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Ausgabe:

1961 Nr. 3

Spalte:

204-206

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Loewenich, Walther von

Titel/Untertitel:

Von Augustin zu Luther 1961

Rezensent:

Schuster, Hermann

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203

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 3

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KIHCHEN GESCHICHTE: ALLGEMEINES

Schmidt, Kurt Dietrich: Grundriß der Kirchengeschichte. 3., sorgfältig
durchgesehene Aufl. Göttingen: Vandenhocck & Ruprecht
[i960]. 576 S. gr. 8°. Lw. DM 24.—.

Vor mehr als 10 Jahren ist die 1. Auflage dieses Grundrisses,
zunächst in 4 Einzelteilen erschienen. Die Aufnahme, die es gefunden
hat, beweist, daß das Buch einem wirklichen Bedürfnis
entgegenkam. So liegt jetzt die 3. Auflage in einer geschmackvollen
einbändigen Ausgabe vor, der man nur wünschen kann,
daß sie denselben Zuspruch finde wie die beiden vorangegangenen
Auflagen. Über das hervorragende pädagogisch-didaktische Geschick
, die gelungene Stoffverteilung, auch die weise und den
Realitäten des Lernbetriebes durchaus Rechnung tragende Literaturauswahl
braucht hier nicht besonders referiert zu werden. Der
Verf. will sein Buch auch von Theologiestudenten benutzt wissen.
Natürlich werden Fachhistoriker immer über das doch nicht zureichende
„Grundrißwis6en" jammern, und es kann natürlich gar
kein Zweifel darüber bestehen, daß ein „Prüfling" zumindest
über einen Abschnitt der Kirchengeschichte ein vertieftes Wissen
haben muß. Aber Schmidt will der Spezialkenntnis, über die man
bei theologischen Examen durchaus eine gedämpfte Vorstellung
haben darf, etwas zur Seite stellen: die Erlangung eines zuverlässigen
Gesamtüberblicks. Den muß man von einem Theologiekandidaten
erwarten; und dazu verhilft Schmidts Buch in ausgezeichneter
Weise. Daß es natürlich auch für alle anderen mit der
Kirchenge6chichte zu tun habenden Studierenden, und natürlich
über diesen Kreis hinaus, gedacht ist, 6ei nur erwähnt. Sollten der
Kirchengeschichte wieder einmal sonnigere Tage geschenkt werden
, dann wird man mit besonderer Dankbarkeit auch auf einen
Grundriß wie den vorliegenden zurückblicken, der vielleicht half,
6ie vorzubereiten.

Berlin KarlKupisch

Gieraths, Gundolf, O. P.: Kirche in der Geschichte. Essen: Lud-
gerus-Verlag Hubert Wingen [1959]. 126 S. 8°.

Ausgehend von der Ansprache Papst Pius' XII. an die Teilnehmer
des 10. Internationalen Historikerkongresses zu Rom am
7. September 1955 (vgl. Herder-Korrespondenz, Jg. 10, 1955/56,
74—78) vertritt Gieraths die gleichfalls von A. Ehrhard und dem
Handbuch der Kirchengeschichte von Bihlmeyer-Tüchle zugrundegelegte
These, daß die Kirchengeschichte als die Wissenschaft von
der räum-zeitlichen, äußeren und inneren Entwicklung und von
der gesamten Wirksamkeit der Kirche als der von Christus gestifteten
und vom Heiligen Geist geleiteten sichtbaren Heilsanstalt
für die Menschheit das Gegenstück zu den systematischen
Disziplinen der Theologie darstelle. Der lebendige Zusammenhang
zwischen den systematischen und historischen Fächern der
Theologie wird als ein theologisch und methodisch zugleich notwendiger
herausgestellt. Wird der evangelische Kirchenhistoriker
diese Feststellung wohl überprüfen und recte verstanden bejahen
können, so wird er doch eine ekklesiologische Orientierung
der Kirchengeschichte im Sinne ihrer heilsgeschichtlichen Deutung
(Kirche als zeitliche Verwirklichung des Reiches Gottes) nicht mitvollziehen
können. Mittels der römisch-katholischen Prämisse in
Form der römischen Ekklesiologie wird der Verlauf der Kirchengeschichte
antezipiert. Der evangelische Kirchenhistoriker wird
allerdings genötigt sein, sich klar darüber auszusprechen, was er
unter Kirche versteht. Die Tatsache, daß K. Müller, H. Lietzmann,
Joh. von Walter und G. Ebeling u. a. hier jeweils verschieden definieren
, deutet allerdings eine theologische Unsicherheit an und
stellt erneut die Frage, wie konfessionelle mit katholisch-ökumenischer
Orientierung verbunden werden muß. Dieses Problem
ist bisher nicht bewältigt. Die in sich geschlossene und in der
Berücksichtigung der sachlichen Aufgaben des Kirchenhistorikers
durchaus großzügige Schau Gieraths gestattet wohl die historische
plena veritas festzustellen, auch wenn es zu Lasten der röm.
Kirche geht, versagt aber vor der Aufgabe der Würdigung außerrömischen
Christentums. G. heißt z. B. die Indizierung des Buches
von Joseph Thome „Der mündige Christ" gut wegen der
Unterscheidung einer unsichtbaren und einer sichtbaren Kirche
(71). Er sieht die römische Kirche unter dem Gesetz der Wesensentfaltung
, kann menschlich Fehlsames offen zugestehen, beharrt
aber bei der These, daß das Dogma in Substanzidentität verharre.
Der evangelische Historiker kann diese These für eine ganze
Reihe von heutigen Dogmen nur als Fiktion werten und muß
6ich deshalb über das Walten des Hl. Geistes in der Kirchengeschichte
wesentlich differenzierter äußern als der römische
Christ.

