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Ausgabe:

1960 Nr. 12

Spalte:

937-938

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rüsch, Ernst Gerhard

Titel/Untertitel:

Toleranz 1960

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Seite 1

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937

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 12

938

Wahrheitssätze geben können, die auch ohne den direkten Bezug
auf den Menschen wahr sind ..." (129 f.). Der Satz und die
Wirklichkeit, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist, muß auch ohne
den Bezug auf die Erlösung wahr sein. Das würde Schleiermacher
nie bestreiten. Er hätte 6onst seine Glaubenslehre nicht schreiben
können und nicht predigen können. Aber Schi, hätte gesagt:
Diese dem Christentum zu Grunde liegende Wahrheit ist dem
Frommen nur in menschlicher Begrenzung gegeben, weshalb es
für den Menschen des Glaubens nie ein letztes Fertigsein geben
könne. Es fehlt Schi, auch nicht das Gegenüber von Gott und
Mensch, wie 6ein schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl dokumentiert
. Aber er verlegt das Gegenüber in den Menschen selbst und
übernimmt damit das Grundgefüge der griechischen Anthropologie
, wodurch es ihm nun freilich unmöglich gemacht wird, das
sola fide und sola gratia im lutherischen Sinne theologisch rein
zur Geltung zu bringen.

Der Verf. sucht, was verständlich i6t, nach festen, objektiven
Maßstäben im theologischen Bereich. Von hier aus ist auch
«eine eigene Definition der Häresie zu verstehen, die nach seiner
Meinung der heutigen Situation der Ökumene besser entspreche,
als die vorsichtige und zurückhaltende Definition Schleiermacher6:
..Häresie ist ein aus dem Unglauben hervorgehender, den Anspruch
des christlichen Glaubens bewahrender, inhaltlich-fundamentaler
Widerspruch gegen die Offenbarung Gottes in Jesus
Christus, der beharrlich gegenüber der Schrift festgehalten wird"
(137). Wieder schließt sich an diese Definition sofort eine neue
Frage. Geht Häresie wirklich aus dem Unglauben hervor? Schleiermacher
würde dies energisch bestreiten. Er würde jeder häretischen
Äußerung auch noch die Wertigkeit eines Glaubens zubilligen
, der freilich die Höhe echten christlichen Glaubens nicht
erreicht. Die Echtheit dieses Glaubens kann nach seiner Meinung
immer nur in einem rlkrjfitveiv iv dydnt], einem Wahrheitssuchen
in der Liebe, festgestellt werden, in einem Prozeß, der nie
zu Ende geht. Und vielleicht ist gerade diese Haltung, die
Schleicrmacher gern mit dem Ausdruck „ewige Jugend" bezeichnet
, moderner als die andere Intention, den theologischen Prozeß
durch letzte Definitionen zum Erstarren zu bringen.

So führt die Untersuchung zu einer Fülle von Problemen, die
nicht nur die Schleicrmacher-Forschung, sondern auch die gegenwärtige
theologische Gesamtsituation positiv befruchten. Ihr besonderes
Verdienst liegt darin, das Augenmerk intensiv auf eine
Thematik bei Schleicrmacher gerichtet zu haben, die bislang von
der Schleicrmacher-Forschung kaum berücksichtigt wurde und
nun von dem Verf. scharfsinnig beleuchtet wird.

Kiel Werner Schu 11z

Rusch, Emst Gerhard: Toleranz. Eine theologische Untersuchung
und eine aktuelle Auseinandersetzung. Zollikon-Zürich: Evang. Verlag
1955. 152 S. 8°. DM 11.35.

