handelt die Kirche
nicht in einer eigentlich übernatürlichen Vollmacht, noch versehen
ihre Glieder ein Amt im Vollsinn des Wortes. Die Kirche
und die Christen suchen aber diese Gegebenheiten der Mensdien-
welt auf Christus hin auszurichten" (635).

Viele Sympathien des evangelischen Theologen kommen
dieser Theologie des Laientums entgegen, auch dem Unmut des
Verfs. über reaktive Verhaltensweisen in seiner Kirche. Noch
auf der letzten Textseite bricht der Unwille darüber durch, daß
neuerdings dem Priester vorgeschrieben sei, selbst alle Teile der
Liturgie leise mitzusprechen, welche die Altardiener oder das
Volk singen. „Es scheint, daß in der Kirche etwas nicht als getan
gilt, wenn es nicht der Priester getan hat, und daß die Kirche . ..
nicht zur Stelle wäre, wenn sich da nicht eine Soutane fände"
(748). Kritik ist auch sonst häufig. So lesen wir, daß die Kommunion
sub utraque die Teilnahme der Gläubigen vollkommener
zum Ausdruck brächte. Trotz aller Mühe um die Harmonie der
Grundkräfte dürfte der feinfühlige Leser doch bisweilen das
Grollen eines näherkommenden Gewitters spüren. Anscheinend
wirken sich hier auch liberale Tendenzen aus, — man könnte die
wiederholte Anführung Lacordaires und Lamennais, auch Dosto-