Neuendettelsau Friedrich Wilhelm Kantzcnbach

Loewenich, Walther von: Von Augustin zu Luther. Beiträge zur
Kirchengeschidite. Witten: Luther - Verlag 19 59. 440 S. 8°. Lw.
DM 16.80.

Dieses Buch war bereits angekündigt im Vorwort zu
„Glaube, Kirche, Theologie". In dem Titel sind die beiden
Hauptgegenstände schon enthalten: AugU6tin und Luther. Dazwischen
kommen noch Betrachtungen über Gregor VII., verglichen
mit Luther, Bernhard von Clairvaux und Meister Eckhardt.

Das erste große Hauptstück gilt also dem Menschen und der
Lehre Augustin6. Hier wieder betrifft das erste Problem die
Frage „Menschsein und Christsein bei Augustin". Die volle Einheit
zwischen Christsein und Menschsein hat Augustin offensichtlich
erstrebt, aber nicht erreicht; sie geht uns über die Kraft.
Von Loewenich weist uns auch hin auf die Gefahr des üblichen
Humanismus. Weinstock hat sie in seinem Buch „Die Tragödie
des Humanismus" in vielleicht übersteigerter Gestalt geschildert.
Zu dem Problem Wissen und Glauben (S. 40 oben) könnte man
an ein Wort von Wilhelm Busch erinnern: „Nur was wir
glauben, wissen wir gewiß".

An die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens führt uns auch
der Unterteil: „Augustin und das christliche Geschichtsdenken
". Mit dem Rätsel der Geschichte ist auch Augustin
nicht fertig geworden. Wenn er vorbehaltlos den Kaiser Theodo-
sius lobt: „Er ruhte nicht, mit äußerst gerechten und äußerst
barmherzigen Gesetzen der notleidenden Kirche wider die Gottlosen
zu Hilfe zu kommen", so nennt v. Loewenich das eine
„merkwürdig klerikal anmutende Charakterisierung der berühmten
Ketzergesetze dieses Kaisers". Zwei schöne Bemerkungen
des Verfassers möchte ich hervorheben: „Ob wir wieder
den Zugang zur Transzendenz als einer echten Realität gewinnen,
das ist die entscheidende Frage der Gegenwart." „Derjenige hat
recht, der den Rat gab, ein siegreiches Volk habe nach beendigtem
Krieg nichts Eiligeres zu tun, als einen allgemeinen Bußtag
zu veranstalten." Es geht eben über Menschenkraft, als Sieger
Gerechtigkeit und Billigkeit zu üben.

Zur Gnadenlehre bei Augustin und bei Luther hören
wir: „Augustin ist der Vater des mittelalterlichen Katholizismus
und doch zugleich der Kirchenvater der Reformation." Doch
vielleicht mehr der Vater der mittelalterlichen Kirche: „Der
bleibende Einfluß des Piatonismus läßt es bei Augustin nicht zu
dem radikalen Paulinismus Luthers kommen. Von da aus wird
es verständlich, daß Augustin trotz seines Antipelagianismus der
Kirchenvater des wesentlich semipelagianischen mittelalterlichen
Katholizismus werden konnte."

Augustin und Goethe, ein überraschendes aber
reizvolles Thema. Ist Augustin nicht ein faustischer Grübler, ist
nicht auch Goethe Neuplatoniker? Bei dieser Gelegenheit hören
wir ein schönes, mahnendes Wort Goethes: Goethe kann sich
sehr ungehalten äußern über das ehrfurchtlose selbstverständliche
Reden vom lieben Gott (Eckermann, 31. 12. 1823). Allzu
detaillierte Aussagen über Gott verstoßen ihm gegen die Ehrfurcht
.

Was bedeutet uns Evangelischen Augustin? Wir werden
gewarnt, diese Bedeutung zu überschätzen: „Die gebrochene Stellung
zur Schöpfung, wie sie 6ich in der Verfemung des Geschlechtlichen
äußert, ist augustinisches Erbe. Mit seinem .cogite intrare'
ist Augustin trotz seines Universalismus zu einem Vater der
mittelalterlichen Ketzerprozesse geworden; nicht zuletzt von ihm
hat es die mittelalterliche Kirche gelernt, gegen Andersgläubige
den weltlichen Arm zu Hilfe zu rufen." Dagegen könnten wir
lernen von Augustins symbolischer Auffassung des Abendmahls
: Da6 Sakrament ist verbum visibile, sichtbares Wort.
„Trotz seiner Konzessionen an die vulgäre Frömmigkeit hat
Augustin von einer Anrufung Marias und der Heiligen nichts