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Ausgabe:

1960 Nr. 12

Spalte:

929

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hering, Jean

Titel/Untertitel:

Le royaume de dieu et sa venue 1960

Rezensent:

Michaelis, Wilhelm

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929

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 12

930

Wer heute sich über den neuesten Stand der ntl. Textkritik
informieren will, wird außer dem Buch von Vogels noch andere
Werke zu Rate ziehen müssen — ich nenne etwa den sehr sachkundigen
Überblick von J. Duplacy in Recherches de science rel.
1957 — 58. Die Eigenart und der Wert des vorliegenden Handbuches
aber liegt darin, daß darin nicht lediglich ein bloßes Referat
über eine Fülle von moderner Literatur über den heutigen
Stand der Erforschung des ntl. Textes geboten, sondern auf Grund
eigener lebenslänglicher Erforschung eines Teilgebietes, dem der
lateinischen Übersetzungen, grundlegende methodische Prinzipien
und charakteristische Probleme der Textgeschichte dargelegt
werden. Das Buch ist so anregend, ja, spannend geschrieben, wie
es bei einem so „trockenen" Gegenstand nur möglich ist.

München Josef Sch m i d

Hering, Jean, Prof. Dr.: Le Royaume de Dieu et sa Vcnue. ßtude
sur l'csperance de Jesus et de l'apötre Paul. Nouvelle id., revue et
augmentee. Ncudiätel: Delachaux & Niestie ]1959]. VII, 294 S. gr. 8°
= Bibliotheque Theologiquc. publ. sous la direction de J.-J. von
Allmcn. sfr. 12.50.

Die 1. Auflage dieser Schrift erschien 1937, als Straßburger
Dissertationsdruck und gleichzeitig als Heft 35 der Emdes
d'Hi6toire et de Philosophie Religieuses. Sie war, wie man aus
dem Vorwort zur 2. Auflage erfährt, schon 1945 vergriffen, doch
konnte der Verf. infolge anderweitiger Inanspruchnahme erst
jetzt im Ruhestand an eine Neuausgabe herantreten. Daß eine
solche sich als erwünscht erwiesen hat, bedeutet für ihn eine
wohlverdiente Anerkennung, und man wird es als erfreulich bezeichnen
dürfen, daß seine Arbeit nunmehr wieder zugänglich ist.
Obwohl die 1. Auflage seinerzeit in der ThLZ nicht besprochen
worden ist (sie teilte dieses Schicksal mit anderen Veröffentlichungen
jener schwierigen Vorkriegszeit), wird es genügen, wenn
in dieser Anzeige auf die Änderungen innerhalb der vorliegenden
neuen Auflage hingewiesen wird.

Es handelt sich um einen um Nachträge vermehrten Nachdruck (der
als solcher technisch sehr 6aubcr ausgefallen ist). Am Wortlaut der
1. Auflage konnten begreiflicherweise nur wenig Änderungen vorgenommen
werden. Diese betreffen in der Hauptsache Anmerkungen.
Im Text finden sich, wenn ich nichts übersehen habe, nur folgende Änderungen
: auf S. 3 5 letzte Zeile ist eine falsche Seitenzahl verbc6scrt
worden, auf S. 223 letzte Zeile ein Akzentfehler, und auf S. 218 ist
einem Kapitclcnde noch ein markiger Schlußsatz angehängt worden. Die
Zufügungcn in Anmerkungen betreffen Bibelstellen (S. 138, Anm. 2),
ferner Hinweise auf Artikel von Hering (S. 68, Anm. 2, S. 194, Anm. 1,
S. 207, Anm. 1) sowie auf andere Literatur (S. 26 Anm., S. 29, Anm. 2,
S. 38 Anm., S. 80, Anm. 1, S. 164, Anm. 2, S. 195, Anm. 3). Neu
hinzugekommen sind die kurzen Anmerkungen 2 auf S. 3 3 und 3 auf
S. 50. Gestrichen ist Anm. 2 auf S. 174 (Ankündigung eines Aufsatzes
von Pucch, der dann nie erschienen ist).

