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Ausgabe:

1960 Nr. 12

Spalte:

941-942

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Uhlmann, Bernhard

Titel/Untertitel:

Ansätze zur Behandlung der ökumenischen Frage in der Lehre von der Kirche bei Theodor Kliefoth und August Vilmar 1960

Rezensent:

Uhlmann, Bernhard

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 12

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Menschen, zwischen dem neuen Leben aus Gottes Macht und dem
alten Menschen, der in den Tod gegeben werden muß. Als gratia oder
Caritas befreit der lebendige, tätige Geist Gottes den Menschen von
dem in sich selbst verkrümmten, selbstsüchtigen Wollen und Lieben
und schafft ein selbstloses Wollen und Lieben, in welchem die unteilbare
, endgültige Forderung des Gesetzes erfüllt wird.

U h 1 m a n n, Bernhard: Ansätze zur Behandlung der ökumenischen
Frage in der Lehre von der Kirche bei Theodor Kliefoth und August
Vilmar. Diss. Leipzig 1957. 185 S.

Das Problem der Konfession und der Konfessionalität der verschiedenen
Kirchen rückt bei der Arbeit des ökumenischen Rates der
Kirchen immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Die vorliegende
Arbeit geht dem Verhältnis von Konfessionalität und Katholizität der
Kirche in dem Zweig der konfessionellen Theologie des 19. Jahrhunderts
nach, der heute immer mehr an Einfluß gewinnt und dessen markanteste
Vertreter neben Löhe Kliefoth und Vilmar sind. Dabei werden
nuch die Erlanger lutherischen Gegenspieler (Höfling, Harleß und
Th. Harnack) berücksichtigt. Es zeigt sich, daß ausgesprochen konfessionelles
Denken und Sinn für die Ökumene einander nicht ausschließen,
sondern sich gegenseitig befruchten können.

Im 1. Kapitel werden die Voraussetzungen für Kliefoths
und Vilmars Behandlung der ökumenischen Frage aufgezeigt. Dazu gebort
zunächst ihre theologische Grundhaltung. Oberstes theologisches
Prinzip ist für beide der Gehorsam gegenüber Gottes Ordnungen in der
Schrift und in der geschichtlichen Entwicklung der Kirche. Die Lehre
von der Kirche wird nicht wie bei den Erlangern aus dem Prinzip der
individuellen Rechtfertigung abgeleitet, sondern nach CA V aus Wort
und Sakrament als den göttlich gestifteten Gnadenmitteln. Beide versuchen
von daher die Scheidung der Kirche in eine sichtbare und eine
unsichtbare und die Abwertung der sichtbaren Kirche zu überwinden.
Bei Vilmar spielt dabei der Gegensatz der lutherischen Lehre von der
Realpräsenz Christi in den Gnadenmitteln zur calvinischen Prädestinationslehre
eine entscheidende Rolle. Die Gnadenwahl Gottes geschieht
nach Vilmar nicht in einem absoluten vorzeitlichen Akt, sondern innerhalb
der Geschichte durch Amt und Gnadenmittel der sichtbaren Kirche.
Infolge der wirksamen Gegenwart Christi in der Kirche vollzieht sich
'n der Geschichte der fortlaufende Prozeß der Scheidung. Darin liegt
die eschatologische Bedeutung der Kirche. In besonderen Abschnitten
wird auf den kirchlichen Standort Vilmars im konfessionell unklaren
Hessen und Kliefoths im lutherischen Mecklenburg hingewiesen, sowie
auf die theologische Entwicklung Kliefoths eingegangen.

Das 2. Kapitel behandelt die Spaltung der Christenheit in
Konfessionskirchen. Bei Kliefoth zeigt sich eine Entwicklung seiner
Beurteilung der Spaltung. In seiner Jugend sah er darin eine sinnvolle
Entfaltung des christlichen Geistes, später erkannte er immer mehr
Sünde und Irrtum als LIrsachc der Spaltung. Für Vilmar bedeutete die
Spaltung infolge von Hochmut. Irrtum und Sünde ein Eindringen von
• •Welt" In die Kirche und damit einen Schritt zum Abfall und „Wider-
christentum".

