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Ausgabe:

1960 Nr. 12

Spalte:

944-946

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Wiebering, Joachim

Titel/Untertitel:

Die Lehre von der Kirche bei Werner Elert. Eine Untersuchung zum Verständnis der Kirche im Luthertum des 20. Jahrhunderts 1960

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 12

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für die Pharisäer, die geistigen Väter der Rabbinen, gültige Glaubenslehre
geworden war, manches zu verspüren ist.

Der Beantwortung der ersten Frage, jedoch nur soweit es sich um
die theologischen Gründe des Nebeneinanderbestehens so verschiedener
Anschauungen über die göttliche Vorsehung handelt, dient der Hauptteil
der Arbeit (Kap. II, S. 41—120), der eine gedrängte Darstellung des
rabbinischen Vorsehungsglaubens bringt. Dabei zeigt sich, daß selbst
die letzten Konsequenzen, nämlich eine übermäßige Betonung der
Vorherbestimmung einerseits und eine starke Hervorhebung der
schicksalswendenden Kraft der menschlichen Werke andererseits, von
einzelnen Rabbinen radikal gezogen worden sind, und zwar sowohl in
Gedanken als auch in den hieraus sich ergebenden Handlungen. So
konnte der Glaube an die Macht der menschlichen Werke zu einem
Einbruch der Magie führen, und die Vorstellung wiederum, daß alles
unabänderlich von Gott vorherbestimmt sei, höhlte teilweise den
Vorsehungsglauben aus und bereitete dem Schicksalsglauben den Weg.
Die vermeintliche Inkonsequenz mancher Rabbinen erweist sich, aufs
Ganze gesehen, hierbei als zusammenfassende und erhaltende Glaubenskraft
, die allen auseinanderstrebenden Gedanken zum Trotz am Vorsehungsglauben
festhält.

Im dritten Teil der Arbeit (Kap. III, S. 121—153) wird untersucht,
wie es möglich war, daß sich im rabbinischen Judentum neben den
Vorsehungsglauben ein Schicksakglaube schieben konnte, der den
Vorsehungsglauben bedrohte und teilweise in Frage stellte.

Hier erweist sich der Einfluß der aus dem babylonischen Sternenglauben
und der stoischen Philosophie entstandenen hellenistischen
Astrologie als entscheidender Faktor. Die vom 2. vorchristlichen Jahrhundert
ab zu belegende jüdische Apologetik gegenüber der hellenistischen
Astrologie führte allmählich zu einer Übernahme der Grundanschauungen
des Gegners, bis man schließlich, vom Beginn des 2. nachchristlichen
Jahrhunderts ab, vielfach selbst mit der Bestimmung des
Schicksals durch die Sterne rechnete. Dieses anhand von schriftlichen
Quellen gewonnene Ergebnis wird durch den archäologischen Befund
bestätigt, wie an astrologischen Motiven der Synagogen von Dura-
Europos (3. Jhdt.), Naaran und Beth Alpha (5.-6. Jhdt.) nachgewiesen
wird.

Dem weiteren Vordringen des Sternenglaubens wurde durch den
Glauben an die Wirkung der frommen Werke — Buße, Gebet und
Wohltätigkeit —, durch den auch der Glaube an die Unwiderruflichkeit
der göttlichen Vorherbestimmung eingeschränkt wurde, grundlegend
Einhalt geboten.

Wichelhaus, Manfred: Kirchengeschichte und Soziologie bei
Ernst Troeltsch. Diss. Heidelberg 1958. 279 S.

Troeltsch begründet nicht eigentlich eine neue Methode in der
Kirchengeschichtsschreibung. Er führt vielmehr ein Forschungsinteresse
zum vorläufigen Abschluß, welches vereinzelt im 19. Jahrhundert Ausschnitte
der Kirchengeschichte unter soziologischen Fragestellungen behandelte
: Wie und warum bildet der christliche Glaube Gemeinschaften?
Wie und warum prägen diese Gemeinschaften die profane Umwelt? Wie
und warum bestimmen die Lebensweisen dieser Umwelt die Gemeinschaftsformen
und Institutionen des Glaubens?

