Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 2

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

121

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 2

122

darin, daß das Gebäude dem „König Christus" (gTiech. „Basi-

Ieus Christos") geweiht war und dieser in ihm verehrt wurde.

Die Stiftskirche zu Gernrode weist eine kuriose Besonderheit
auf. Der Grundriß ist so durchgeführt, daß kein rechter Winkel
zu finden ist. Paul Genrich weist in diesem Zusammenhang auf
die altchristliche und frühmittelalterliche Symbolik hin, wonach
das Kirchengebäude Abbild des „Leibes Christi" war: „Auffallend
ist, daß das Haus des Herrn, der auf dem Hochaltar am Kreuze
hängt, denselben Knick macht, den sein Leib bei natürlich dargestellter
Zusammengesunkenheit zeigt" (S. 16). Genrich macht
aber selbst darauf aufmerksam, daß diese Beobachtung zur Erklärung
des Fehlens der Rechtwinkligkeit nicht ausreiche, und
meint, daß wahrscheinlich Gründe bestimmend gewesen sind,
die wir nicht mehr aufhellen können. Er gibt zu bedenken, daß
möglicherweise andere Ursachen zur Knickung der Längsachse
dieses Kirchengebäudes geführt haben, etwa „das Überbauen der
alten Burgkapelle, das diese zur Unterkirche und jetzigen Ostkrypta
machte, und die Stellung des Westwerks ganz oder teilweise
auf etwas aus der Ost - West - Richtung liegendes altes
Grundgemäuer". Demgegenüber weist Vorbrodt darauf hin
(S. 2 ff.), daß durch den Tod des Stifters (965) Stockungen in der
Fortführung des Baues eingetreten 6ind, und er vermutet, daß
„aus dieser Unterbrechung, die vielleicht auch einen Wechsel in
der Bauführung und ein größeres Raumbedürfnis mit sich brachte
", die Verschiebungen im Grundriß wahrscheinlich zu erklären
6eien. Welcher Ansicht man sich hier auch anschließen mag, so
lassen die Darlegungen Paul Genrichs noch in anderer Weise erkennen
, daß man in der Gestalt der Stiftskirche zu Gernrode das
Abbild de6 Leibes Christi gesehen hat, — Genrich stellt diesen
Gedanken selbst allerdings nicht heraus —. „Leib Christi" war
und ist in der Theologie eine Bezeichnung der Christenheit. Nach
der mittelalterlichen Gotte6reichsidee wurde die Christenheit
( = Leib Christi) durch zwei „Gewalten" regiert, durch die
„königliche Gewalt" und durch die „Autorität der Bischöfe".
Paul Genrich weist darauf hin, daß die Gernroder Stiftskirche
■ •im Westen, wo die Sonne untergeht und die Nacht mit den
schwarzen Schatten, den bösen Dämonen, heraufsteigt, durch die
Turmwehr geschützt" ist (S. 9). Der Rezensent möchte meinen,
daß auch hier — in gleicher Weise wie an andern mittelalterlichen
Kirchen — die Turmwehr als eine symbolische Bezugnahme
auf die königliche bzw. kaiserliche Gewalt, deren Aufgabe der
Schutz der Christenheit (= des „Gottesreiches") war, verstanden
wurde. Der Chorraum im Osten des Kirchengebäudes wurde
Presbyterium genannt, da er dem Aufenthalt der Priester diente
(S. 28). „Der Gernroder Chorraum hat keinen Abschluß, durch
den die Geistlichkeit von den Laien abgesondert wurde, weder
Schranke noch Lettner. Zwei Ambonen besitzt er, erhöhte Sprech-
plätze älterer Zeit für Priester, vom hohen Chor aus zu betreten,
Vorläufer der Kanzel." Im Mittelpunkt des Gotteshauses, in der
Vierung, bildete der Altar des heiligen Kreuzes zugleich den
Mittelpunkt des Gottesdienstes (S. 26 ff.). So ergab die Raumgliederung
und -gestaltung für den gläubigen Menschen der damaligen
Zeit, in dessen Bewußtsein die „Zweigcwaltenlehre"
fest verankert war, ein großartiges Abbild des „Leibes Christi"
(— der Christenheit)'. So legt die ehrwürdige Stiftskirche in
Wernrode beredtes Zeugnis ab von den Anschauungen, die die
Christen zur Zeit ihrer Errichtung und ihrer Erweiterung und
sonstigen baulichen Veränderung bewegten. Das Buch Paul
genrichs mit seinem ständigen Bemühend alle Einzelheiten des
v^ebaudes und seines Figurenschmucks aus den religiösen An-
Hefr^V C? dcT betreffenden Zeit zu erklären, aber auch das

Das a ,°dts über die Gernroder Stiftskirche in der Reihe
des Hen^ r^C Den,<rnal" mit 6einer eingehenden Würdigung
rirrn im '^".i9Fabes und seinen Erläuterungen über dessen Funk-

rht TX^ *en Spid Und in deT LitUr*ie Sind in dicser Hin'
^' 7 nre' hegend und aufschlußreich. Da sich beide Veröffentlichungen
auf gute Sach. und Literaturkenntnis stützen>

werden sie dem interessierten Kirchenbesucher als Führer. Weg-

fwu^. V,gl; hrT1^eJ.CkW£rth' A,fred: Das altchristliche und das
fruhmittelalterhche Kirchengebäude - ein Bild des „Gottesreich«", in:
Zeitschrift für Kirchengeschichte. Bd. 69, Heft 1/2, Stuttgart 1956.