Im 3. Kapitel wird auf die Frage der Konfessionalität
der Kirche eingegangen. Kliefoth und Vilmar begründen deren Notwendigkeit
nicht wie die Erlanger auf der unsichtbaren Glaubensgemeinschaft
, deren Glaube im formulierten Bekenntnis zum Ausdruck
kommt, sondern auf der sichtbaren Kirche. Für 6ie hat die unter dem
Urteil der Schrift sich vollziehende Dogmengeschichte normative Bedeutung
. Sie ist das Werk des in der Kirche gegenwärtigen Herrn. Nach
jürnar scheidet die Kirche im Zuge ihrer eschatologischen Aufgabe bei
der Bekcnntnisbildung eingedrungenes Heidentum aus. Sinn der Forderung
nach Konfessionalität ist die Sicherung der Gnadenmittelverwaltung
vor Verfälschung, weil sonst die wirksame Gegenwart Christi in
"er Kirche gehindert würde.

Das 4. Kapitel befaßt sich mit der K a t h o I i z i t ä t der Kirche.
j~~ katholische Einheit der Christenheit wird sowohl von der einen
JOiöpfungsordnung als auch von der einen Heilsordnung her begründet.
Jjrundlagc der Katholizität sind die Gnadenmittcl, in denen der eine
Hcrr wirkt. Ausschlaggebend für die Einheit der Christenheit ist die
feine und daher wirksame Verwaltung der Gnadcnmittel, denn die Ein-
"t der Kirche wird durch den in ihnen gegenwärtigen Herrn gewährt.
g<Konfessionalität gibt also den Maßstab für die Katholizität einer
Tche ab. In der Häresie gibt es abgestufte Katholizität, je nachdem
^nadcnmittclrestc vorhanden sind. Die eine katholische Kirche ist
s'so nicht auf die rechte katholische Kirche, die Kirche der reinen
Gnadenmittelverwaltung, beschränkt.

^ Im 5. Kapitel wird die Beurteilung der lutherischen
"rchc untersucht. Trotz scharfer Kritik wird sie als die Kirche der
echten Konfession angesehen, weil sie sich als einzige das Ergebnis
Oer geschichtlich notwendigen lutherischen Reformation zu eigen machte
bei gleichzeitiger Bejahung der vorausgehenden dogmatischen Entwicklung
unter der Norm der Schrift. Die luth. Rechtfertigungslehre
und die Lehre von der Realpräsenz Christi in den Gnadenmitteln ermöglichen
die rechte Gnadenmittelverwaltung. Die lutherische Kirche
ist damit auch die Kirche der rechten Katholizität, die Kirche der
„Mitte".

Da die einzigartige Stellung der luth. Kirche nicht in ihrem
Kirchentum liegt, sondern in dem Herrn, der in den rein verwalteten
Gnadenmitteln voll wirksam ist, spricht Verfasser analog der aliena
justitia in Luthers Rechtfertigungslehre von einer „fremden Vollkommenheit
" der lutherischen Kirche innerhalb der Christenheit. Die
luth. Kirche hat deshalb keine Verfügungsgewalt über die ihr anvertraute
reine Gnadenmittelverwaltung.

Das 6. Kapitel geht auf den Gedanken der Vereinigung
der Konfessionen ein. Vilmar erwartet da ganz optimistisch
die reale Erfahrung der „Einheit und Einerleiheit" der Kirche als
Voraussetzung der dogmengeschichtlich notwendigen Entwicklung der
Lehre von der Kirche. Wohl durch irvingianische Einflüsse ist er auch
der Meinung, daß die Aufgabe der Scheidung noch vor der Parusie erfüllt
und damit auch die Spaltung überwunden sein wird. Kliefoth erwartet
die endgültige Einheit erst mit der Parusie, da bis dahin die
Sünde herrschen wird. Trotz dieser realistischeren Sicht hat auch er
Interesse an kirchlicher Einigung. „Wahre Unierung" kann e« aber für
beide nur auf der Grundlage reiner Gnadenmittelverwaltung geben.
Daß sich kirchliche Vereinigung unter Preisgabe der rechten Konfession
auch von der rechten Katholizität entfernt, erkennen sie am Beispiel
der preußischen Landeskirche. Da nach CA VII die Einheit der Kirche
ausschließlich von der reinen Gnadenmittelverwaltung abhängt, weisen
Vilmar und Kliefoth der lutherischen Kirche eine klare ökumenische
Aufgabe zu. Diese Aufgabe besteht in der Belehrung der anderen Kirchen
in der rechten Gnadenmittelverwaltung, während sie selbst in anderen
Punkten von anderen Kirchen lernen kann.

