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Ausgabe:

1960

Spalte:

115-117

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Jetter, Werner

Titel/Untertitel:

Die Taufe beim jungen Luther 1960

Rezensent:

Brinkel, Karl

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Wie oben bereits gesagt, gehört die Arbeit, an die der Verfasser
viel Mühe und Sorgfalt gewandt hat, nicht nur in den Rahmen
der territorialen Kirchengeschichte, sondern wird darüber hinaus
besonders von Bucer-Forschern beachtet werden müssen.

Münster/Westf. Robert Stupperieh

V

Jetter, Werner: Die Taufe beim jungen Luther. Eine Untersuchung
über das Werden der reformatorisdien Sakraments- und Taufanschauung
. Tübingen: Mohr 1954. X, 372 S. gr. 8° = Beiträge zur hist.
Theologie, hrsg. v. G. Ebeling. 18. DM 38.20.

Lange Zeit wurde in der Lutherforschung die Auffassung
vertreten, daß für den „vorreformatorischen" Luther das Sakrament
ohne Belang gewesen sei und daß die wenigen Äußerungen
Luthers in seiner vorreformatorischen PeTiode von einer neuen
Sakramentsanschauung nichts verraten. Daher ist die Sakramentsanschauung
Luthers in seinem frühen Schrifttum bisher ziemlich
unerörtert geblieben. E. Vogelsang hat dann freilich darauf auf merksam
gemacht, wie sehr sich in Luthers Hebräerbriefvorlesung
bereits entscheidende Erkenntnisse seiner reformatorischen Sakramentslehre
kundtun.

Auffallend ist freilich, daß Luther nach seinem reformatorischen
Hervortreten seine neue Sakramentslehre in verhältnismäßig
kurzer Zeit breit zu entfalten vermag. Jetter weist nun
nach — um das bedeutsame Ergebnis 6einer Arbeit vorwegzunehmen
—, daß Luther die breite Entfaltung seiner Sakramentslehre
sehr bald nach seinem reformatorischen Auftreten nur möglich
war, weil die entscheidenden Grundlagen seiner Sakramentslehre
schon vorher von ihm bereitgestellt waren. Mindestens von der
ersten Psalmenvorlesung an sind die wesentlichen Stücke seiner
neuen Sakramentslehre da. Diese haben sich im Verlauf seiner
weiteren theologischen Arbeit vertieft und geklärt, und in der
Hebräervorlesung präsentieren sie 6ich zum erstenmal in direkter
theologischer Aussage. Es ist das Werden der lutherischen Tauflehre
, an dem Jetter vornehmlich diesen Nachweis führt, ist doch
die Lehre von der Taufe schon immer das ,,Leitfossil" der
Sakramentslehre gewesen.

Jetter muß zwar zugeben, daß das Sakrament und die Taufe
in der Predigt und Lehrtätigkeit des werdenden Reformators eine
geringe Rolle spielte, was um so auffälliger ist, als ja das Sakrament
das Zentrum mittelalterlicher kirchlicher Praxis war. Jetter
sieht diese Zurückhaltung Luthers — unseres Erachtens zutreffend —
nicht in theologischen und geistigen Strömungen seiner Zeit begründet
, sondern in Luthers Mönchtum und damit zusammenhängend
im existenziellen Charakter seines theologischen Bemü hens
. Trotz dieses geringen Gewichts, das das Sakrament in der
Aussage des werdenden Reformators hat, werden dennoch in dieser
Zeit im Zusammenhang seiner gesamten theologischen Entwicklung
von Luther die entscheidenden Grundlagen einer neuen
Sakramentsanschauung gewonnen.

Der Darstellung dieses Werdens der Tauf- und Sakraments •
anschauung Luthers hat Jetter eine ausführliche, auf eingehenden
Quellenstudien beruhende Darstellung vorlutherischer typischer
Tauflehren von Augustin angefangen über Hugo von St. Viktor,
das Decretum Gratiani. Petrus Lombardus, Thomas von Aquino
bis hin zu Gabriel Biel vorangestellt, um dadurch in den Aussagen
des werdenden Reformators über Sakrament und Taufe die traditionellen
und die ursprünglichen Gedanken recht unterscheiden
zu können.

