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1961 Nr. 3

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 3

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kirchenrats in Berlin der Jahre 1939 — 1945 und aus den Akten
des „Instituts für Völkerrecht" in Göttingen. Die sachliche Darstellung
zeigt den Warthegau als den nationalsozialistischen
Mustergau auch in dem Versuch, die Kirchenfrage zu lösen. Der
Versuch des Reichsstatthalters Greiser ist das Musterbeispiel der
erzwungenen Freikirche im Sinne der vom Staat getrennten Freiwilligkeitskirche
(siehe dazu jetzt den Aufsatz des Unterzeichneten
, „Die Bedeutung der Kirchengliedschaft im Kirchenkampf",
Ev. Theologie 1960, S. 71—90, besonders S. 84—86), ja, der „Verdrängung
der Kirche aus dem Leben des Volkes", wie sich D. Blau
in einem Schreiben ausdrückte. Im allgemeinen entspricht das
vom Verfasser entworfene Bild der Auseinandersetzung zwischen
Staat und Kirche im Warthegau dem, das man auf Grund von
Nachrichten und mündlichen Darstellungen sich innerhalb der
Bekennenden Kirche bereits während des Kirchenkampfes gemacht
hat. Eine bedeutsame Berichtigung auch gegenüber der nach
dem Krieg vorgenommenen Darstellung, z.B. im Kirchlichen Jahrbuch
von Joachim Beckmann, S. 45 3, enthält die Darstellung der
sogenannten 13 Punkte, nämlich des Programms des Reichsstatthalters
, vielleicht sogar der Parteikanzlei. Diese haben niemals
den Inhalt einer amtlichen Verlautbarung, etwa einer vom
14. 3. 1940 datierten Verordnung gebildet, sondern entstammen
der mündlichen Darstellung des Kirchenreferenten des Reichsstatthalters
und der Nachschrift von Vertretern der Kirchen.
Bernhard Stasiewski weist in seinem Aufsatz „Die Kirchenpolitik
der Nationalsozialisten im Warthegau 1939— 1940", Vierteljahrshefte
für Zeitgeschichte, 7. Jhrg. 1959, S. 53, Anm. 35,
darauf hin, daß Abschriften dieser Nachschriften schon 1940 maßgebenden
protestantischen und katholischen Persönlichkeiten bekannt
waren, und daß er selbst sie in mehreren bischöflichen Archiven
gefunden habe.

Nach einer einleitenden Beschreibung der kirchlichen Verhältnisse
im Warthegau schildert Verf. die Ereignisse in drei Abschnitten
, einmal den Kampf um die Rechtsgestalt der Kirche,
dann den Kampf des Staates gegen die kirchliche Arbeit, schließlich
die Trennung von Staat und Kirche. Dieser letzte Abschnitt
ist mehr eine allgemeine Darstellung des Problems der Trennung
von Staat und Kirche und seiner möglichen Lösungen, unter denen
die des Warthegaus ihren besonderen Platz einnimmt. Das
Ringen um die Rechtsgestalt der Kirche zeigt, wie die Kirchenbehörden
in der Form der Hinhaltetaktik wie in der polnischen
Zeit dem Angriff des Staates zu begegnen versuchen, dann aber
auch dadurch, daß sie der vom Staat aufgezwungenen Rechtsordnung
eine innerkirchliche, dem Wesen der Kirche entsprechende
Ordnung an die Seite zu stellen versuchen, in der z. B. die
Taufe in ihrer die Gliedschaft in der Kirche begründenden Bedeutung
zur Geltung kommt. Über das Hin und Her der Satzungsverhandlungen
zwischen Reichsstatthalter und Kirchen kam der
beide Teile hinwegschwemmende Zusammenbruch. Der Kampf
gegen die Arbeit der Kirche wird deutlich als die Beschränkung der
grundsätzlich für frei erklärten Kirche auf den möglich engsten
Raum.

Ein gewisser Mangel der Arbeit von G. liegt in dem, was
nicht in Erwägung gezogen wird. Es ist allzu einseitig nur das
Aktenmaterial befragt. Zwar taucht einmal im Hintergrund die
Gemeinde und ihre Opferwilligkeit auf, wo von dem Kollekten-
verbot die Rede ist (S. 65). Aber auch gegen die standesamtliche
Anmeldung zur „konfessionellen Religionsgesellschaft" wurde
passiver Widerstand geleistet. Wie es geschah, und aus welchen
Motiven, dies fehlt in der Darstellung. Hier hätte nur eine Umfrage
bei den ehemaligen Pfarrern und vielleicht auch führenden
Gemeindegliedern aus dem Warthegau weiterhelfen können. Zu
wenig fragt Verf. auch nach den hintergründigen Vorentscheidungen
der leitenden Männer jener Kirchen. Man erfährt zu
wenig von ihrer Einstellung zum NS. Jene Kirchen waren Kirchen
ohne DC. Es war bezeichnend, daß man dies Mittel 1939
nicht mehr anwandte, weil es sich damals für Staat und Partei als
ein untaugliches Mittel erwiesen hatte. Man hat den Eindruck,
daß die leitenden Männer, der Auseinandersetzung mit den DC
enthoben, ihre Kirchen als eine Art von intakten KiTchen durchzusteuern
versuchten, daß sie deshalb ohne Bedenken mit den
offiziellen Stellen der DEK, die die BK längst für nicht legitime
Organe der evangelischen Kirche erklärt hatte, Fühlung nahmen.
Man erfährt nicht, weshalb sie keine Fühlung mit der BK und

ihren Gemeinden nahmen, ob sie sie nicht nehmen wollten oder
durften. Es scheint so, als habe man mehr Anschluß bei dem
Lutherischen Rat gesucht. Auch hier fehlt es an Darstellung der
Motive. Was also fehlt, ist ein Stück des eigentlichen Lebens, das
Geschichte ausmacht, die lebendige Gemeinde und die Motive
der Entscheidungen der leitenden Männer der Kirche. DeT Gediegenheit
der Aktenauswertung, die zweifellos ihren Wert hat,
soll mit diesem Hinweis jedoch kein Abbruch getan werden.
Berlin Günther Härder

