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Ausgabe:

1960 Nr. 12

Spalte:

939

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Schnutenhaus, Frank

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der Mosetraditionen 1960

Rezensent:

Schnutenhaus, Frank

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939

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 12

940

Referate über theologische Dissertationen in Maschinenschrift

Schnutenbaus, Frank: Die Entstehung der Mosetraditionen.
Diss. Heidelberg 1958. 197 S.

Die Arbeit geht erstens von der Frage aus, ob Noths Vermutung,
Mose gehöre höchstens zur ostjordanischen Grabtradition, richtig ist,
zweitens von der Feststellung bestimmter Formen der Traditionen,
besonders der vom Verf. sogenannten Murrgeschichten.

Als Arbeitshypothese wird für den historischen Sachverhalt angenommen
, Mose sei Ankündiger des Auszugs gewesen. In dem exegetischen
Teil I (S. 9—106) wird jeder Einzelbericht des Jahvisten und
sog. Elohisten, soweit Mose in ihm begegnet, traditionsgeschichtlich
analysiert. Die Ergebnisse werden in Teil II (S. 107—167) zusammengefaßt
. Mose gehört ursprünglich nicht zum Sinaikomplex, auch als
Richter, Levit oder Priester ist er erst später gezeichnet. In den ältesten
Schichten ist seine Hauptfunktion Wortempfang und Wortweitergabe.
Dies ist nur aus seiner Ankündigung- des Auszugs erklärbar. Theologische
, sozial-psychologische Erwägungen und der Vergleich mit anderen
Ankündigungen fordern diese Auffassung. Die Berufungsgeschichte
wird als Durchdenkung der Ankündigung erklärt, die nicht erst nach
der Rettung vor sie projiziert wurde. Ebenfalls stammen die Murrgeschichten
aus der Durchdenkung des Auszugs mit ihrem theol. Schema:
Gottes Rettung — Israels Undank — Gottes Strafe bzw. meist Rettung.
Das Volk macht Mose und Jahveh die Herausführung zum Vorwurf —
dies der Kern des Murrens —, Mose gibt den Drude an Gott weiter.
Aus der Durchdenkung dieser Mittlerstellung Moses entsprangen die
Klage des Mittlers und die Fürbitte im AT. Das feste Schema der
Plagenbcrichte ist ähnlich dem Murrschema entstanden. Auch Ex 5 und
schwierige Erzählungen wie Num. 12 sind erst von ihm her verständlich.

Wie kam Mose in den Sinaikomplex? In der Ankündigung liegt
schon der Aufruf zum Tun des Gotteswillens beschlossen. Eine Vorstufe
der priesterlichen Thorah wurde Mose zuerst zugeschrieben (z. B.
Ex. 12, 21 ff.), danach die Funktion des Bundesmittlers. Als man den
ätiologischen Geschichtsbericht vom Bundesschluß ausbildete, redet
Jahveh nur zu Mose wie vor dem Auszug. Die Arbeit stellt auch für
den Sinaikomplex die Durchdenkung der Mittlcrfunktion Moses dar.
Im Zentrum der Traditionsbildung steht eine schon prophetisch zu
nennende Auffassung; prophetische Heils- und Unheilsankündigung
haben hier ihre Vorstufen; zur Sprache gebracht wird erstmalig der
Glaube gegenüber dem Boten.

Teil III „Die Rezeption der Mosetraditionen" (S. 168—197) zeigt,
wie Mose bei Hosca als Prophet gesehen wurde, wie im Deuterono-
mium diese Auffassung zu der des Bundesmittlers hinzu kam, wie die
Form der Murrgeschichten und die Bedeutung des Wortempfangs in der
Priesterschrift gesteigert wurden und welche Bedeutung Mose in der
Apokalyptik und im NT hatte.

Schwarz, Reinhard: Fides, spes und Caritas beim jungen Luther
unter besonderer Berücksichtigung der mittelalterlichen Tradition.
Diss. Tübingen 1958. V, 237, 250 S.

