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Ausgabe:

1961 Nr. 3

Spalte:

206-208

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Jahrbuch für Antike und Christentum; Jg. 1 1958 u. Jg. 2 1959 1961

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 3

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wissen wollen. Augustin kann auch keineswegs für den römischen
Papalismus in Anspruch genommen werden, wie das auch unvoreingenommene
katholische Forschung heute zugibt." V. Loewe-
nich erinnert auch an die von Clemens XI. erlassene constitutio
Unigenitus von 1713, den Höhepunkt der Absetzung vom
Augustinismus.

Ich übergehe die Kapitel über Bernhard von Clairvaux und
zum Verständnis Meister Eckhardts. In dem Kapitel „Christi
Stellvertretung", einer theologischen Meditation von Luthers
Auslegung von Gal. 3,13 hören wir auf Seite 158 f.: „Auch
Luther ist selbstverständlich nicht ohne Anselm zu denken. Aber
das Wertvollste an seiner Versöhnungslehre scheint mir gerade
das zu sein, was bei ihm über Anselm und die Orthodoxie hinausweist
." „In der anselmschen Versöhnungslehre bleibt die Stellvertretung
Christi ein Geschehen, das 6ich nur zwischen den beiden
Personen der Trinität abspielt; die Beziehung von Christi
Tat auf die Menschen wird erst nachträglich und etwas künstlich
gewonnen. Derselbe Mangel haftet auch der orthodoxen Fassung
an. Dadurch bekommt die ganze Lehre ein wenig die Art eines
Rechenexempels . . . Solch dogmatischer Rationalismus hat das
Schicksal verdient, vom aufklärerischen Rationalismus zerfasert
zu werden."

Luther6 Bedeutung für die Geschichte.
„Die Reformation hat neben ihrer eigentlichen religiösen auch
eine gewaltige geistesgeschichtliche Bedeutung. E6 ist eine falsche
Alternative, beides gegeneinander 6etzen zu wollen." „Da6
evangelische Prinzip der Reformation liegt in der radikalen
Erneuerung des Evangeliums von der (schlechthinigen)
Gnade Gottes in Jesus Christus; als das protestantische
Prinzip der Reformation schlechthin muß Luthers Grundsatz von
der Gewissensfreiheit bezeichnet werden." „Luther hat die Ichsucht
als die geheimste Triebfeder des Menschen erkannt. In dieser
Ichsucht besteht die Wirklichkeit des unfreien Willens." „Mit
seinem radikalen Schriftprinzip hat Luther im Grunde jede kirchliche
Lehrgesetzlichkeit beseitigt. Es ist nicht verwunderlich, daß
der Airprotestantismus vor dieser Folgerung zurückschreckte; aber
sie ist unausweichlich. Unser heutiges Schriftverständnis steht
grundsätzlich gleichen Rechtes neben dem der Reformation."

Bei dem großen Thema „Luther" werden noch folgende
Probleme besprochen: Die Kirche in lutherischer Sicht, Das Neue
in Luthers Gedanken über den Staat, Luther und das Schicksal
des Abendlandes, Das Problem des „katholischen Luther", Reformation
oder Revolution, Die Frömmigkeit Martin Luthers,
Die Selbstkritik der Reformation in Luthers Großem Katechismus,
Die Reformation — Verhängnis oder Segen für die deutsche Geschichte
? Wir werden hier überall mit neuen, z.T. überraschenden
Einsichten beschenkt. Aus der Fülle der Gedanken kann ich nur
weniges hervorheben.

Die heutige Theologie muß Ernst machen mit Luthers
„Christus contra scripturam". Die Trennung von Spekulation
und Glaubensaussage, die das Anliegen von Luther und Schleiermacher
war, muß radikal durchgeführt werden. Gegenstand des
Glaubens ist nur, was mich in meiner Existenz betrifft. — Es gibt
doch zu denken, daß der große Autoritätensturz des modernen
Revolutionszeitalters nicht im lutherischen Deutschland, sondern
im katholischen Frankreich seinen Ausgangspunkt genommen
hat. Luthers sogenannter Subjektivismus ist in Wirklichkeit der
gewaltigste Beitrag zur Begründung wahrer Autorität in der
neueren Geschichte des Abendlandes. — Es gibt keine eindeutige
Lehre des Neuen Testaments, keine einheitliche Christologie
oder Abendmahlslehre. Die Relativierung des dogmatischen Denkens
ist Erlösung für den Glauben, die Mannigfaltigkeit ist
Reichtum. — Das reformatorische Schriftprinzip hat revolutionäre
Kraft, es sprengt das Dogma und die Lehreinheit, die Rom gewaltsam
festhält. — Wo liegt der Grund für den mangelnden Erfolg
der Reformation? Das böse Erbe der römischen Kirche lastete
auf Luthers Predigt: unerzogene Menschen kann man nicht
plötzlich in Freiheit setzen! Wer nicht Luthers Gewissensnot
kannte, versteht auch nicht 6eine Erlösung. Erst „Aus tiefer Not",
dann „Ein feste Burg". Das Vorbild der Heroen taugt nicht für
die Masse. — Aufspaltung ist nicht der Wesenszug des Luthertums
. Religiöse Wahrhaftigkeit wertvoller als Einheitsstreben
um jeden Preis. Die Geschichte des modernen Katholizismus vom

Vaticanum bis zum neuen Mariendogma zeigt, wie man hier
bereit ist, die persönliche Überzeugung der kirchlichen Einheit zu
opfern. Fromme deutsche Katholiken betrachten es seit langem
mit Sorge, wie in der römischen Kirche die romanische Frömmigkeit
immer mehr die Vorherrschaft bekommt.

