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Ausgabe:

1960 Nr. 2

Spalte:

109-111

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Nouveau Testament 1960

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 2

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zur Feindcsliebe wird nur gelegentlich und zaghaft beschritten
usw. Immerhin bringen beide Verfasser mancherlei zur Geschichte
der Nächstenliebe. Und doch: wie dürftig ist das, was
z.B. über Jesus und das höchste Gebot gesagt wird (Mk 12, 28 ff.)!
Offenbar fühlten sich die beiden Verf. durch den Wortlaut des
gestellten Themas gehemmt. Ich darf aber auf Grund eigener Erfahrung
in deT Friedensarbeit sagen: man erreicht, wenn man
vom Begriff der Liebe ausgeht, viel eher die letzte Tiefe, als wenn
man sich an das vieldeutige Wort „Frieden" hält.

Aus dieser Erfahrung heraus darf ich noch eine weitere Bemerkung
anknüpfen. Bietenhard weist mit Recht darauf hin, daß
zwischen Krieg und Mammon enge Verbindungen bestehen. Diese
Wahrheit bedarf eingehender Erörterung. Dabei werden Tatbestände
, die Jesus wahrscheinlich kannte, wertvolle Hilfe leisten
(1. Makk. 3,41; 2. Makk. 8, 10 f. und 25).

Zu den letzten grundsätzlichen Fragen stößt das vorliegende
Buch, wie angedeutet, nicht recht vor. Das hat freilich
auch noch andere Gründe. Die religionslose Sittlichkeit wird
unterschätzt. Gewiß wird der Christ der Meinung sein, daß in
dieser Erdenwelt die Sünde nicht aufhört. Aber es gibt grobe
Formen der Lieblosigkeit, die eingedämmt und weithin überwunden
sind, z. B. die Sklaverei, die Unterschätzung der Frau, der
Rassenhaß. Bei der Erreichung dieser Ziele hat das Christentum,
leider, nicht immer mitgeholfen. Wir halten den Glauben an
einen ewigen Frieden nicht für utopisch, und wir freuen uns,
hier mit einer religionslosen Ethik Hand in Hand zu gehen.

Daß dennoch das Christentum auf diesem Gebiete von jeher
mit besonderer Kraft arbeitet, sehen wir aus der frühen Kirchen-
geschächte, die unsere Verfasser leider nicht berücksichtigen.
Wir kennen Kirchengebete, die um Frieden bitten, z. B. aus dem
ersten Klemensbriefe und aus Tertullians Apologeticum. Das
Gebet in Apuleius' Verwandlungen XI 17 versagt hier usw.

Ahrenshoop Johannes Leip ol dt

R obe it, A., et A. F c u i 11 e t : Introduction ä la Bible. II: Nouveau
Testament. Tournai (Belgien): Desclee & Cie. 1959. XIII, 939 S. 8°.

Wie die meisten herkömmlichen „Einleitungen", ist auch
diese vor allem zur Unterstützung theologischer Vorlesungen gedacht
, beansprucht sie, eine „kritische Einleitung" zu sein, die
„vernünftige Lösungen" bietet und sich auf überlieferte Tatbestände
stützt, macht aber auch das Recht geltend, mancherlei
Hypothesen und LInsicherheiten zu enthalten [V]. Daß sie zugleich
„im Geiste der katholischen Lehre" redigiert sein will [V], hat
sie jedenfalls auch mit anderen „Einleitungen" gemein.

Eine Besonderheit der vorliegenden Einleitung ist darin gegeben
, daß sie ein Sammelwerk darstellt, zu dem die Mitarbeiter
— meist Träger wohlbekannter Namen — Beiträge aus ihren engeren
Fachgebieten liefern, ohne daß die Spezialisierung zu weit
getrieben ist. So werden die mit den Synoptikern zusammenhängenden
Probleme sinnvoll von nur einem Bearbeiter behandelt,
X. Lcon-Dufour [143- 334]; die Ag. ist allerdings vom Luk.-Ev.
insofern gelöst, als über sie L. Cerfaux schreibt. Aus dem johanne-
ischen Schriftenkreis sind Evangelien und Briefe A. Feuillet anvertraut
, die Apc. M. E. Boismard. Die übrigen katholischen Briefe
bearbeitet J. Cantinat, während sich in da6 Corpus Paulinum
L. Cerfaux (GaL, Gefangenschaftsbriefe, Past.; auch ein Abschnitt
über die Persönlichkeit des Paulus rührt von ihm her) und
I. Cambier (Leben und Werk des Paulus, die übrigen Paulinen
und Hebr.) teilen. Man kann sagen, daß diese Aufteilung der
Aufgaben auf verschiedene Hände nach Spezialgebieten dem Werk
daß in"8 2ngute kommt. Man hat auch keineswegs den Eindruck,
V fiiVj. r*funrDarkeit in erster Linie in der gemeinsamen
katholischen Basis der Mitarbeiter begründet ist. So ermuntert
das Werk zu einem entsprechenden Versuch auf evangelischer
Seite (vgl. schon Jülicher-Fascher7, 1931).

