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Ausgabe:

1960 Nr. 12

Spalte:

905-910

Autor/Hrsg.:

Nagel, William

Titel/Untertitel:

Die pommersche Confirmatio und ihre Beseitigung im 19. Jahrhundert 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 12

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wie im darstellenden Sinne auf die Einheit des deus nunc loquens
bezogen ist und von diesem Zentrum her das Recht, die Mittel
und die Wege ihrem besonderen Belang nach zu beurteilen hat.

Die Unterscheidung der Ordnungsfelder ist methodisch heuristisch
bedingt und gestattet im Sinne eines Koordinatensystems
ihre jeweils zuständigen Bewertungsgesichtspunkte homiletisch
systematisch zu entwickeln, um so dem Predigtganzen in
der Verflochtenheit seiner Intentionen differenzierend gerecht zu
werden und Einseitigkeiten in der Beurteilung zu vermeiden.
Die gesamte Aufgabe ist ein Akt normausgerichteter Interpretation
, der sich gerade auch in seinen Ermessensurteilen einer sich
unter entsprechenden Ordnungsgesichtspunkten vollziehenden
Gegenkritik zu stellen haben wird. Methodisch heißt also das
ordnungskategoriale Vorgehen in der kritischen Beurteilung, das
ganzheitlich ausgerichtet in jedem seiner Schritte homiletisch be-
gründbar und insofern theologisch legitimiert ist.

Die hier nur skizzenhaft angedeutete Methodik der Predigtkritik
bedeutet für unsere homiletische Aufgabe also Folgendes:

1. Sie 6etzt empirisch im Element der sich unter uns begebenden
Verkündigung an. Sie fordert also nicht abstrakt ins Leere hinein
, sondern bleibt auch mit ihren formalen Kategorien ständig
den tatsächlichen Aussagen der Predigt verbunden. 2. Sie bewahrt
uns kraft der kerygmatisch verstandenen Systematik ihrer Ordnungsfelder
und Normbestimmtheiten vor exegetischen oder dogmatischen
Einseitigkeiten in der Beurteilung, wie sie heute vielfach
üblich sind. Sie rechnet also mit einer vom Ganzen des
Predigtauftrags hergeleiteten Skala von Maßgesichtspunkten,
deren Sicht zugleich heuristische Bedeutung für die eigene
Predigtkonzeption zu haben vermag. Damit leitet 6ie 3. zu einer
sachgemäßen Selbstkritik an, die es ermöglicht, sich aller heterogenen
Kritik kritisch gegenüberzustellen und an predigtgemäßen
Maßstäben den homiletischen Sinn und Wert der einzelnen
Predigtaussagen in ihrer Bedeutung für das Predigtganze und im
Hinblick auf die Aufgabe der Verkündigung überhaupt zu bestimmen
und zu beurteilen.

Die pommersche Confirmatio und ihre Beseitigung im 19. Jahrhundert

Von William Nagel, Greifswald

Im Ringen um die Neugestaltung der Konfirmation ist uns
im Konfirmationsausschuß der Evangelischen Kirche der Union
das in Pommern im Reformationsjahrhundert hcrausgebildcte
Konfirmationsverständnis wieder bedeutsam geworden. Es tritt
uns in der Pommcrschen Kirchenordnung von 1563 (E. Sehling,
Die Ev. Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. IV. Bd. Leipzig
1911, S. 385 ff.) und der Agende von 1569 (Sehling, a. a. O.,
S. 441 ff.) entgegen. Worin liegt die Eigenart der pommerschen
Confirmatio, zu der sich keinerlei Parallelen nachweisen Jassen?
Man wird ihrer am eindeutigsten im Vergleich mit dem von Erasmus
beeinflußten Konfirmationsverständnis inne, wie es uns
überwiegend zur gleichen Zeit entgegentritt. Wenn dort der einzelne
sein Bekenntnis ablegt, so will hier die Kirche dem Getauften
die mit der Taufe empfangene Gnade bestätigen, ihn
damit seines Christenstandes gewiß machen und ihm die darin
liegende Verantwortung zu Bewußtsein bringen. Dort geht es
um Ergänzung der Taufe, während hier in keiner Weise Taufbekenntnis
und Taufgelübde wiederholt werden, sondern die
Vollgültigkeit der Taufe für das ganze Leben des Getauften zum
Ausdruck kommt. Statt einer Verdunkelung der Taufe dort will
diese Handlung den im Taufglauben Unterwiesenen und Geprüften
den „Trost" der Taufe bezeugen, ,,dat de junge leve jöget
ock höret tom rike Christi" (Sehling, a. a. O., S. 441.). Wie sie
demnach das Sakrament der Taufe nicht beeinträchtigt, 60 gewinnt
sie auch in ihrer Bezogenheit auf das Heilige Abendmahl
kein solches Eigengewicht, daß dadurch dieses in 6einer ganz anderen
sakramentalen Bedeutung gemindert würde. Die pommersche
Confirmatio wird nämlich nur „urrfme des catechismi
unde umme des Gebedcs willen" (Sehling, a. a. O., S. 443) gehalten
; 6ie ist nicht admis6io zum Abendmahl. Katechismusexamen
, Zeugnis von der Taufe als einer das ganze Menschenleben
bestimmenden Handlung, Fürbitte der Gemeinde für die
am Abschluß des nachgeholten Taufunterrichtes Stehenden, Zuwendung
dieser Fürbitte an die Kinder durch Handauflegung und
deren Segnung bilden ih ren Inhalt. Handauflegung und Segnung
sind dabei gegen ein sakramentales Mißverständnis abgegrenzt.
Der Sinn der Konfirmationshandlung wird dahin bestimmt, „dat
man aver se mit der ganzen gemeinde bede, godt aver se anrope,
mit uplegginge der hende, unde den segen aver se 6preke, da-
dorch 6e also in erem christendom bestediget werden, tüchenisse
crer döpe entfangen, up dat se siok erer döpe weten to tröstende
legen den düvel, unde Sick erinnern, dat se vor godt in rechtem
E'oven, in hillicheit unde gcrechticheit, die gade gevellich is,
leven Scholen" (Sehling, a. a. O., S. 443). Die Confirmatio steht
nur lnfiofcrn in Beziehung zum ersten Abendmahlsgang, als ein
6°r?er °'1ne Confirmatio nicht erfolgen kann; man weiß dagegen
nichts von der Verleihung eines Abendmahls rechtes an die
Konfirmierten. Angesichts des Großmachens der Taufe in diesem
Konfirmationsakt scheint mir die Annahme nicht abwegig, daß
man 6ich dessen bewußt war, jeder Getaufte sei bereits durch

