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Ausgabe:

1961 Nr. 3

Spalte:

199-201

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barth, Markus

Titel/Untertitel:

Israel und die Kirche 1961

Rezensent:

Percy, Ernst

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199

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 3

200

Barth, Markus: Israel und die Kirche im Brief des Paulus an die
Epheser. München: Kaiser 1959. 47 S. gr. 8° = Theologische Existenz
heute, hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz, N. F. 75. DM2.70.

Der Verfasser legt in der angezeigten Schrift, die der Abdruck
eines im Herbst und Winter 1958/59 an mehreren Stellen
zuerst in Amerika und dann in Deutschland gehaltenen Vortrags
ist, das Ergebnis einer umfassenden Arbeit am Epheserbrief dar,
die auf die Ermittlung der diesem Brief zu entnehmenden Gedanken
über die Beziehung zwischen der Kirche und Israel hinzielte.
Aktuell wurde dem Verfasser dieses Thema teils durch die Bestreitung
der Berechtigung der Judenmission seitens zweier prominenter
amerikanischer Theologen, teils u. a. durch „die Beobachtungen
von Spuren alteingesessenen oder unerwarteten ...
.Antisemitismus' bei Christen" (S. 3). Besonders gewichtig ist
dabei für B. Eph. 2, 11—22 geworden. Er meint nämlich, diesen
Textabschnitt so verstehen zu müssen, daß der Christenstand der
Heidenchristen ihre Zusammenfügung mit Israel überhaupt und
somit nicht nur mit den Judenchristen bedeute (S. 13. 18. 19. 24);
der in Eph. 2,15 erwähnte „eine neue Mensch", der mit dem Leib
Christi, der Kirche aus Juden und Heiden (Eph. 2, 15; 4, 16),
identisch sei (S. 13. 23), umfasse alle Juden und alle Heiden
(S. 19) und komme dadurch zustande, daß die Heiden durch Christus
mit den Juden als solchen verbunden werden (S. 13. 44); erst
dadurch werden die Heiden an dem für Israel in Christus geschaffenen
Heil teilhaft: „Der Heiden Kindschaft ist Adoption in
einen schon bestehenden Haushalt" (S. 24). Dabei meint B., in
dem Gleichnis vom verlorenen Sohn in Luk. 15 eine Analogie zu
Eph. 2, 11—22 zu finden: gleichwie der jüngere Sohn im Gleichnis
waren auch die Heiden dem Vaterhause Gottes entfremdet, während
die Juden immer da zu Hause waren (S. 8. 13. 24); nur
wird im Epheserbrief „nicht die Haltung des älteren Bruders
gegenüber dem Jüngeren, sondern die Beziehung des Jüngeren zum
Älteren dargestellt" (S. 8 f.).

Aus dieser seiner Interpretation von Eph. 2, 11—22 zieht B.
zwei gewichtige praktische Konsequenzen. Die eine ist die, daß
wahres Christentum Solidarität mit Israel bedeutet. „Diejenigen
Juden, die noch nicht wissen oder anerkennen, was ,in dem Messias
' geschehen ist, und die deshalb dem abseits stehenden altern
Sohn gleichen, gerade auch diese auf irgendein Judentum versteiften
Juden sind Brüder der Christen und verdienen ihren Respekt
und ihre Brüderlichkeit" (S. 25). „Die brüderliche Beziehung
zwischen den Christen und den Juden ist die Probe auf die Echtheit
des Glaubens an Gott und der Liebe zum Nächsten" (S. 46).
Die andere gewichtige praktische Konsequenz, die aus der Auslegung
von Eph. 2, 11—22 durch B. folgt, ist die, daß die Judenmission
problematisch wird. Wenn nämlich die Heiden erst durch
ihre Zusammenfugung mit Israel an dem Heil in Christus teilhaft
werden, geht es unmöglich an, „die Kirche auf Kosten von Israel
als die alleinige Besitzerin und Hüterin der Wahrheit anzupreisen
" (S. 9). Da Israel nun selbst als Missionar berufen ist (Jes.
42, 6; 49, 6), „täten wir gut daran, in Wort und Tat das fallen
zu lassen, was gemeinhin unter Judenmission' verstanden wird"
(S. 38). „Nur wo das Neue Testament völlig mißverstanden
wird, kann Israel kurzerhand neben die Heiden gestellt und zum
Missionsobjekt wohlmeinenden Eifers gemacht werden" (S. 38 f.).
Die Christen sind „Bettler nicht nur Gott, sondern auch den Juden
gegenüber" (S. 42). Die Judenmission sollte durch brüderlichen
Verkehr mit den Juden ohne direkte Absicht, sie zu bekehren
, ersetzt werden. „Wenn Christen sich zu solcher Konversation
aufmachten . .., dann würden vielleicht die Juden nach
den Gründen dieser unerwarteten Zuwendung fragen. Erst dann
käme auch die Zeit und Gelegenheit, zu Juden von Jesus von
Nazareth', dem König der Juden, zu sprechen" (S. 42).

