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Ausgabe:

1960 Nr. 2

Spalte:

117-119

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wolf, Hans-Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Einheit des Bundes 1960

Rezensent:

Krusche, Werner

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 2

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Luther von Jettcr nicht gelegentlich etwa6 überinterpretiert woi*
den sind im Interesse einer sehr frühen Ursprünglichkeit des
theologischen Bemühens Luthers. Was Jetter beim Sententiar
Luther als Aufbruch eines neuen Sünden- und Gnadendenkens
von nominalistischen Ansatzpunkten aus beurteilt, kann durchaus
auch noch als nominalistisch interpretiert werden. Dadurch
wird aber in keiner Wei6e das bedeutsame, auf eingehenden
Quellenstudien beruhende Gesamtergebnis eingeschränkt. Angemerkt
6ei noch, daß ausführliche Namens- und Sachregister die
wissenschaftliche Benutzung der Arbeit Jetters erleichtern.

Eisenach Karl B r i n k e 1

Wolf, Hans Heinrich: Die Einheit des Bundes. Das Verhältnis von
Altem und Neuem Testament bei Calvin. Neukirchen: Verlag der
Buchhandlung des Erziehungsvereins 1958. 171 S. 8° = Beiträge z.
Geschichte u. Lehre d. Reformierten Kirche, hrsg. v. P. Jacob, W. Kreck,
G. W. Locher, O. Weber. Bd. 10. Kart. DM 10.50; Lw. DM 12.50.

Der Verf. — jetzt Direktor des Ökumenischen Institutes in
Bosscy — gesteht, daß er sich zu diesem unveränderten Neudruck
seiner 1940 nur in geringer Auflage erschienenen Dissertation
kaum von sich aus entschlossen hätte. Um es gleich vorweg zu
6agen: O. Weber und E. Wolf taten gut daran, den Verf. zu
diesem Neudruck zu ermuntern: auch wenn inzwischen neuere
Arbeiten erschienen sind (etwa: O. Castren, Die Bibeldeutung
C.s, Helsinki: Acad. scient. Fennica 1946; H. Noltensmeier,
Reformator. Einheit. Das Schriftverständnis bei Luther und C,
Graz 1953; G. Räcke, Gesetz u. Evg. bei C, Diss. Mainz 1953),
so ist W.s Buch doch in keiner Weise überholt. — Da der Verf.
bekennt, daß er gegenüber dem Ergebnis seiner Darlegungen
heute sehr viel kritischer sei, als er es z. Zt. des Entstehens seiner
Arbeit war, wird die Rezension ihn nicht bei seiner in dieser
Untersuchung deutlich wahrzunehmenden Bejahung von C.s
Grundkonzeption behaften dürfen.

Diese Grundkonzeption ist in den Überschriften der beiden
ereten Kapitel — „Die Einheit des Bundes"; „Die unterschiedliche
Verwirklichung des einen Bundes" — auf eine treffende
Formel gebracht; im 3. Kapitel wird dann die aus dieser Grundkonzeption
sich ergebende „praktische Schriftauslegung" untersucht
.

Es ist das Pathos dieses Buches zu zeigen: C. kennt nur
einen Bund, ohne daß deswegen das Christusgeschehen etwa
nivelliert und zu einem geschichtslosen Prinzip gemacht würde
(die Frage, ob dies faktisch nicht doch geschieht, ob das ntl. vvv
nicht um seine volle Geltung gebracht ist, wird man freilich auch
nach der Lektüre dieses Buches nicht so ganz los). „Alter" und
„Neuer" Bund bilden nicht nur eine Einheit, sondern sind ein
und derselbe. Verschieden ist nur der Modus seiner Verwirklichung
in der Geschichte. Hinsichtlich der res, der substantia aber
ist es ein Bund, nämlich der mit Abraham geschlossene. Die
die Identität des Bundes in seinen verschiedenen Erscheinungsformen
ausmachende res ist die gratuita adoptio und damit
Christus selbst (S. 23 f.). Ist aber Christus bereits fundamentum
des Bundes mit Abraham, so ist „dieser Bund schlechterdings
nicht mehr durch einen anderen zu überbieten" (S. 27). Der Jr 31
verheißene Neue [Wind ist dann „neu" nur hinsichtlich des modus
administrationis. Durch das Kommen Christi wird der mit
Abraham geschlossene Bund nicht aufgehoben oder überboten,
sondern in Kraft gesetzt und als in Christus gegründet ausgewiesen
. Das Werk Christi ist, ehe es geschieht, schon im „Alten
Bund real gegenwärtig und wirksam. — C. lehrt, daß „alle
ommen im Bereich des AT bereits mit Christus gestorben sind
und mit ihm leben" (S. 30) -, eben weil der Bund von vorn-
erein i m Christusgeschehen geschlossen ist (nicht nur: auf
das Chnstusgeschehen hin S. 37).

dt? Unt?recheidung von Gesetz und Evangelium ist damit
eine Unterscheidung innerhalb des einen Bundes. Der
Bund ist dem Oesetz vorgeordnet, das Gesetz also als B u n d e s-
gesetz und also als auf Christus bezogen zu verstehen. Als
Bundesgesetz kann das Gesetz dem Evangelium nicht konträr
sein (tertius usus als eigentlicher usus!). Ein Gegensatz besteht
nur zwischen dem „nackten", d. h. nicht mit dem foedus gratu-
itae adoptionis umkleideten, also von Christus und seinem Geist

getrennten und damit mißverstandenen, freilich notwendig
mißverstandenen Gesetz und dem Evangelium. „Die
Wirklichkeit des Bundes nimmt notwendig ihren Weg über die
nuda lex, die in den Tod führt" (S. 49 cf. 52). Das Evangelium
ist, insofern es die Flucht zu Christus, der vita legis, zur Vergebung
, beinhaltet, eine „gewaltige Überbietung" dieser lex per
se, die tötet, aber das Überbietende ist damit gerade nichts anderes
als Rückkehr zur Grundlage des Bundes.