Nach einer einleitenden Erörterung des Begriffs und der
Motive der Toleranz, verbunden mit einem ganz knappen ge-
schidulichen Überblick von Trajan bis zur Gegenwart, behandelt
zunächst die grundlegende Frage der Toleranz und Intoleranz
des Evangeliums. Gegen Wendland und Barth hält er daran fe6t,
daß sich die Tolcranzforderung aus der Unerzwingbarkeit des
Glaubens, mithin aus dem Evangelium, von selbst ergibt. Aber
wie soll die Toleranz verwirklicht werden? Drei Problemkreise
lassen sich unterscheiden: l) die Toleranz der Christen untereinander
, insbesondere der Kirche gegenüber andersdenkenden
Christen, 2) die Toleranz des Staates gegenüber den Staatsbürgern
und Kirchen, 3) die Toleranz der Kirche gegenüber den
nichtchristlichcn Religionen. R. behandelt nur die beiden ersten
yoblcmkreise. — Zu 1): Gegenüber einer Theologie der Fun-
damentalartikcl bekennt sich R. dazu, daß „Er und nur Er" „da«
unaufgebbarc .fundamentum eccle6iae'" (87) ist. Die Ökumene
als .•spannungsreiches Miteinander der einzelnen Kirchen in der
gemeinsamen Ausrichtung auf da6 Haupt Christus" wird dadurch
nach R. „zu einer echten Schule der Toleranz" (74). Eben-
*° ist „die akademische Lehrfreiheit eine notwendige Forderung
der echten Toleranz. Sie entspringt... der demütigen Erkenntnis
, daß in der theologischen Forschung alle aufeinander angelesen
sind und nur in der Freiheit die Fülle der apostolischen
Lehre erfaßt werden kann" (82). Kirchenzucht kann nur durch
die Verkündigung des Wortes Gottes, das die Gewissen trifft,

geübt werden; „die kirchliche Diskriminierung durch Bann und
Ausschluß vom Abendmahl und dergleichen" lehnt R. im bewußten
Gegensatz zum Heidelberger Katechismus ab (63. 92). Auch
das „Damnamus" der Bekenntnisschriften erscheint R. manchmal
als zu weitgehend; denn der Kampf gegen die Irrlehre darf
nie „ein Verurteilen, ein Ausstoßen, ein Exkommunizieren des
Menschen werden" (89). Die Lehrzucht dagegen ist nach R. „ein
Element des .demokratischen' Aufbaus der Gemeinde" (94) und
als solches berechtigt. Allerdings muß sie weitherzig und sorg-'
fältig gehandhabt werden. Viele Lehrzuchtverfahren waren
vorschnell und unhaltbar.

Zu 2): „Die Verfolgung in religiösen Dingen ist grundsätzlich
gleich bedenklich, ob sie nun vom Staat oder von der
Kirche ausgehe" (129). Im einzelnen wird der Staat seine Toleranzaufgabe
sehr verschieden wahrnehmen müssen. R. hat die
Schweizer Situation im Auge, wenn er zu erwägen gibt, „ob der
Staat nicht das Recht habe, von einer Kirchenverfassung die Aufnahme
von Bestimmungen zu verlangen, nach denen bei der Besetzung
von kirchlidien Ämtern und Lehrstühlen ,die kirchlichen
Richtungen angemessen berücksichtigt' werden sollen" (141).
Zu der „Spezialfrage des Jesuitenverbots in der schweizerisdien
Verfassung" nimmt R. zwar nicht Stellung, neigt aber dazu, sie
zu bejahen. Die „einfache Existenz der katholischen Kirche in
einem Staate" ist zweifellc* zu tolerieren (145), aber die „Jesuiten
sind nicht die katholische Kirche", sondern ihre intoleranteste
Gruppe (146); und die Toleranz hört naturgemäß dort
auf, wo sie selbst in Frage gestellt wird.

S. 76: Die Weihen der anglikanischen Kirche werden von Rom nicht
als schismatisch, sondern als ungültig abgelehnt. Schismatisch, aber gültig
sind nach römischer Auffassung die Weihen der orthodoxen Kirche.

Halle/Saale Erdmann Schott

[B a r t h, K.:] Karl Barth und die Pietisten. Bericht über ein Gespräch.

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H. Schlötermann, L. Stengel von Rutlowski. Nürnberg: Verlag Freie

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