Kupisch, Karl: Begegnung mit Karl Barth. Eine historisch-politische
Betrachtung. München: Kaiser 1958. 31 S. gr. 8° = Theologische
Existenz heute. Eine Schriftenreihe, hrsg. v. K. Steck u. G. Eichholz,
N. F. Nr. 62. DM 1.90.

S o 1 o w a y, Richard A.: The Crisis of English Faith and Morafe Düring
the French Revolution.

Anglican Theological Review 42, 1960 S. 300—315.
Stoudt, John Joseph: Evangelische Bruderschaften im Pennsylvanien
der Kolonialzeit.

Zeitschrift für Religions- u. Geistesgeschichte XII, 1960 S. 346—360.
Zumpe, Hans: Die Hutterischen Brüder.

Zeitschrift für Religions- u. Geistesgeschichte XII, 1960 S. 323—345.

LITURGIEWISSENSCHAFT U. KIRCHENMUSIK

lahrbuch für Liturgik und Hymnologie. Hrsg. von
K. Ameln, Chr. Mahrenholz und K F. Müller. 4. Bd.
1958/59. Kassel: Stauda-Verlag 1959. XVI, 286 S., 7 Taf., 1 Falttaf.
gr. 8°. Hlw. DM 30.-.

Der vorliegende 4. Band bringt die Fortsetzung des Jahrbuchs
für die Jahre 1958/59. Damit hängt es zusammen, daß die
Literaturberichte, und zwar für die Jahre 1956 und 1957, nicht
weniger als 104 Seiten umfassen. Man konnte ihnen diesmal
auch nur die Form einer Bibliographie geben. Ein gewisser Ersatz
für die bisher übliche Kurzbesprechung der meisten Titel werden
die für das nächste Jahrbuch versprochene ausführlichere Besprechung
einiger wichtiger Werke und in Aussicht gestellte
Sammelbesprechungen grundlegender Arbeiten aus früheren
Jahren bedeuten. Den Hauptanteil an dem vorliegenden Band
hat im Ausgleich zu den bereits erschienenen drei Bänden die
Hymnologie erhalten.

Für die Liturgiewissenschaft von Bedeutung ist die große Arbeit
von Adolf Boes „Die reformatorischen Gottesdienste in der Wittenberger
Pfarrkirche von 1523 an und die .Ordenung der gesenge der
Wittemberger Kirchen' von 1543—44". Ein erster Teil stellt die
Gottesdienste in der Wittenberger Pfarrkirche bis zu Luthers Tod dar;
auch die Metten und Vespern sind einbegriffen. Dieser Teil bemüht
sich erstmalig um eine wirkliche Klärung der Frage, wie weit die
Deutsche Messe Luthers sich tatsächlich auf die Gestaltung des gottesdienstlichen
Lebens in Wittenberg ausgewirkt hat. An der Tatsache,
daß noch 1536 im Gottesdienst in der Stadtkirche nur das Graduallied
und das Glaubenslied und die vom Priester zu singenden Abendmahl«-
texte deutsch sind, wird offenbar, wie wenig die Wittenberger Reformation
geneigt war, gottesdienstliche Reformen zum konfessionellen
Merkmal zu machen. Diese Grundhaltung bestätigt die im zweiten Teil
folgende Untersuchung der Ordnung der Gesänge der Wittenbergischen
Kirche 1543 auf 1544. Ihr liegt ein vom Verf. 193 5 im Zerbster
Staatsarchiv entdecktes Aktenstück zugrunde. Dieses stellt den ersten
authentischen Bericht über die Wittenberger Kirchenmusik nach Auflösung
der kurfürstlichen Kapelle dar und ist deshalb für die Geschichte
der frühen evangelischen Kirdienmusik von einzigartiger Bedeutung.
Für den Willen, auch auf diesem Gebiet an dem Anspruch festzuhalten,
die eigentliche katholische Kirche zu sein, ist bezeichnend, daß sich
rund 90 % aller angeführten Gesänge in den vorreformatorischen
liturgischen Büchern des Erzbistums Magdeburg nachweisen lassen. Das
Neue tritt trotzdem darin in Erscheinung, daß man sich merklich auf
Evangelientexte beschränkt und deutlich gegen jene Wendung vom Objektiven
zum Subjektiven abgrenzt, wie sie damals in den Motettentexten
des späteren Josquin und der Spätniederländer hervorzutreten
beginnt. Man vermag so an der Wittenberger Ordnung der Gesänge
abzulesen, wie hier die Musik nicht anders als die Theologie bekenntnisfroher
Dienst am Evangelium sein will. Um deswillen wird die frühe
evangelische Kirchenmusik zum gesunden Fundament für die künftige
Entfaltung evangelischer Kirchenmusik und hat ihr zugleich den Anschluß
an das kirchenmusikalisdie Erbe der Vergangenheit gesichert. Ein
klares Faksimile der „Ordnung" (und zwar des Kopfs der Vorderseite
und des Schlusses der Rüdeseite) vermittelt einen unmittelbaren Eindruck
von diesem Fund.