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Ausgabe:

1960 Nr. 12

Spalte:

911-914

Autor/Hrsg.:

Wagner, Heinz

Titel/Untertitel:

Beispiele kasueller Verkündigung 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 12

912

Beispiele kasueller Verkündigung

Von Heinz Wagner, Leipzig

Die Sektion der Praktischen Theologie hat 6ich in den
voraufgegangenen Sitzungen gemüht, Hilfe für die Analyse der
heutigen Predigt und zu ihrer Gestaltung zu geben. Unser Beitrag
beschäftigt sich mit der kasuellen Verkündigung, die ebenso
, vielleicht noch stärker, einer sachlichen und methodischen
Vorbereitung bedarf. Die jetzt vorzutragenden Beispiele stammen
vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert, um da6 Generalthema
aufzunehmen. Es wurden die Gedächtnistafeln, wie sie sich im
Mutterhause und andern Einrichtungen der Ev.-Luth. Diakonissenanstalt
Neucndettelsau finden, untersucht. ,,Es ist mit
Sicherheit anzunehmen, daß die Gedächtnistafeln der heimge-
gangenen Schwestern vom jeweiligen Rektor verfaßt wurden."
„Von den ersten. . . finden sich Abdrucke dieser Tafeln in den
von Löhe herausgegebenen .Kalendern der Diakoni6senanstalt
Neuendettelsau'"1. In vielen Fällen sind wohl die Gedanken zu
diesen kurzgefaßten Nachrufen den Parentationen entnommen,
die bei der Beerdigung der Schwestern gehalten wurden. Diese
Parentationen, zunächst ab 18 59 im „Korrespondenzblatt der
Diakonissen" oder auch als Sonderdruck veröffentlicht, sind für
33 Schwestern, deren letzte die am 11. März 188 3 verstorbene
Oberin Amalie Rehm ist, in den von Rektor Meyer herausgegebenen
„Lebensläufen selig heimgegangener Schwestern"5
enthalten. Die späteren Rektoren D. Bezzel und D. Lauerer
haben die Parentationen anders gestaltet als die Gedächtnistafeln
, 60 daß die Gedächtnistafeln nicht mehr als Konzentrat
der Parentationen angesprochen werden können3.

Unsere Aufmerksamkeit wendet sich deshalb den Gedächtnistafeln
zu, weil hier auf engstem Raum in 6trenger theologischer
und sprachlicher Konzentration auf das Wesen und die
Eigentümlichkeit, auf das „Idion" des jeweiligen Schwestern^
lebens eingegangen wird. Im Blick auf dieses Leben und aus
diesem Leben heraus war das Evangelium von Jesus Christus zu
verkündigen. Wir wollen so verfahren, daß wir einige Beispiele
darbieten und an ihnen in akzentuierender Methode den jeweiligen
Verkündigungsinhalt und 6eine Form herausarbeiten4:

I. „Karolin I

ruhe im Frieden und das ewige Licht leuchte ihrf Amen.

Am 21. Aug. 1 855 nadimittags 4 Uhr starb im Diakonissenhaus zu

Neuendettelsau

Jungfrau
Karoline R h e i n e c k
erste Vorsteherin des neu entstandenen Hauses, geboren zu
Memmingen am 21. Dez. 1811, in einem Alter von 43 Jahren,
8 Monaten.

Dienen — Diakonisse sein, nicht bloß heißen, das war das Leben
der angreifenden, arbeitsfröhlichen, andere sich nachziehenden
jungfräulichen Magd Jesu von würdiger Haltung. Und heitere,
fröhliche Ruhe in den Wunden Jesu war ihr Sterben. „Um midi",
sprach sie, „brauchen Sie sich nicht zu sorgen, ich bin selig." Ihre
herrliche Todesgestalt war ein mächtiger Zuruf. — Welcher? —
Vorwärts [

Der Herr sei ihr reicher Vergelterl Amen."

In der Parentation heißt es: „Wie gesagt, ihr Leben ist
Leben aus einem Stück". Diese Einheit von Leben und Sterben
hält auch die Gedächtnistafel fest: „und heitere, fröhliche Ruhe
in den Wunden Jesu war ihr Sterben". Ihre Glaubensgewißheit
wird mit dem Ausruf wiedergegeben: „Ich bin selig", während
noch in der Parentation stand: „Ich werde selig". Dies ist wohl
nicht nur ein sprachlicher, sondern auch ein theologischer Unter-

') Mitteilung des Direktoriums der Evang-Luth. Diakonissenanstalt
v. 18. 12. 1959.
ä) 2. Aufl. 1906.

3) Die jüngste Gedenktafel ist von Rektor Dietzfelbinger für die
1954 heimgerufene Diakonisse Elisabeth Kiefer, Oberin 19 50—54, in
traditionellem Stil verfaßt.

*) „Gedenktafeln des Mutterhauses Neuendettelsau", als Manuskript
vervielfältigt.