S. 26—78.

weiser und Wegbereiter des Verständnisses stets sehr willkommen
sein.

Cuxhaven Alfred Weckwerth

Borger, Hans: Zur Erneuerung der Kirche Divi Blasii in Mühlhausen/
Thüringen.

Kunst und Kirche XXII, 1959 S. 170-175.
Kretzschmar, Georg: Liturgie und Kirchenbau in der frühen
Christenheit.

Kunst und Kirche XXII, 1959 S. 162—169.
Messerer, W.: Zur byzantinischen Frage in der ottonischen Kunst.

Byzantinische Zeitschrift 52, 1959 S. 32—60.
Nierhaus, Rolf: Die römische Tonlampe mit Fischdarstellung von

Heidenheim — kein Zeugnis frühen Christentums bei den Alamannen.

Fundberichte aus Schwaben, N. F. 15, 1959 S. 65—73.
Ridderstedt, Lars: Kirchenbau in Schweden.

Kunst und Kirche XXII, 1959 S. 147—153.
Xyngopulos, A.: Nouveaux temoignages de l'activite des peinttes

macedoniens au Mont Athos.

Byzantinische Zeitschrift 52, 1959 S. 61—67.
Zimmermann, Otto Ludwig: Über die Gestaltung von Orgel-

prospekten.

Kunst und Kirche XXII, 1959 S. 176—183.

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

Say ers, Dorothy L.: Das größte Drama aller Zeiten. Aus dem Englischen
übersetzt und mit einem Geleitwort von Karl Barth. Zolli-^-
kon: Evangelischer Verlag [1959). 33 S. kl. 8°. DM 2.90.

Wenn im Folgenden auf den Sonderdrude eines Aufsatzes
von zwanzig Seiten eingegangen wird, so deswegen, weil sowohl
die Verfasserin wie ihr schriftstellerisches Wirken Aufmerksamkeit
gerade auch von theologischer Seite verdient. Aus einem
anglikanischen Pfarrhaus in Oxford stammend, war sie dort nach
dem Studium moderner Sprachen als eine der ersten Frauen und
mit der besten Note zum magister artis promoviert, dann als Lehrerin
und später Büroangestellte in einer Londoner Reklame-
Agentur tätig. Als erste Veröffentlichung gab sie 1916, dreiundzwanzig
Jahre alt, einen Band religiöser Gedichte heraus, dem
dann, von 1926 an, im besten Englisch geschrieben, eine Reihe
von zwanzig „ebenso spannender wie kultivierter wie nachdenklicher
Kriminalromane" (Karl Barth) folgten, die diese literarische
Gattung zur künstlerischen Form erhoben und ihre Autorin in
der ganzen Welt berühmt machten. Eine innere Wandlung führte
sie dann zur Frage nach der christlichen Existenz des Menschen
bzw. nach seiner Erlösung. Zur Überraschung ihrer bisherigen
Leser erschienen von Mitte der dreißiger Jahre an Dichtungen und
Aufsätze christlichen Inhalts, wohlfundiert durch größere historische
Studien und auch spekulative Erwägungen: ein Faust-Drama
wurde 1939 mit großem Erfolg aufgeführt; während des letzten
Krieges schrieb sie für den Londoner Rundfunk die dramatische
Szenenfolge des Lebens Jesu „Zum König geboren", die in der
ganzen englischsprechenden Welt und später, in alle Kultursprachen
übersetzt, stärkstes Aufsehen, aber auch erbitterten
Widerspruch seitens konservativer, bigotter kirchlicher Kreise
erweckte und zum viel nachgeahmten Vorbild geistlicher Hörspiele
wurde. In ihren letzten Lebensjahren wandte sie sich dem
Studium Dantes und der Übersetzung der Göttlichen Komödie ins
Englische zu, die sie bei ihiem Tode 1957 unvollendet hinterließ.

Unser Aufsatz aus dem Jahre 1938 erregte die Aufmerksamkeit
Karl Barths, der ihn schon damals übersetzte, aber ihn erst
jetzt mit einigen einführenden Bemerkungen veröffentlichte, weil
er sich lebhaft gcren das Gerücht von der Langweiligkeit des
Dogmas richtete. Wir können, von einigen Bedenken gegen
manche befremdenden Formulierungen abgesehen, Karl Barth nur
zustimmen, wenn er der Verfasserin mit herzlichen Worten dankt
dafür, daß sie die Aussagen des Evangeliums als „der guten
Neuigkeit" mit ihrem zentralen Gehalt „weltoffen, aber unerschrocken
und ohne alles apologetische Geruchlein schlagfertig,
vor allem aber freudig und zur Freude anregend wiedergegeben
hat". Im Lande von Luthers Reformation wird man wohl kritischer
als Barth Erasmischen Gedankengängen bei der Sayers