B. bleibt aber bei seiner Erörterung der Frage nach der Beziehung
zwischen den Christen und Israel nicht bei Eph. 2, 11—22
stehen; er meint, daß kurzweg alles im Epheserbrief im Lichte
des von ihm dargelegten Verständnisses von Eph. 2, 11—22 zu
verstehen sei. So soll die Zusammenfügung der Gemeinde, wovon
2,21 und 4, 16 gesprochen wird, oder die Mahnung zur Einigkeit
in 4, 2 ff. sich auf die Vereinigung von Heiden und Juden
beziehen (S. 13. 16. 17. 19). Was nun die zuletzt erwähnten
Stellen betrifft, so entbehrt nicht nur ihre Beziehung auf die
Vereinigung der Juden und Heiden jeglicher Stütze im Texte,

sondern 6ie wird auch, insofern es 6ich um die Juden überhaupt
handeln sollte, durch 4, 5: „Ein Glaube, eine Taufe" ausgeschlossen
. Und 4, 7—16 handelt es sich um die Wirkungen der
der christlichen Gemeinde zugeteilten Gnadengaben, die auf die
Erkenntnis Christi und die geistige Reife der Christen hinzielen,
wobei ihre Einigung als eine Voraussetzung dafür in Betracht
kommt. Auch 1, 13 handelt es sich nicht, wie B. (S. 10) meint,
um den Gegensatz zwischen Heidenchristen und Juden, sondern,
wie ich in meiner Arbeit „Die Probleme der Kolosser- und
Epheserbriefe" (Lund 1946, S. 266 f. Anm. 16; vgl. N. A. Dahl,
Theologische Zeitschrift 7, 1951, S. 259 f.) von sprachlichen
Gründen aus aufgewiesen habe, um die Adressaten des Briefes als
eine besondere Gruppe unter den Christen überhaupt.