Nach Jetter ist der Ansatz für Luthers neue Tauflehre gegeben
einmal in seinen neuen hermeneutischen Erkenntnissen,
zum anderen in seinem neuen Verständnis vom menschlichen
Sündersein und von der göttlichen Gnade. In einem besonderen
Exkurs über „Die Geschichte Christi als Exemplar und Sakrament"
zeigt Jetter, wie der junge Luther in seiner Bibelauslegung die
alten augustinischen Formeln von der Bedeutung des Todes
Christi „exemplar" und „sacrament" je länger je mehr so gebraucht
hat, daß er den Christus als „exemplar" dem Christus als
..sacramentum" nachgeordnet hat. Dabei hat er alsbald unter
Christus als „sacramentum" nicht mehr „die geistliche Selbst-
vergegenwärtigung des Christusgeschehens via significationis"
verstanden, sondern „die zugleich zeichenhaft bedeutsame wie
geistlich wirksame Art, in der sich das geschichtlich im Wort begegnende
Heilsgeschehen von Tod und Auferstehung Christi In
der menschlichen Existenz gegenwärtig im Glauben verwirklicht"
(147). Das Exemplarische des Christusgeschehens aber erfüllt sich
ihm in leiblicher Weise erst am Ende der Tage an uns. Luthers
Hermeneutik, deren existenziellen Charakter Jetter im Anschluß
an Ebeling betont, wurde so zur Gnadenmittellehre, wobei das
„Wort" für Luther das Gnadenmittel schlechthin geworden ist -
ein nach JetteT nicht restlos zu klärendes Urdatum seines theologischen
Bemühens, das in Luthers ursprünglicher Erfahrung gründet
(192). Die Tauflehre konnte von Luther daher nur so gestaltet
werden, daß das Sakrament diesem seinem Verständnis vom
Wort und damit zusammenhängend auch vom Glauben eingeord -
net blieb. Die in Luthers Tauf lehre immer wieder betonte signi
ficatio sacramenti ist aus diesem Zusammenhang zu verstehen.

Ein neues Verständnis vom menschlichen Sündersein und
von der göttlichen Gnade sieht Jetter bereits bei Luther in seinen
Randbemerkungen zu den Sentenzen des Lombarden 6ich anbahnen
. In der ersten Psalmenvorlesung, vornehmlich in ihrem zwei •
ten Teil, ist dasselbe dann 6chon viel klarer ausgesprochen. Erbsünde
ist für Luther die den Menschen bestimmende Sünde, mit
der er es immer zu tun hat. Und Gottes Gnade ist nicht etwas,
was den Menschen in 6ich selber „rein" macht, sondern wa6 den
Menschen unter die gnädige promissio dei stellt. Er lebt in dieser
Gnade nur, insofern er der göttlichen promissio glaubend inne
wird und also aufs Wort und nicht auf sich selbst setzt. So ist der
Mensch in der Gnade der ständig vom alten zum neuen Menschen
Übergehende.

Diese hermeneutischen und theologischen Erkenntnisse wirkten
6ich nun beim jungen Luther auch in seinen Äußerungen über
das Sakrament und insbesondere über die Taufe aus, und das bereits
beim Collector Psalterii, wenn auch die entsprechenden
Äußerungen damals noch nicht ganz einheitlich waren. Dennoch
tragen sie nach Jetter schon bereits in der Psalmenvorle6ung mehr
den Charakter des Ursprünglichen als des Traditionellen. Die
entscheidenden Erkenntnisse sind folgende: Das Verständnis der
Taufe wird von Luther seinem Verständnis von Wort und Glaube
eingeordnet. Bei der Gabe der Taufe geht es um das Ganze der
Gnade an den Menschen. So deutet sich bereits in der ersten
Psalmenvorlesung der spätere Kerngedanke der lutherischen Tauflehre
an, die die Taufe nicht mehr in erster Linie nach Akt und
Wirkung versteht, sondern sie ganz in den Taufgebrauch stellt.

In der Periode der Römer-, Galater-, Hebräervorlesung hat
Luther die Ansätze dieses 6eines neuen Tauf- und Sakramentsverständnisses
vertieft. Die immer klarere Erfassung des sola fide
hat ihn schließlich alle traditionellen Elemente seiner Tauf-
ansdiauung immer mehr abschleifen lassen. Dementsprechend
betont Luther in dieser Zeit zunehmend, daß die Taufe ein
eschatologisches Geschehen ist, da6 den Getauften in einen neuen
Stand versetzt, der im Glauben, d. i. im Tauf gebrauch des Getauften
Wirklichkeit wird. Der Zusammenhang von Taufe und
Glaube ist so zur entscheidenden Kategorie von Luthers Taufanschauung
geworden. Daher betont Luther schon in dieser Zeit
audi immer wieder die Einmaligkeit der Taufe.

Auf das Ganze der Entwicklung der Taufanschauung des
werdenden Reformators gesehen ergibt sich also, daß trotz der
spärlichen Äußerungen Luthers über Taufe und Sakrament in
dieser Zeit sein neues Tauf- und Sakramentsverständnis bei seinem
reformatorisdien Hervortreten so weit geklärt ist, daß „er
seine neue Sakramentslehre nicht eigentlich noch weiter zu entwickeln
, sondern nurmehr zu entfalten und gegen die römische,
humanistische und schwärmerische Front zu bewähren braucht"
(309).

Die Arbeit Jetters, die in der vorliegenden Form eine vor
allem in der Darstellung der Sakramentslehre Augustins und der
Scholastik verkürzte Wiedergabe seiner 1951 fertiggestellten
Dissertation „Studien zur Geschichte der Tauflehre von Augustin
bis zum jungen Luther" (Selbstanzeige in ThLZ 1952, 79. Jg.,
52 f.) ist, bedeutet einen beachtlichen Beitrag zur Erforschung der
Initia Lutherii. Dabei wird im besonderen für Luthers Sakramentslehre
gezeigt, daß es keinen, jedenfalls keinen grundsätzlichen
Unterschied zwischen dem „jungen" und dem „alten" Luther gibt.
Im einzelnen kann man fragen, ob die Aussagen des frühen