Alle diese bisher behandelten Kapitel sind durchaus für
jeden gebildeten Laien verständlich und von höchstem Werte.
Das nächste Kapitel „Zehn Jahre Lutherforschung in Deutschland
" geht natürlich nur den Theologen an. Die letzten drei Kapitel
dagegen über Melanchthon, über das Interim von 1548 und
— noch etwas ganz anderes — Gedanken zur evangelischen
Passionsmusik dürfen wieder auf allgemeine Teilnahme rechnen.
Mir sei zu diesen Schlußkapiteln noch die eine Bemerkung gestattet
, daß ich unser evangelisches Gesangbuch um seiner herrlichen
Choräle willen für einen großen überkonfessionellen Schatz
erachte und meine, daß häufig die Vertonung mit ihrer ergreifenden
Wucht dem Glaubensgehalt noch ein feierliches Kleid verleiht

Hannover-Kleefeld Hermann Schuster

Sakrausky, Oskar: Agoritschach. Geschichte einer protestantischen
Gemeinde im gemischtsprachigen Südkärnten. Klagenfurt: Verlag des
Landesmuseums für Kärnten 1960. 80 S., 12 Abb. a. Taf. gT. 8° =
Kärntner Museumschriften, geleit. v. G. Moro, XXI.

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Jahrbuch für Antike und Christentum. Hrsg. v.
Franz Dölger-Institut a. d. Universität Bonn. Schriftleitung: Th.
Klauser, A. Hermann, A. Stuiber. Jg. 1 1958. 160 S. m. 5 Abb u.
3 Ktn. i. Text, 33 Abb. a. 8 Taf. Kart. DM 15.-; Lw. DM 17.50.
Jg. 2 1959. 185 S. m. 11 Abb. i. Text u. 14 Taf. Kart. DM 19.50;
Lw. DM 22.50. Münster/W.: Aschendorff [1958/59]. 4°.

Das Jahrbuch für Antike und Christentum wird vom Franz
Joseph Dölger-Institut zur Erforschung der Spätantike (in Bonn)
unter der Schriftleitung von Theodor K 1 a u s e r, Alfred Stuiber
und Alfred Hermann herausgegeben (dieser ist nach dem
schmerzlich frühen Tode Eduard Stommels an dessen Stelle
getreten). Es dient in erster Linie zur Ergänzung des „Reallexikons
für Antike und Christentum", auf dessen Förderung das
Institut seine Kräfte jetzt „vor allem" konzentriert hat, und
veröffentlicht dazu — neben kurzen Arbeits- und Organisationsberichten
— „vorbereitende und weiterführende Untersuchungen"
sowie „Nachträge". Im Unterschied vom Lexikon, dessen Format
es teilt, ist es auch mit Bildtafeln ausgestattet. Wer das Lexikon
bezieht, kann auf das Jahrbuch im Grunde kaum verzichten. Wer
es zur Hand nimmt, findet hier dieselbe Fragestellung und Thematik
, die gleiche Fülle von Stoffkenntnis und Belehrung, die
gleiche Vielseitigkeit, Objektivität und Zuverlässigkeit (in z. T.
noch gefälligerer, lesbarer Gestaltung), die er von dort her gewohnt
war und nach den Namen der Herausgeber von vornherein
erwarten konnte. Dieses Jahrbuch steht auf festem Grund, es wird
— im Gegensatz zu vielen Jahrbüchern früherer Zeiten —
bestehen bleiben und wird allen Theologen, Philologen und
Archäologen, die sich mit der spätantiken Welt und mit der alten
Kirche beschäftigen, unentbehrlich sein. So ist der Rezensent in
der angenehmen Lage, auf überflüssiges Lob verzichten zu können
, und bedauert nur, über die zahlreichen interessanten Beiträge
nicht ausführlicher berichten zu können. Die folgende Übersicht
faßt beide Bände zusammen und hält sich nicht an die dort
gebotene Reihenfolge.

Das Jahrbuch führt „die Tradition" der einstigen „Zeitschrift für
Antike und Christentum" weiter — jenes einzigartigen Organs, dessen
Beiträge ausnahmslos von Franz Joseph Dölger verfaßt waren. Heute
ist an dessen Stelle ein ganzer Stab von Mitarbeitern getreten; doch
bedeutet es mehr als eine Pflicht der Pietät, wenn jetzt aus dem Nachlaß
dieses gToßen Gelehrten „nach und nach" in geeigneter, von
K 1 a u s e r besorgter Fassung weitere Stücke zum Druck gebracht werden.
Die „Beiträge zur Geschichte des Kreuzzeichens'" (I 5—19; II 15—29)
rücken die Sitte des „Kreuzschlagens" bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts
hinauf und suchen die Beziehungen des Kreuzes zum alten
Taw-Symbol näher zu klären. Darüber ist seither viel und z. T. weiterführend
gearbeitet worden (vgl. die Literaturangaben in der RGG3 IV
471): doch verlieren Dölgers Untersuchungen darum nicht ihren
Wert. (Eine Warnung gegenüber der Deutung eines ägyptischen Kindersarkophags
bei J. J e r e m i a s, Die Kindertaufe in den ersten vier