Im Herbst 1516 schreibt Luther in einem Brief an Joh. Lang
(WB 1; 66, 32 ff.), bei Gabriel Biel sei alles recht bis auf das, was er
in „pelagianischer" Weise über die Gnade, die drei theologischen Tugenden
(fides, spes, Caritas) und die Tugenden überhaupt sage. Welche
Ansicht vertritt der junge Luther in diesen Punkten im Gegensatz zu
dem von G. Biel repräsentierten Ockhamismus? Und wie ist er im Laufe
«einer theologischen Entwicklung in diese Frontstellung geraten? Bei
der Untersuchung dieser Fragen werden nach Möglichkeit auch die verschiedenen
anderen traditionellen Denkrichtungen neben dem Ockhamismus
in ihren Hauptvertretern (Augustin, P. Lombardus, Thomas,
Bonaventura, Bernhard und Gerson) zu Rate gezogen, damit man feststellen
kann, ob Luther bei seiner Kritik am Ockhamismus in den Bahnen
der mittelalterlichen Theologie bcharrt, und ob er von irgendeiner
Seite positive Anregungen empfangen hat. Über alle Differenzen der
traditionellen Lehrmeinungen hinweg zeigt 6ich im theologischen Denken
des Mittelalters eine gemeinsame Grundauffassung in der Gnaden-
und Tugendlehre: Die Wirklichkeit der Gnade erscheint in den drei
theologischen Tugenden als eine religiöse Perfektion des Menschen,
in der seine sittliche Perfektion überboten wird. Wie im Bereiche des
Sittlichen durch die moralischen Tugenden, so werden im Bereiche des
Religiösen durch die theologischen Tugenden die im Menschen angelegten
Möglichkeiten in der Macht und Stärke des Tugendhabitus qualitativ
vervollkommnet, so daß der Mensch in den Tugenden auf dem
Boden der im Sakrament verliehenen habitualen Gnade nicht nur seiner
sittlichen, sondern darüber hinaus auch seiner religiösen Möglichkeiten
in eigener, habhafter Vollkommenheit mächtig ist. Will Luther diese
traditionelle Auffassung von dem habitualen Charakter der Gnade und

der theologischen Tugenden bis zur Wurzel beseitigen und damit
auch die Meinung, daß die theologischen Tugenden auf dem Grunde
der Gnade dem Menschen die Macht über die in ihm angelegten höchsten
Möglichkeiten verleihen? Oder möchte er nur gegenüber einer
„pelagianischen" Überbewertung der natürlichen sittlichen Möglichkeiten
des Menschen wieder mehr die übernatürliche Wirklichkeit der
Gnade und der theologischen Tugenden betonen? Bleibt es dabei, daß
die Gnade in den Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe
zur äußersten Selbstbemächtigung verhilft? Oder spricht Luther grundsätzlich
anders von der Gnade, von Glaube, Hoffnung, Liebe und überhaupt
von dem, was dem Menschen die Macht seines Seins 6ein kann?
Diese allgemeine thcologiegeschichtliche Problematik bildet den Hintergrund
für die Untersuchung, welches Verständnis Luther von fides, 6pes
und carita6 im einzelnen und in ihrem Verhältnis zueinander hat.
Chronologisch in drei Abschnitte gegliedert, werden die Quellen für
die Theologie des jungen Luther bis zum Jahre 1518 befragt und im
Zusammenhang der Darstellung mit der mittelalterlichen Überlieferung
konfrontiert.

1) Zur Zeit der Sentenzenlektur (1509/10) bewegt sich Luther
weithin in den Gedankengängen der ockhamistischen Theologie. Die
scholastische Gnaden-und Tugendlehre durchstößt er jedoch deutlich an
zwei Punkten. Entgegen der kirchlichen Lehrentscheidung möchte er den
wirkungsmächtigen Grund der aktualen Liebe aus einem psychologisch
objektivierten habitus caritatis in den Spiritus 6anctus selbst verlegen,
auf den der Begriff des habitus nur noch im uneigentlichen Sinne angewendet
werden kann, wie auch Christus nicht nach der Art eines
Tugendbesitzes unsere Gerechtigkeit ist. Außerdem versteht er Hb 11,1
nicht mit der Scholastik als ontologische Definition der fides in ihrer
Relation zum Unsichtbar-Zukünftigen, sondern als Beschreibung der
Zukünftiges anzeigenden und Hoffnung setzenden Kraft der fides.