seine Taufe grundsätzlich auch zum anderen Sakrament eingeladen
(vgl. dazu den Sermon bei der Confirmatio, in dessen erstem
Stück herausgehoben wird „de herrlike tosage, dat söleker kinder
dat rike gades is mit allen sinen güdern", während im 2. Stück
erläutert wird, „wo gade6 rike up erden sta im predigamte,
worde, sacramenten, geloven, gebet unde leve", Sehling, a. a. O»,
S. 442). Von hier aus bedeutet es eine Sache rein seelsorgerlicher
Erwägung, zu welchem Zeitpunkt der junge Mensch der
Einladung zum Mahl des Herrn zum ersten Male nachkommen
soll. Dafür ist deshalb auch kein weiterer gottesdienstlicher Akt
vorgesehen, sondern die Agende bemerkt hier nur: „De kindere,
de den catechismum unde de bicht weten, de schal men to der
confirmation toleten, dat se dar na to dem hochwerdigen sacra-
mentc gan, wenn idtde olderen mitdem pastore
vor gut anseen" (Sehling, a. a. O., S. 441).

Die Prnxis der folgenden Jahrhunderte erweist: einerseits kannte
man für Confirmatio und ersten Abendmahlsgang überhaupt kein festgesetztes
Alter, sondern die für das Bestehen der Katechismusprüfung
nötigen Kenntnisse bestimmten das Konfirmationsalter — so begegnen
uns z. B. im Kirchenbuch von Dersekow als jüngste Konfirmandin ein
Pfarrerskind von 7 Jahren (1709), als älteste Konfirmanden ein Siebzehnjähriger
und ein sechzehnjähriger Kossäthensohn (1698) —; andererseits
erscheinen die Konfirmierten erst drei bis fünf Jahre später — es
gibt auch noch größere Abstände — erstmals am Tisdi des Herrn. Hierfür
ist maßgebend die seelsorgerliche Entscheidung des Pastors zusammen
mit den Eltern. Außerdem ist stets Privatbeichte mit Absolution
vorauszusetzen, wie sie in Pommern von allen Kommunikanten
gefordert wurde. Durch die in den Kirchenbüchern neben der Rubrik
„Eingesegnet" erscheinende Rubrik „Ad sacr. coen. praep." läßt sich
jedenfalls seit dem 18. Jahrhundert auch eine spezielle Unterweisung
für die Erstkommunikanten nachweisen. Gleichfalls im 18. Jahrhundert
hat sich als Regel herausgebildet, die Knaben nicht vor dem 14. und
die Mädchen nicht vor dem 12. Jahr zu konfirmieren, um sie im 15.
und 16. Jahr zum Abendmahl zuzulassen; dies beweist das Jus eccle-
sia6ticum Pastorale etc., ein« Auslegung der Pommersdien Kirchenordnung
von dem Greifswalder Juristen Augustin von Balthasar (2 Bde.,
Rostock u. Greifswald 1716 u. 1763). Die Gültigkeit dieser Ordnung
ist in Vorpommern und Rügen bis zum Ende der Schwedenzeit unbestritten
geblieben. So ergibt sich bis in die beiden ersten Jahrzehnte
des 19. Jahrhunderts folgendes Bild: das konfirmatorische Handeln
stellt sich als ein gestrecktes Handeln dar. Die Confirmatio mit ihrem
bereits erörterten Inhalt wird im Alter von 12 bis 14 Jahren vollzogen
. 2 bis 4 Jahre später folgen nach einer seelsorgerlichen Entscheidung
über die Reife zum ersten Abendmahlsgang ein Vorbereitungsunterricht
, der noch einmal zu engem Kontakt zwischen der Kirche
und ihrer Jugend führt, ein seelsorgerlidies Gespräch in Gestalt von
Beichte und Absolution und der erste Abendmahlsgang. Ohne das hier
weiter ausführen zu können, wird einleuchten, daß wir uns bei der
Neugestaltung der Konfirmation mit dieser eigenständigen Form sehr
ernstlich auseinander setzen sollten.

Ich hoffe, darin wird uns der Nachweis bestärken, daß die
pommersche Confirmatio nicht an innerer Fragwürdigkeit zugrunde
ging, sondern ganz anderen Faktoren erlegen ist. Neben