Die Arbeit verfolgt zunächst die Abkehr von einer rein ideengeschichtlichen
Darstellungsweise bei kritischen Schülern Baurs.
Schleiermachers Lehre von der Kirche legte die Beachtung
soziologischer Motive in der Geschichte der Kirchen (zuerst des Reformationszeitalters
) nahe. Schneckenburger ei setzt die dialektische
Entwicklungsspekulation durch eine Psychologie des Heilsinteresses.
Wesentlich gemeinschaftsbildend und lediglich durch soziale und geistige
Wandlungen modifiziert, führt es zu jeweils typischen Gruppenbildungen.
Kirche und Sekte werden schon unsicher typisiert. Hundeshagen
sucht die Gründe für die Differenzierung des Heilsinteresses in der
sozialpolitischen Organisation der verschiedenen Räume, die erst rückwirkend
kirchlich geprägt werden. Er versucht, den Kirchentypus zu
definieren und die Askese als Lebensgesetz aller Sektentypen zu entlarven
. Den Anstoß zu solchen Fragestellungen gab G o e b e 1, der sich
indessen auf die Rechtfertigung des Sektentypus in der Kirchengeschichte
verlegte. R i t s c h 1 s Typisierungen verwischen die geschichtlichen
Eigenarten de6 Gemeindelebens, und sein kulturprotestantisches Pathos
läßt sich noch nicht vom urchristlichen Ekklesia- Begriff beunruhigen.
Diesen Begriff untersucht S o h m, der die Geschichte des Kirchenrechtes
als Geschichte eine6 durch soziologische Rücksichten motivierten kirchlichen
Verfalls darstellt.

In kritischer Auseinandersetzung mit den Geschichtstheorien des
Marxismus (Kautsky, Mehring) und Positivismus nehmen
B e z o 1 d und Weber deren soziologische Interessen in kirchengeschichtlich
bedeutsamen Arbeiten auf. Webers Typusbgriff erlaubte zudem
eine sorgfältigere Erfassung der Besonderungen historischer

Gruppengcbilde. In einer Diskussion unter führenden Kirchenhistorikern
um die Jahrhundertwende erhebt sich schließlich die Forderung nach
einer Säkularisierung der theologischen Methode der Kirchengcschichts-
schreibung.

Im zweiten Teil umreißt die Arbeit Troeltschs Gesamtentwurf der
Kirchengeschichte unter soziologischen Gesichtspunkten. Seiner christlichen
Gemeinschaftstypologie liegt eine Untersuchung der komplexen
Einheit von Jesu Evangelium und Urchristentum zu Grunde, die die
kirchlichen, sektenhaften und mystischen Gruppierungen anregt. Troeltsch
verwertete damit erstmals Ergebnisse der religionsgeschichtlich exegetischen
Schule als Konsequenzen für die Kirchengeschichtsschrcibung.
Die Arbeit analysiert die katholischen Kirchentypen (frühkatholischer,
reichskirchlicher, landeskirchlicher, karolingisdier, univcrsalkirchlicher
Typ) und als Gegenstücke die sektenhaften Typen (Mönchtum, wclt-
feindlich aggressive und weltindifferent passive Sekten) in ihrer durch
die profane Umwelt geprägten Eigenart und ihrer diese Umwelt prägenden
Rückwirkung. Die altprotcstantischen Kirchentypen des Luthertums
und des Calvinismus schließen sich an. Am Ende 6teht der aus seinen
Wurzeln (Neucalvinismus, protestantische Sekten, protestantische Mystik
) entwickelte Neuprotestantismus mit seinen gemeinsdiaftszersctzen-
den Kräften, die die Typen untereinander neutralisieren, aber für
Troeltsch die Hoffnung auf eine dauerhafte, im Urchristentum schon angedeutete
Typensynthese nicht ausschließen. Das kritische Referat konstatiert
immer wieder die Widersprüche, die Troeltsch zwischen seinen
historisch-soziologischen Untersuchungen zum eingangs beschriebenen
Fragenkreis und seinen daraus gefolgerten, pointiert formulierten Ergebnissen
offen läßt (bei Paulus, Luther und Calvin).

