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Ausgabe:

1960 Nr. 2

Spalte:

101-103

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Das Problem der Sprache in Theologie und Kirche 1960

Rezensent:

Uhsadel, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 2

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dritte Frage herangehen und aus den (vermuteten) Quellen und
aus dem (vermuteten) Beitrag des Evangelisten auf die Fakta
schließen, von denen die Quellen und der Evangelist reden. Daß
die politische Führung des jerusalemischen Judentums Jesus bei

den Römern denunziert hat und diese ihn daraufhin wegen angeblicher
aufrührerischer Betätigung hingerichtet haben, ist auch
heute noch das Wahrscheinliche. Aber nur um das zu sagen steht
das vierte Evangelium nicht im Kanon der Kirche.

ALLGEMEINES

Schneemelcher, Wilhelm [Hrsg.]: Das Problem der Sprache in
Theologie und Kirche. Referate vom Deutschen Evangelischen Theologentag
27.—31. Mai 1958 in Berlin. Berlin: Töpelmann 1959. VIII.
124 S. gr. 8°. Lw. DM 16.—.

Es wird nicht nur von den an der Teilnahme Verhinderten,
sondern auch von einem weiteren Interessentenkreise dankbar
begrüßt werden, daß die Referate des Theologentages 195 8 nunmehr
im Druck vorliegen; denn da6 Generalthema „Das Problem
der Sprache" geht heute nicht nur die Theologie an. Es sind alle
geistigen Lebensbereiche von ihm bewegt. Daher ist es von besonderem
Wert, daß auch ein Philosoph auf dem Theologentag
das Wort genommen hat. In seinem Referat „Die Sprache als Vermittler
von Mensch und Welt" geht K. L ö w i t h von der Problematik
des Begriffes „Wort Gottes" aus. Die gebräuchlich gewordene
Rede vom Anspruch des Wortes Gottes bleibe unfruchtbar
, solange nicht versucht werde, die besondere Sprache
christlicher Verkündigung und Theologie in ihren prinzipiellen
Zusammenhang mit der allgemein menschlichen Sprach- und
Denkfähigkeit zu stellen. Leider fehlte in der Reihe der Referate
die Stimme des Dogmatikers, der (etwa im Sinne der Tillich-
schen Forderung einer neuen theologischen Semantik) auf die berechtigten
Erwartungen Löwiths hätte eingehen können. So bleiben
denn Löwiths Ausführungen über die Aufteilung der Sprache
in Worte für einzelne Dinge, über die Sprache als Weltansicht
(Humboldt) und den metaphorischen Charakter der Sprache im
Rahmen des Buches isoliert stehen. Aber auch die theologischen
Beiträge scheinen nicht durch viel mehr miteinander verbunden
zu sein, als daß sie eben theologische sind. Methodisch und
stilistisch unterscheiden sie sich stark. Inhaltlich wird wenigstens
an den Stellen so etwas wie eine durchgehende Linie sichtbar,
wo die Verfasser das Problem der Sprache auf das des „Namens"
einschränken, sei es des Namens Gottes, sei es der Namengebung
der Dinge durch den Menschen. Zweifellos hat diese Spiegelung
verschiedenartiger theologischer Standorte ihren Reiz; was das
sachliche Ergebnis anlangt, ist sie dennoch zu bedauern. Dem
interessierten Laien wird es nicht leicht fallen, aus dem Buche
eine einheitliche Aussage der evangelischen Theologie zum Problem
der Sprache zu entnehmen.

Natürlich hängt dieser Mangel mit dem Zustandekommen
des Buches zusammen. Die aufzuwerfende Frage wäre also an den
Theologentag weiterzugeben: Sollten die Referenten, wenn wieder
ein Gesamtthema auf dem Programm steht, nicht eine gemeinsame
Vorarbeit leisten, in der über die fachliche Abgrenzung
hinaus methodische Richtlinien festgelegt und sachliche Fragestellungen
herausgehoben werden?