Noch gewichtiger für die Beurteilung der exegetischen Begründung
der These von B. ist aber die Frage, ob 6ich seine Auslegung
von Eph. 2, 11—22 aufrechterhalten läßt. Dazu ist zuerst
zu sagen, daß, wenn die These von B. richtig wäre, man nicht
verstehen würde, warum das Ergebnis der Vereinigung der Heiden
mit den Juden als ein neuer Mensch bezeichnet wird; die
Bezeichnung „neu" würde ja dann nur auf die Heiden, nicht aber
auf die Juden zutreffen; sie wären ja immer noch dieselben wie
früher. Es ist nämlich, wie aus dem Folgenden hervorgehen
dürfte, völlig falsch, wenn B. (S. 13) das „eine Fleisch", zu dem
Mann und Frau in der Ehe werden, als eine Analogie zu dem
„einen neuen Menschen" in Eph. 2, 15 anführt und es als einen
„neuen Menschen" bezeichnet. Nun handelt es sich aber sonst,
wenn bei Paulus von einer „neuen Schöpfung" oder einem
„neuen Menschen" gesprochen wird (2. Kor. 5, 17; Gal. 6, 15;
Kol. 3, 10 f.; vgl. Gal. 3, 27 f.; Eph. 4,24), offenbar um etwas
was in Christus als von diesem Zeitalter weg Abgestorbenem
und zu einem neuen Leben Auferstandenem geschaffen worden ist;
es ist nämlich, wie ich in meiner Arbeit „Der Leib Christi"
(Lund 1942, S. 23—34) ausgeführt habe, offenbar, daß der Gedanke
der neuen Schöpfung in Christus und der Teilhabe der
Gläubigen an ihr bei Paulus mit dem Gedanken ihrer Teilhabe an
dem Tode und der Auferstehung Chri6ti zusammenhängt (Rom.
6,1-11; 7,4-6; Gal. 2, 19; Kol. 2, 11 f. 20f.; 3,1-4). Wir
haben es hier offensichtlich, wie von mir (a. a. O., S. 32 f.) und
anderen (z. B. A. Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus
S. 98 ff., 110 ff., 120 ff. u. ö.) früher hervorgehoben worden ist,
mit einer für Paulus eigentümlichen Ausgestaltung der spätjüdischen
Zwei-Äonenlehre zu tun: das, was man im Spätjudentum
„das zukünftige Zeitalter" nannte, ist für Paulus in Christus als
Auferstandenem schon Wirklichkeit geworden. Diese neue Schöpfung
, die Freiheit von Sünde, Tod und Gesetz und damit auch die
Aufhebung des Unterschiedes zwischen Juden und Heiden bedeutet
(Rom. 6, 11; 7, 4-6; Gal. 3, 27 f.; Kol. 3, 11) - es handelt
sich nämlich bei Gal. 3, 27 f. und Kol. 3,11 wirklich um die
Aufhebung des Unterschiedes zwischen Juden und Heiden und
nicht nur, wie B. (S. 12) meint, um die Abschaffung der trennenden
Feindschaft zwischen den beiden Gruppen —, existiert aber
nur in Christus als deren Erstling durch seine Auferstehung;
außerhalb von ihm ist alles ganz wie vorher, wenn wir von den
Menschen absehen, die durch Glauben und Taufe mit Christus
vereinigt sind oder, wie Paulus selbst es auszudrücken pflegt, „in
Christus sind" (l.Kor. 1,30; 2. Kor. 5,17; vgl. Gal. 3, 27 f.).

Wie ich in meiner Arbeit über die Probleme des Kolosserund
Epheserbriefe« (S. 281 f., 284 f., 28 8 ff.) ausgeführt habe,
ist nun die uns in Eph. 2, 14 ff. begegnende Vorstellungsweise
offenbar dieselbe wie diejenige, die uns in den eben aus den sonstigen
Paulinen angeführten Stellen begegnet, und dies scheint
auch die Meinung von B. zu sein (z. B. S. 11 f.), nur daß er die
betreffenden Ausdrücke in beiden Fällen anders interpretiert, als
es hier geschehen ist. Auch in Eph. 4, 24, wo die Adressaten des
Briefes ermahnt werden, „den neuen Menschen anzuziehen, der
nach Gott geschaffen ist in der Gerechtigkeit und Heiligkeit der
Wahrheit", ist der Ausdruck „den neuen Menschen" offenbar auf
dieselbe Weise zu verstehen wie entsprechende Ausdrücke etwa
in Gal. 3, 27 f. oder Kol. 3, 10 f.; wenn B. (S. 7. 43 f.) in Übereinstimmung
mit seiner Interpretation von Eph. 2, 15 in „dem
neuen Menschen" in Eph. 4, 24 den Menschen sieht, der durch die
Vereinigung der Heiden mit den Juden zustande gekommen sei,
ist dies offenbar falsch. Es kann nach dem allen kein Zweifel dar-