Als Fundorte sind zu erkennen: 1. das Mutterhaus, 2. das Spital,
3. das Werkamt, 4. die Oekonomic, 5. die Bäckerei, alle in Neuendettelsau
. In Nürnberg: 1. das Krankenhaus, 2. die Zeltnerschule.
Einige in Himmelkron und im Kloster Marienberg.

schied und enthält die Frage, ob man ein Zeugnis durch andere
Zeitform verändern darf. Die Parentation begründet diese
Glaubensgewißheit, während sie in der gedrängten Form der Gedächtnistafeln
nur ausgedrückt wird. Parentation: „Ich bin in
Jesu Blut gewaschen". Eigenwillig ist der Zuruf: „Vorwärts",
in dem die Mahnung an die Bleibenden kräftig zum Ausdruck
kommt. Wo ist diese biblische Dynamik in unserer kasuellen
Verkündigung zu spüren?

II. „Gertrud

ruhe im Frieden und das ewige Licht leuchte ihr! Amen.
Am 2. Adventssonntag des lahres 1891, den 6. Dezember mittags
' unter dem 12 Uhr - Läuten starb dahier im Feierabendhausc die
langjährige Organistin und HauhaItung6diakonisse des Diakonissenhauses
Schwester
Anna Hedwig Gertrud Hahn,

geb. zu Heiligensee bei Bunzloe in Schlesien am 22. Dezember 1832.
Alter: 58 Jahre, 11 Monate, 15 Tage. Meisterin der Töne zum
Preise Gottes und ihres Erbarmers, mäditig fördernd die Erbauung
ihrer Sdiwestern durch Lied und Spiel, dabei den einfachsten Geschäften
eine gute Haushälterin, mit dem Sinne des Kindes in allen
Stüdcen: so ist sie ins wahre Leben eingegangen, es mit neuem
Liede zu preisen."

Bemerkenswert ist die seltene Verbindung wirtschaftlicher
und künstlerischer Gaben und Dienste, schon darin ein Zeugnis
von Wesen und Weite der Diakonie. In ihr wird deutlich, daß
Diakonie mehr eine Grundentscheidung als eine Berufsentscheidung
darstellt. Besonders charakteristisch ist aber die Kontinuierlichkeit
zwischen irdischem und himmlischem Leben, die
bis in den sprachlichen Ausdruck hinein herausgearbeitet wird,
(„so ist sie ins wahre Leben eingegangen, es mit neuem
Liede zu preisen".)

III. „Schwester Adelheid

ruhe im Frieden und da6 ewige Licht leuchte ihrl
Am 3. Oktober 1906 um den Mittag starb in großer, aber freudiger
Eile unsere liebe

Sdiwester
Adelheid L i e s c h i n g

geb. am 2. Nov. 1844 zu Stuttgart.
Reich an tiefen innerlichen Beziehungen zu teuren Vätern und
Lehrern der Kirche, gesegnet von der Kraft eines frommen Hauses
, in Wunderlichkeit und spröder Art zarte, feine und wahre
Gaben verbergend, eine große Lehrerin, um die Gabe der Erziehung
6tets bemüht, hat sie manchem Gesdilecht Bedeutendes gegeben
. Sie ist ein Kind an Art und Fehl geblieben und hat doch
einen schweren Kampf würdig und ernstlich vollendet."

In dieser Würdigung tritt uns ein Zug, der jeder kasuellen
Verkündigung eigen sein sollte, besonders deutlich entgegen:
Liebevolle Wahrhaftigkeit. Die Unbestechlichkeit, mit der hier
ein Lebenszeugnis zur Ehre Gottes vorgetragen wird, ist eingebettet
in Sorgfalt und Behutsamkeit. Bis in die abgewogene
sprachliche Formulierung hinein, ist die fruchtbare Spannung
zwischen Ehrlichkeit und Takt erhalten. Vgl. „in Wunderlichkeit
und spröder Art feine und wahre Gaben verbergend
(Sperrung v. Ref.), eine große Lehrerin, um die Gabe der Erziehung
stets bemüh t". Hinter einer solchen Charakteristik
steht verpflichtend, normierend und korrigierend das biblische
Menschenbild. In geistlicher Nüchternheit wird
festgehalten: „Sie ist ein Kind an Art und Fehl geblieben".
Diese Erkenntnis streitet wider jede Perfektion istische Theologie
. Im gleichen Satz wird aber die neu schaffende Kraft des

Heiligen Geistes gepriesen: ..... und hat doch einen schweren

Kampf würdig und ernstlich vollendet", Konkretisierung des
„simul justus — simul peccator".

IV. „Der treuen Viehmagd

Sabine
das dankbare Diakoni6scnhaus.
Jungfrau
Anna Sabine Köhler
starb im Frauenhospital des Diakonissenhauses am 9. Jan. 1868
15 Minuten nadi Mittae im Alter von 47 Jhren, 10 Monaten und