Trotzdem wird man sagen dürfen, daß das Buch dem Leser
mehr bietet, als der Herausgeber in edler Bescheidenheit zu erwarten
wagt. Es bringt dem Theologen nicht nur das wichtige
Problem der Sprache nahe, das er in seiner Arbeit zu bedenken
hat, sondern zeigt ihm in bisweilen erregender Weise, wie dringlich
es ist und wie differenziert es gesehen werden muß.
,. , hervorragender Weise veranschaulicht der alttestament-
uche Beitrag (W. Z i m m e r 1 i, Die Weisung des Alten Testamentes
zum Geschäft der Sprache) die Phänomene, die der Philosoph
Lowith in seinem Referat erörtert, indem Zimmerli bis in
konkrete tinzelheiten hinein die Sprache des Alten Testamentes
als Namengebung darstellt, das Problem der Vielgestalt der Sprachen
in alttestamemlicher Sicht entfaltet, das „Königsgeschäft der
Ordnung und Durchheilung" nach Raum und Zeit beschreibt und
die Beziehungen der Sprachgestalt zum Glaubensleben mit einer
Fülle von Beispielen belegt. Wenn diese Begegnung nicht verabredet
war, durfte sie um so bemerkenswerter sein. Vielleicht
hangt sie damit zusammen, daß beide Autoren sich mit den Arbeiten
Herders und Humboldts auseinandersetzen. Ganz anders
der neutestamentliche Beitrag. E. F u c h s, (Die Sprache im Neuen
Testament) beschränkt sich bewußt auf das Neue Testament als
sprachliches Dokument. Indem er seine These „Durch das Reich
Gottes kam das Neue Testament" entfaltet, bietet er im wesentlichen
eine neutestamentliche Theologie in nuce. Es geht ihm
weniger um die Problematik der Sprache, als um das, wovon das
Neue Testament spricht: „Gott ist uns nirgends näher als im
Wort. Deshalb werden wir ihm am nächsten sein, sobald alles
nur auf das Wort ankommt. Davon spricht das Neue Testament"
— so lauten die bezeichnenden Schlußworte des Referates. Eine
Anmerkung, die sich auf die Diskussion bezieht, legt die Vermutung
nahe, daß die Unbestimmtheit des hier verwandten Begriffes
„Wort" im Verhältnis zu „Sprache" diskutiert und gefragt
worden ist, in welchem Verhältnis die Sprache des Neuen Testamentes
zur alltäglichen Umgangssprache zu sehen ist und welcher
Bedeutungswandel mit Wörtern der alltäglichen und religiösen
Sprache vor sich gehen mußte in dem Augenblick, indem sie im
Neuen Testament gebraucht wurden. In diese Richtung müßten
jedenfalls die weiteren Fragen gehen. W. Schneemelcher
stellt 6ich ihnen im Blick auf die Alte Kirche (Das Problem der
Sprache in der Alten Kirche), indem er fragt: „Was bedeutet die
Sprache und vor allem der Übergang von einem Sprachgebiet in
ein anderes für den Ablauf der Kirchengeschichte?" Seine Antwort
lautet: „Der Übergang der christlichen Verkündigung von
einem Sprachgebiet in ein anderes bedeutet mehr als eine formale
Veränderung. Er bringt eine einschneidende Wandlung des Verkündigungsinhaltes
mit sich, so daß dadurch die Einheit der Kirche
in der Welt in Frage gestellt ist." Die zahlreichen Beispiele, durch
die Schneemelcher diese These erläutert, können hier leider nicht
wiedergegeben werden.

E. K ä h 1 e r geht in seinem Referat „Der Niederschlag
kirchengeschichtlicher Bewegungen in der deutschen Sprache" von
der Feststellung aus, daß Begriffe einen Zwang ausüben können,
der das Denken in bestimmter Richtung weiterdrängt, so daß also
die Sprache zu zwangsläufigen Entscheidungen führt, deren Ver-
antwortbarkeit geprüft werden müsse. Nicht nur die großen Präger
der Überlieferung, sondern auch der „Konsument", der Auswählende
und Weiterreichende hat an der sprachlichen Formung,
Auslese oder Abwandlung der Überlieferung teil. Von hier aus
betrachtet Kähler die Zeit der Bekehrung der Germanen, die
Mystik, die Reformation und den Pietismus anhand einer Fülle
von Beispielen. Von besonderem Wert sind die germanistischen
Literaturhinweise.

Den Abschluß des Buches bilden zwei praktisch-theologische
Referate: A. D. M ü 11 e r, Das Problem der Sprache in der Praktischen
Theologie, und H. R. M ü 11 e r - S c h w e f e, Sprache
und Liturgie. A. D. Müller analysiert die Sprache der Gegenwart
zunächst unter einem sachlichen Aspekt, indem er ihre Strukturveränderungen
und ihren Ausdrucksgehalt darstellt und theologisch
interpretiert, um sodann unter einem methodischen Aspekt
zu fragen, welche Aufgaben sich daraus für die Theologie und die
kirchliche Praxis ergeben und welche Hilfen sich aufweisen lassen,
den Aufgaben gerecht zu werden. H. R. Müller-Schwefes Beitrag
ist weniger praktisch- als systematisch-theologisch und beschreibt
die Struktur der Sprache in bezug auf den Schöpfer, die Menschwerdung
des göttlichen Wortes und die liturgische Dimension
Post Christum, wobei er weitgreifend philosophische Sichtweieen
(Buber, Heidegger, Jaspers) in seine streng durchgeführte Systematik
kritisch einbezieht.

Es kann nicht ausbleiben, daß der Leser eines Buches über
das Problem der Sprache die Sprache des Buches selbst kritisch
betrachtet. Da ist nun zu sagen, daß das Buch sich im großen
ganzen vor einem Fachjargon, der von Nichttheologen als Geheimsprache
empfunden werden muß, hütet. Einem Buche, das aus
Referaten für Theologen entstanden ist, mag auch manche nur