Auf S. 254 beginnen die „Appendices" zur 2. Auflage. Es sind
ihrer vier. Nachtrag A (S. 254—257) behandelt die Menschensohn-
vorstellung im Joh.-Ev. (im Anschluß lediglich an einen Aufsatz von
Theo Prciss aus dem Jahre 1951). Nachtrag B (S. 257—259) ist der Frage
gewidmet, ob der leidende Gottesknecht in den Evangelien vorkomme.
Nachtrag C (S. 259—261) geht auf die Messiasvorstellung in den
Qumran-Schriften ein. Nachtrag D (S. 261—264) nimmt Bezug auf
neuere Untersuchungen zum Messiasbewußtsein Jesu (Lohmeyer, Gottesknecht
und Menschensohn; Bultmann, NT-Theologie; Stauffer. Messias
oder Mcnschcnsohn?; Cullmann, Christologie). • Nach der „Conclu-
8'on" (S. 265 = 'S. 254) folgen auf S. 266 „Addenda minora" zu 6
verschiedenen Seiten. Endlich' sind der Bibliographie (S. 267—286 =
S-255—274) noch Addenda beigefügt (S. 287—290).

Bern Wilhelm Michaeli!

Conzelmann, Hans: Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie de«
Lukas. 3„ überarb. Aufl. Tübingen: Mohr 1960. VIII, 241 S. gr. 8°
_~ Beiträge zur historischen Theologie, hrsg. v. G. Ebeling, 17.
DM 23.60; Lw. DM 27.-.

Das 1954 erschienene Buch Conzelmanns wurde in dieser
Zeitschrift in Bd. 81 (1956) auf Sp. 36—39 angezeigt. Die eben
vorgelegte „dritte" Auflage ist um 16 Textseiten erweitert und
enthält zusätzliche Namens- und SteUenregister. In allem We6ent-
llchen ist das Buch unverändert.

Wenn in unseren Tagen ein theologisches Buch innerhalb
von sechs Jahren drei Auflagen erlebt, zeugt dies davon, daß es

sich um ein ungewöhnliches Werk handelt. Hans Conzelmanns
Buch ist ein solches Werk. Der Verf. bietet eine scharfsinnige,
sorgfältige Untersuchung der Lukanischen Theologie und eine
Darstellung sowohl der Absichten wie des Verfahrens des Evangelisten
bei der Niederschrift seines Evangeliums. Dem Autor ist
es um die Erforschung der Lukanischen Sinngebung des Evangeliums
zu tun; er läßt sich kaum auf Erörterungen ein, ob dem
Lukasevangelisten neben dem Markusevangelium noch andere
Quellenschriften zur Verfügung gestanden haben mögen. Conzel-
mann unterschätzt offenbar den Umfang solcher Quellen. Hierzu
einige Bemerkungen.

1) . Mit Dibelius — und gegen Bultmann, dem er im allgemeinen
zu folgen pflegt — glaubt C. in der Lukanischen Passionsgeschichte keine
nicht-markinische Quelle feststellen zu können. Doch lassen sich die
Abweichungen des Lk-Berichtes in der Passionsgeschichte von dem
Mk-Text nicht ausschließlich durch redaktionelle Bearbeitung erklären
— sie setzen das Vorhandengewesensein einer mit dem Mk-Evangelium
nicht übereinstimmenden Quelle voraus. Als Einsatzpunkt der Untersuchung
diene Lk 22,66: „Und als es Tag wurde, trat der Ältestenrat
des Volkes — Priester und Schriftgelehrte — zusammen, und sie führten
ihn in ihre Ratshalle." Der Ausdruck xo Jigeoßvxegiov xqv Xaov im
Sinne von „Ratskollegium" ist sonst dem NT unbekannt und auch
durch Josephus nicht belegt; rö avviüoiov als Bezeichnung der „Ratshalle
" (des Senatsgebäudes) hat bei Josephus insofern eine Entsprechung
, als dort das Wort ßnvXr) (B. J. V 144) in diesem Sinne gebraucht
wird. Beide in Lk 22. 66 anzutreffenden Ausdrücke geben lukanischen
Sprachgebrauch wieder1, was sich für nvvrüoiov aus der Apg.
ersehen läßt. Aus dem Gebrauch der erwähnten Termini läßt sich nicht
auf Quellenbenutzung schließen. Anders steht es mit den Worten
anriyayov aviov ei? xn avvFhniov avxo>v. In Markus steht nichts davon
, daß Jesus aus dem Hause des Hohenpriesters in das Scnatsgcbäude
abgeführt wurde, bevor der Ältestenrat zusammentrat. Die faktische
Angabe hat der Lukasevangelist nicht aus der Luft gegriffen. Im Zusammenhang
mit Lk 22. 66 ist zu beachten, daß in den knapp vorhergehenden
Versen die Verhöhnung Je6U durch die Häscher (22. 53—55)
nicht auf die Sitzung des Hohen Rats folgt wie bei Markus, sondern ihr
vorangeht. Auch diese Abweichung des Lukashcrichtes vom Mk-Text
geht über das Maß redaktioneller Bearbeitung hinaus3. Es 6ind eben im
Lk-Evangelium noch flüchtige Spuren eines nicht-markinischen Passionsberichtes
feststellbar.