Der Behandlung des Stoffes der „Einleitung" im engeren Sinne
vorangestellt ist eine Schilderung der hellenistisch-römischen [7-29] und
der jüdischen [31-105] Umwelt von A. Tricot; nur die Fragen zu Qum-
ran (auf die «pSterspeziell zu den johanneisAen Schriften eingegangen
wird) behandelt hier und in der folgenden Skizze über die jüdische
Literatur J Carmignac; im übrigen ist die letzte von C. Bigare, J. Trin-
quet und A. Michel geschneben [ 107-141]. In einem entsprechenden

Anhang, über dem die Namen J. Bonsirven und C. Bigare stehen, ist kurz
von den Apokryphen zum Neuen Testament die Rede [743—762]. Außer
Betracht bleiben ebenso die Geschichte des Kanons als ganze (erörtert
wird nur die Kanonizität bestimmter Schriften) wie die des Textes des
Neuen Testaments (abgesehen von der Besprechung von Einzelfragen wie
der des Textes der Ag. oder des Comma Johanneum). Dagegen schließt
das Werk mit einer Erörterung wichtigerer inhaltlicher Themen des
Neuen Testaments im Lichte des Alten [763—918]; hier schreibt
S. Lyonnet über die Paulinische Soteriologie, A. Feuillet über die Gottesherrschaft
und die Person Jesu nach den Synoptikern, über Glaube und
Leben der Urgemeinde nach Ag. und über Inkarnation und Erlösung in
den johanneischen Schriften. Doch wird auch innerhalb der vier Hauptteile
des Werkes jeweils auf die theologischen Besonderheiten der einzelnen
Schriften eingegangen. Außerdem wird gelegentlich eine bestimmte
für die kirchliche Lehre wichtige Einzelfrage erörtert (so wird
576 festgestellt: nichts hindert, Jak. 5, 14 f. von der letzten Ölung zu
verstehen; aber die bloße Exegese genügt nicht, um hier die Ankündigung
eines Sakraments zu entdecken).

In die speziellen Probleme der sog. Einleitung wird der Leser
im Rahmen der im vorliegenden Werk gegebenen Möglichkeit n
eingeführt. Die Argumente der Kritik werden z. T. ziemlich ausführlich
referiert und in bestimmtem Umfang anerkannt, bis hin
zu der Einsicht in die Unechtheit des 2. Petr. (auch Hebr. stamme
nicht von Paulus selbst). Daß eine Entscheidung nicht immer
ausgesprochen wird oder doch nur mit Zurückhaltung, soll wohl
auch damit begründet werden, daß die Verf. dem Urteil des Dozenten
nicht vorgreifen wollen [V]. So wird es angesichts der bedeutenden
Unterschiede zwischen Apc. und Joh.-Ev. in Vokabular
, Stil und besonders Theologie (zumal in der Eschatologie) zur
Wahl gestellt, ob man Apc. oder Joh.-Ev. von einem Schüler des
Zebedaiden redigiert sein lassen wolle [740 f.].

Das ist zumindest eine erhebliche Erweichung des Entscheides
der päpstlichen Bibelkommission vom 29. Mai 1907, nach dem
Verfasser des Joh.-Ev. „der Apostel Johannes und kein anderer"
lfit. Aber von diesem und allen Dekreten der Kommission erklärt
Feuillet, sie wollten „die Freiheit der Forschung nicht unterdrücken
" [617]; und entsprechend formuliert Leon-Dufour in
seiner Erörterung der Dekrete von 1911/12 zu den Synoptikern:
diese Entscheide beanspruchten nach ihm nicht, das letzte Wort
zu den Einzelfragen zu sagen [l 54 f.]. Der damit angedeutete
Wandel in der Auffassung ist vom gegenwärtigen katholischen
Standpunkt aus legitim, wie der Text von Divino afflante spiritu
und seine Auslegung etwa bei H. Haag zeigt. L6on-Dufour stellt
ferner fest, daß die Fragen der Verfasserschaft und der Datierung
nicht mehr so entscheidend sind für die Aufrechtcrhaltung der
Historizität der Evangelien [155]. Die Frage ihrer Autorisierung
durch die apostolische Verfasserschaft wird offenbar weniger wichtig
durch die Erkenntnis, daß vor den Synoptikern die mündliche
Tradition steht, die von der Gemeinde getragen ist [171. 191 f.].
Für das Matth.-Ev. legt sich von Papias her die Auskunft der Abfassung
einer aramäischen Grundlage durch den Apostel nahe
[190 f.]. Hier wie häufig anderswo wird freilich ein Widerspruch
zur altkirchlichen Tradition möglichst vermieden, wenn der Maßstab
aufgestellt wird, die Ergebnisse deT „inneren Kritik" brauchten
die Überlieferung nicht zu bestätigen — es genüge, wenn sie
'hr nicht widersprächen.

Eben zeigte sich an einem nicht unbedeutenden Punkt der
Einfluß der Formgeschichte auf das besprochene Werk; er greift
noch wesentlich weiter. Es wird nicht nur relativ ausführlich über
sie berichtet [296-304], sondern auch bei aller Kritik an ihren
..Exzessen" dankbar anerkannt, daß ihre Schöpfer ein präziseres
Instrument zur Bestimmung des literarischen Genus der einzelnen
Perikopen geschaffen und eine genauere Kenntnis ihres Sitzes im
Leben (milieux de vie) veranlaßt haben [305]. In welchem Umfang
von der Methode Gebrauch gemacht ist und bestimmte Ergebnisse
verwertet werden (on peut en garder de nombreuses ana-
lyses [306]), kann hier nicht im einzelnen gezeigt werden. Daß
die Evangelien keine Biographien [311], jedenfalls: keine reinen
Geschichtsbücher [328f.] sind, sondern auf den Glauben ausgerichtet
und von ihm bestimmt sind, wird nicht nur einmal betont.
Aus den Motiven des Überlieferns darf jedoch das geschichtliche
Interesse nicht ausgeschaltet werden [314]. So wird die Behandlung
der Synoptiker abgeschlossen durch ein Kap. „Die Evangelien
und die Geschichte". Hier wird neben einer bestimmten Auf-