Daß dies eine sehr geistvolle Interpretation C.s ist, steht außer
Frage. Kritisch zu fragen ist indessen, ob man von dem tötenden Gesetz
als von einem mißverstandenen reden soll. Nicht erst das
mißverstandene Gesetz, das die iustitia per opera comparanda lehren
würde, sondern auch das recht verstandene Gesetz, das lehrt, qualis sit
vera operum iustitia, ist tötend, insofern es nur eine Forderung aufrichtet
, ohne die Kraft zur Verwirklichung zu geben. Der bei C. anzutreffende
Gegensatz ist nicht der von Gesetz und Evg., sondern von
gramma und pneuma, wobei sowohl das Evg. wie das Gesetz als gramma
oder pneuma begegnen kann. Ob das Evg. als toter Buchstabe oder als
lebendigmachender Geist, als Geruch des Todes zum Tode oder als Geruch
des Lebens zum Leben, und ob das Gesetz als Verdammujjgsurteil
oder als helfende Mahnung, ob es im usus elenchticus oder im tertius
usus begegnet, darüber entscheidet der HI. Geist, der sich entweder
schenkt oder versagt.

Der Gedanke der Einheit des Bundes hat nicht nur Konsequenzen
für das Verhältnis von Gesetz und Evangelium, sondern
auch für das Verhältnis von „Verheißung und Erfüllung",
zwischen denen kein grundsätzlicher Unterschied besteht, insofern
sowohl die Menschen im Bereich des Gesetzes wie die im
Bereich des Evangeliums auf das zukünftige Reich Christi ausgerichtet
sind, „das für beide erhofft ist, als erhofftes aber bereits
gegenwärtig ist" (S. 60). Der Unterschied besteht lediglich in
der Art und Wei6e, in der das Reich Christi sich damals und
heute darstellt. Damit entfällt auch die Möglichkeit, von
einer „heilsgeschichtlichen Entwicklung" zu sprechen, sofern damit
das AT als Vorstufe der Offenbarung in Christus abgewertet
werden soll. Eine „Entwicklung" gibt es nur innerhalb des einen
Bundes im Sinne zunehmender Klarheit (S. 65).

Damit ist schon das angedeutet, was den Inhalt des 2. Kapitels
ausmacht: der eine Bund verwirklicht sich in unterschiedlicher
Weise. Hier kommt die Unterscheidung von Schatten und
Bild zum Tragen. Der Verf. untersucht die „besondere Form der
Offenbarung im AT", wobei namentlich das über die atl. Sakramente
Gesagte höchste Beachtung verdient (bes. S. 96 ff.).
Die entscheidende Funktion des Hl. Geistes ist erkannt, der die
earo Christi nondum creata in den „Alten" Bund hinein vergegenwärtigt
.

Im 3. Kapitel werden die hermeneutischen Konsequenzen
untersucht, die sich aus dem Gedanken der Einheit des Bundes
ergeben. Die Verklammerung des AT und NT durch den einen
auf Christus gegründeten Bund und die Notwendigkeit ihrer
Unterscheidung hinsichtlich des modus administrationis „macht
die allegorische Schriftauslegung für das AT zu der Form der
Exegese, die sachlich diesem Ansatz entspricht, da der scopus
des AT im Schatten verhüllt zu finden ist" (S. 131), wobei die
allegorische Auslegung die Aufgabe hat, „die vielfachen Signa
gemäß dem sensus literalis verständlich zu machen von der res
signata her" (S. 128). Vom Gedanken der Einheit des Bundes
her ergibt sich ferner, daß AT und NT sich wechselseitig interpretieren
: das AT wird nur im Lichte des Neuen und das NT
wird nur auf dem Untergrund des Alten richtig verstanden.
Verf. bemerkt dabei kritisch, daß C. oft zu schnellen Harmonisierungen
zwischen AT und NT kommt und daß er - trotz seines
Wissens um die Besonderheit der atl. Geschichte - diese in
seiner praktischen Auslegung faktisch in lauter particularia
exempla für uns auflöst, indem er die Einmaligkeit dieser Geschichte
übersieht - eine falsche Konsequenz des Gedankens der
Einheit des Bundes.

Verf. faßt sein Ergebnis zusammen, indem er die praktische
Bedeutung der Einheit des Bundes für die von C. geübte Schriftauslegung
darin bestehen sieht, „daß nun das Wort Gotte6, das
von der Geschichte des erwählten Volkes handelt, als Zeugnis
von dem Fundament des Bundes auch für die nach Christus
lebenden Leser und Hörer verbindlich ist. Ein grundsätzlicher
Unterschied zur Geltung des Wortes Christi und seiner Apostel