Wie der dritte Teil zeigt, bilden Troeltschs sozialphilosophische
Grundpositionen zum Person- und Religionsbegriff, die die monadische
Identität der Individuen mit Gott und untereinander behaupten, die
Determinanten seines Versuches, durch soziologische Erforschung der
kirchlichen Vergangenheit entwicklungsfähige gemeinschaftsbildende
Kräfte für die kirchliche Zukunft aufzuspüren. Denn Troeltsch versuchte
durch historische Wesensbestimmung zur gegenwärtigen Wcsensgestal-
tung des Christentums beizutragen. So erklärt sich sein Interesse für die
historischen Formen von Anpassung zwischen den Lebensformen und
Institutionen des Glaubens und den profanen Sozialstrukturen, wobei
er Anpassung nicht als Verzicht, sondern als die Behauptung der Lebensgesetzlichkeit
der Glaubensgemeinschaften in der sich ändernden Umwelt
verstand. Es zeigt sich, daß 6ich darüber sein Interesse vom Problem
der geschichtlichen Entwicklung auf das Problem der Pcriodisierung
der Geschichte (Ausgang der Antike, des Mittelalters) verlagerte. Die
Durchkreuzung seines Beitrags zur Überwindung individualistischer
Unkirchlichkeit durch seine eigene Sozialphilosophie macht sich als
empfindlicher Bruch in seinem Werk bemerkbar.

Abschließend vermittelt die Arbeit einen Eindruck von der Diskussion
und den Anstößen, die Troeltschs historische Arbeiten in der
Kirchengeschichtsschreibung auslösten.

Wiebering, Joachim: Die Lehre von der Kirche bei Werner Eiert.
Eine Untersuchung zum Verständnis der Kirche im Luthertum de«
20. Jahrhunderts. Diss. Rostock 19 59. 121 S.

Während eine Reihe von Arbeiten über die Lehre von der Kirche
bei verschiedenen lutherischen Theologen des 19. Jahrhunderts vorliegt
, fehlen ähnliche Untersuchungen für die herausragenden lutherischen
Theologen des 20. Jahrhunderts. Die angezeigte Dissertation behandelt
die Lehre von der Kirche bei Werner Eiert (1885—1954), der
einer der markantesten lutherischen Theologen unseres Jahrhunderts ist
und dessen Werk bereits abgeschlossen vor uns liegt. Die Arbeit will
nur einen Teilaspekt zum Verständnis seines Gesamtwerkes beitragen,
das in seinem Gehalt noch gewürdigt werden muß.

Im ersten Teil wird die Entwicklung der Lehre von der Kirche
innerhalb von Elerts Gesamtwerk untersucht. In Elerts Veröffentlichungen
zeichnen sidi fünf Perioden ab, die jeweils einem besonderen Thema
gewidmet sind. Er setzt ein mit der Frage nach dcT Eigenart des Christentums
. Der Kirchenbegriff spielt dabei keine Rolle; indirekt bedeutsam
für ihn wird später nur der Begriff des Schicksals, den Eiert von Oswald
Spengler übernommen hat. Seit 1923 beschäftigt Eiert sich mit der konfessionellen
Eigenart des Luthertums, und in diesem Zusammenhang
wird auch nach dem lutherischen Verständnis der Kirche gefragt. In der
„Morphologie de« Luthertums" werden Konfession",- Kirche und Bekenntnis
jeweils als „Organismus" begriffen, doch verzichtet Eiert danach
auf diesen Ausdruck. Ende der zwanziger Jahre wird die Eigenart
des kirchlichen Bekenntnisses zum neuen Thema. Fundament der Kirche
ist nun das Dogma, während die primäre Verwirklichung de6 Christentums
das Erlebnis von Reue und Gnade war und der ,.evangelische Ansatz
" des Luthertums als seelische Umwandlung erschien. Die beiden
letzten Perioden 6ind durch das Erscheinen von Elerts Dogmatik (1940)
und Ethik (1949) bezeichnet. Die Beziehung der Kirche auf den erhöh-