2) . Zu Lk 22. 3 5 — 38 vermerkt C.S ..Jedes Forschen nach historischen
Reminiszenzen ... ist vom Übel. Im Sinne des Lukas kann das
Schwert. . . keinen politischen Sinn haben" (S. 74, Anm. 3). Hier hat
C. „im Sinne des Lukas" völlig recht. Wenn man jedoch in der Erfragung
der lukanischen Sinngebung nicht das letzte Ziel der Forschung erblickt,
muß man sich Gedanken machen, wie der Evangelist dazu kam, Lk 22,
35 — 38 seinem Evangelium einzuverleiben. Er fand das Stückchen als
vorgeformte Tradition vor. Nun ergibt 6ich die Frage, welchen Sinn der
Bericht in der vorlukanischen Tradition hatte und wie es zu seiner Formulierung
gekommen ist. Es läßt sich dann, wenn man der Fragestellung
nicht ausweicht, kaum verkennen, daß „eine historische Reminiszenz"
offenbar doch vorliegt, eine Reminiszenz, die auch in Mk 14,47 zum
Vorschein gelangt, obwohl der Mk-Evangelist keine Schilderung aufbewahrt
hat, die Lk 22, 3 5 — 38 entsprechen würde.

3) . Conzelmann bestreitet, daß der Evangelist bei Niederschrift
von Lk 21 über andere Quellen als Mk 13 verfügte (S. 116). Hier scheinen
tatsächlich „geographische" Elemente mitzuspielen I Während englische
und in England ansässige Forscher Ncbcnqucllen vermuten, lehnen
deutsche Forscher — trotz weitgehender Verschiedenheit ihrer Ansichten
— diese Annahme ab3. Es ist unbestritten, daß in Lk 21 gewisse aus
Mk 13 übernommene Verse zu finden sind. Wenn man nun Lk 21, 21a
(= Mk 13,14b) und Lk 21.23a (Mk 13,17) aus dem Zusammenhang
herausnimmt, bleibt ein von Markusanklängen völlig freier Rest
übrig, der durch die Entfernung der beiden Halbvcrsc nichts an seinem
Sinn eingebüßt hat. Wenn man Lk 21. 16 (= Mk 13, 12) und Lk 21, 27
(= Mk 13, 26) im lukanischen Zusammenhang liest, ergibt sich, daß sie

') Trotz J. Jeremia« ,,///'A'2'ßrrA7'/OA'außerchristlidi bezeugt",

ZNW 48, 1957, 127—132.

') W. C. van Unnik „Jesu Verhöhnung vor dem Synedrium .
ZNW 29, 1930, 310—311; J. Jeremias „Perikopen - Umstellungen bei
Lukas?", NTS 4, 1958,1 15—119.

') F. Rehkopf, der in „Die Lukanischc Sonderquelle. Ihr Umfang
und Sprachgebrauch" (Tübingen: Mohr 19 59) den Umfang der „Sonderquelle
" sehr hoch veranschlagt, findet in Lk 21 keine Spuren einer nicht-
markinischen Vorlage. Herr Prof. Heinz Schürmann, der in seiner eingehenden
Untersuchung de« Lukanischen Abcndmahlberichtes das Vorhandensein
nicht -markinischcr Quellen festgestellt hat, sieht (laut
brieflicher Mitteilung) in Lk 21 nur lukanischc Markusbearbeitung. Dagegen
steht die in England häufig vertretene Auffassung, die meine
eigene ist, daß auch in Lk 21 Quellen zum Vorschein kommen.