Im Schlußkapitel werden Kliefoths und Vilmars Ansätze mit dem
heutigen Stand der ökumenischen Frage im Weltkirchenrat
verglichen. Es wird versucht, aufgrund des Ergebnisses der
Untersuchung einen Diskussionsbeitrag zur Theologie der Ökumene
zu geben.

Wächter, Ludwig: Rabbinischer Vorsehungs- und Schicksalsglaube.
Diss. Jena 1958. 168 S.

Die Arbeit versucht, am Beispiel dc6 Vorsehungsglaubens den
Ursachen und Motiven des gegenüber dem Alten Testament so merkbar
gewandelten religiösen Selbstverständnisses der Rabbinen nachzugehen
.

Während der Mensch des Alten Israel in seiner Gottesbeziehung
sich primär als Glied einer Gemeinschaft empfindet und im Leben
dieser Gemeinschaft Gottes Fürsorge und Führung erfaßt, ist die
Gottesbeziehung und damit der Vorsehungsglaube des Rabbinen vielschichtig
und oft in sich widerspruchsvoll. Der Vertreter rabbinischer
Theologie empfindet eich einesteils als Glied seines Volkes und
sinnt den Fragen von Gottes Wegen mit Israel nach, andernteils sieht
er sich als Einzelner Gott gegenübergestellt und ringt mit dem Problem
, ob Gott mit ihm nach einem unabänderlich festgelegten Plan handele
, oder ob er ihn nach seinen jeweiligen Werken richte. Hierbei
durchdringen sich die Erwartung einer noch in diesem Leben erfolgenden
Vergeltung und die Hoffnung auf einen gerechten Ausgleich im Jenseits
gegenseitig.

Die verschiedenen, sich in ihrer Konsequenz zum Teil widersprechenden
Anschauungen über da6 Walten der göttlichen Vorsehung
können zuweilen im Denken eines Rabbinen Platz haben, wie Aqibas
Spruch (Aboth 3,15) beweist: „Alles ist vorhergesehen, und die Freiheit
ist gegeben, und in Güte wird die Welt gerichtet, und alles geschieht
nach der Menge des Wcrke6."

Zwei Fragen werden durch diesen Tatbestand gestellt:

1. Wie kommt es bei den Rabbinen zu dieser Inkonsequenz des
Denkens, das Widersprüche nicht aufzulösen sucht?

2. Welche historischen und theologischen Voraussetzungen haben
die verschiedenen Anschauungen über die Vorsehung?

Zur Beantwortung der zweiten Frage wird der Werdegang des
jüdischen Vorsehungsglaubens vom Alten Israel an bis ins sadduzäische,
essenische und pharisäische Judentum verfolgt (Kap. I, S. 1—40). Dabei
ergibt sich als wesentlicher Faktor für seine Umgestaltung die etwa vom
Beginn des Exils ab zu rechnende Entfaltung der Einzclpersönlichkeit,
die sich nicht mehr damit begnügte, im Gesamtgeschchen Gottes Vorsehung
zu begreifen, sondern die sie auch im eigenen Leben sehen
wollte. Dadurch gewann das Problem des Todes eine vorher nicht dagewesene
Schärfe, von der auch noch im rabbinischen Judentum trotz
des Auferstehungsglaubens, der — seit Daniel aufgekommen — bereit!