2) Die 1. Psalmen-Vorlesung verrät einen Einfluß anthropologischer
und hermeneutischer Denkformen, die — unabhängig von den
scholastischen Schulsystemen — in der Tradition exegetischer Arbeit
und mönchischer Geistigkeit verwurzelt sind. Indem Luther die Anregungen
der mittelalterlichen Schriftauslegung und des mönchischen
Selbstverständnisses aufnimmt, wird er von seinem eigenen theologischen
Impetus weitergetrieben. Dabei werden für ihn nun fides, spes
und Caritas zu Phänomenen des Seins in Christus, dessen spirituale
Macht — das ist die uns in Christus erfassende Macht Gottes — die
Existenz herausreißt aus dem Machtbereich der tötenden littera und
der nichtigen caro. Die fides macht zum Gliede am mystischen Leib
Chri6ti; darum gibt sie teil an der virtus Christi, erleuchtet zum Verstehen
des in Christus erschlossenen Seins und ist selber Zeichen und
Besitz der Zukunft. In der Einheit mit der fides bezeichnet die spes
die affektive Existenzbewegung in die Zukunft. Der Wille wird in
Christus durch den Spiritus befreit zum reinen, freiwilligen Gehorsam
, dessen affektive Bewegung in der Caritas gegeben ist.

3) In der Zeit von 1515 — 1518 hat Luther zugleich mit der
Exegese des Römer-, Galater- und Hebräerbriefes das Fundament gewonnen
, von dem aus er die scholastische und vor allem die ockha-
mistische Theologie offen kritisieren kann. Wer mit der Scholastik
eine religiöse Perfektion und Selbstbemächtigung des Menschen
durch die übernatürlichen Tugendqualitäten annimmt, der hat das
Wesen des Spiritus sanetus und der gratia verkannt. Des hl. Geistes
kann sich der Mensch auch nicht in einem abgeleiteten Gnadenoder
Tugendhabitus bemächtigen. Die unverfügbare Macht des Spiritus
zerstört alles Habhafte, womit der Mensch seiner selbst mächtig
zu sein meint. In den Existenzweisen de6 Glaubens, Liebens, Hoffens
überwindet der hl. Geist oder die Gnade den Eigensinn, die Selbstsucht
und die Selbstverme6senheit des Menschen. Im Glauben ereignet
6ich ein Wandel des Selbstverständnisses als Buße. Glauben
ist fortlaufende Umkehr von der Eigengerechtigkeit hin zur
Barmherzigkeit Gottes. Im Einverständnis mit dem Wort spricht der
Glaubende das Urteil über sich selbst als Sünder und sucht als seine
Zukunft die in Christus zugesprochene Gerechtigkeit außerhalb
seiner selbst. Als Selbstverständnis der Buße rechtfertigt der Glaube.
Dadurch, daß sich die christliche Hoffnung mit dem Glauben entgegen
allem Vergangenen und Gegenwärtigen auf die mit Christus in
Gott verborgene Zukunft richtet, zeitigt sie selber eine Zukunft, die
der Mensch nicht auf Grund seiner eigenen Möglichkeiten vorausschauen
kann. In der Einheit mit der carita6 entblößt die spes von
den auf Zukunft hindeutenden Gütern und versetzt den Hoffenden in
das Gehoffte. Luther verwirft die grundlegenden scholastischen Bestimmungen
über die spes und die Caritas. Er verficht das absolute
Unvermögen des Willens, aus sich selbst Gott über alle Dinge zu
lieben, und zieht damit im Gegensatz zur Scholastik eine eindeutige
Grenze zwischen der Caritas und dem sittlichen Vermögen des