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Ausgabe:

1960 Nr. 12

Spalte:

897-906

Autor/Hrsg.:

Konrad, Joachim

Titel/Untertitel:

Zur Methodik der Predigtkritik 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 12

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storalen Tätigkeit. Th. Harrjack erklärte das Fach als „Wissenschaft
von der Selbstbetätigung der Kirche zur Auswirkung ihrer
Idee auf Grund ihrer Vergangenheit für die Fortbildung zu ihrer
Zukunft" (Prakt. Theologie, I. Bd., Erlangen 1877, S. 23). Die
grundlegende Bedeutung der Vergangenheit führte zur Einbeziehung
historischer Forschungen, und die nähere Klärung des
Kirchenbegriffs rückte die konfessionell geprägte Kirche in den
Blickpunkt der Praktischen Theologie. Die Erlanger erkannten
in der Verbindung ihrer wissenschaftlichen Aufgabe mit ihrem
Dienst an der lutherischen Kirche den Sinn ihrei Tätigkeit, und
Th. Harnack erklärte: „Alle hervorragenden Theologen aller
Jahrhunderte haben 6ich auch als Organe der Kirche angesehen,
und nach dem Maße der Intensität, in welchem sie es getan, bemißt
sich auch die Größe und Bedeutsamkeit ihres Wirkens für
die Theologie und Kirche" (Prakt. Theologie I, 6).

Mit dem Entwicklungsgang, den die Praktische Theologie

im 19. Jahrhundert nahm, hat sie 6ich als wissenschaftliche theo- | aufruft.

logische Disziplin konstituiert und hat das Gepräge erhalten, das
auch für unsere Gegenwart gültig ist. Wüßte sie sich heute und
im Blick auf morgen nicht mehr in dem Maße der theologischen
Wissenschaft verpflichtet wie zur Zeit ihrer Entstehung, so hätte
sie nicht nur ihre Existenzberechtigung im Bereich der Theologie
verscherzt, sondern würde auch ihren eigentlichen Dienst an der
Kirche versäumen. Das ist besonders für die Gegenwart zu bedenken
, in der im öffentlichen Leben die Kirche ein ungleich stärkeres
Interesse beansprucht als die Theologie 1 Je deutlicher die
Kirche in das Bewußtsein unserer Zeit tritt, um so bedeutsamer
wird die Praktische Theologie als „Umschlagstelle der gesamten
Theologie für die Kirche", wie Leonhard Fendt sie genannt hat,
zu deren Wahrung als „Wissenschaft von dem Aktuell-Werden
und Aktuell-Sein der Gesamttheologie" (L. Fendt, Die Stellung
der Prakt. Theologie im System der theol. Wissenschaft, Göttingen
1932, S. 24) der Blick auf die Geschichte ihrer Entstehung

Zur Methodik der Predigtkritik

Von Joachim K o n r a d, Bonn

Was im Rahmen eines solchen Kurzreferates gesagt werden
kann, wird nicht viel mehr sein als ein paar programmatische
Andeutungen. Mich beschäftigt im Hinblick auf unsere Predigtsituation
und die Verantwortung, die wir für die Ausbildung
der Prediger in der Praktischen Theologie zu tragen haben, die
Sorge, ob wir mit der heute üblichen Handhabung der Homiletik
auskommen. Trotz aller Bemühungen um deren geschichtliche
und systematisch theologische Fundierung wird sie sehr zu ihrem
Schaden im allgemeinen nur in der Aschenbrödelrolle einer Regelkunst
gesehen und gewertet, die dem Pfarrer Anweisungen zu
geben hat, wie er das exegetisch erarbeitete Textgut seiner Gemeinde
bestmöglich unterbreiten kann. Die 60 verstandene Aufgabe
ist nicht einfach falsch gesehen, aber sie impliziert Fragestellungen
, die in ihrer grundsätzlichen Problematik viel weiter
reichen als die Überlegung, „wie sag ichs meinem Kinde?" Die
Frage nach der methodischen Bezogenheit des Was auf das Wie
greift in Tiefen, die den Begriff der Regelanweisung weit überschreitet
.

Das ist sicher keine neue Erkenntnis, aber bedarf einer ganz
anders intensiven Berücksichtigung. Vor allem scheint mir der
Begriff der Form der Predigt in seiner Bedeutung für den Ansatz
ihrer Gestaltung zu äußerlich und in seiner prinzipiellen Funktion
nicht theologisch fundamental genug verstanden zu werden. Es
geht dabei nicht nur um kompositionelle, ästhetische oder rhetorische
Stilisierung, sondern um die heute gebotene Form der
Auslegung, der Vergegenwärtigung und der Bezeugung des Wortes
Gottes, in der es seine uns treffende Gestalt zu gewinnen hat.
Also um das Wie, das der Aufgabe der Predigt entsprechend
dem Was kerygmati6ch erfüllende Genüge leistet und insofern
die Predigt als Predigt konstituiert. Da6 ist kein Problem
der bloßen Predigttechnik, sondern erfordert eine theologisch
methodische Erfassung der Beziehungen von Geist und Form im
Hinblick auf die Verkündigung, in der die Homiletik ihre bescheidenen
Grenzen sprengend sich ak Kerygmatik verstehen und
betätigen muß. D. h. 6ie hat über die praktische Anwendung
dieses oder jenes Textes hinaus nach den Wegen zu fragen, auf
denen da6 Wort unter uns ak viva vox evangelii in Erscheinung
tritt.

Anders formuliert: sie darf den Pfarrer in seiner meditativen
Bemühung um da6 Quid mihi? Quid nobis? Quid mundo?
und dem daraus sich entfaltenden Quomodo? seiner Predigtgestaltung
nicht allein lassen und diese Fragen nicht nur auf
seinen besonderen Text beschränken, sondern hat sie unteT-
auend dem uns gebotenen Ge6amtkerygma gegenüber zu stellen.
™*t so vollzieht sich der notwendige Brückenschlag, der den
1lk J°m exe8etiscnen l|nd dogmatischen Bibelverständnis zum
P !r Cn ^erygma sichtbar werden läßt. Das entbindet den
rediger nicht von den selbständigen Schritten, die er von seinem
ext her in seiner Lage zu gehen hat, aber bindet sein medita-
t!v" Bemühen in eine Gesamtüberlegung methodisch kerygma-
tischen Denkens hinein, in dem das Was Ton vornherein und

prinzipiell auf das „Also wie heute?" und insofern auf die uns
gebotene Form der Predigtbezeugung ausgerichtet sein läßt.

Um dahin zu führen, wird sich aber in der Homiletik eine
Schwerpunktsverlagerung vollziehen müssen. Sie wird 6ich nicht
als bloßes Appendix der Exegese und Dogmatik verstehen dürfen
, sondern, ohne die Wichtigkeit der hier zu leistenden Arbeit
zu unterschätzen, ihren Ansatz bei der lebendig betätigten Verkündigung
selbst nehmen müssen. Sie wird untersuchen müssen,
wie solche Verkündigung tatsächlich aussieht, um von daher
kritisch zu erfassen, wie 6ie auszusehen hat. Sie wird empirisch
vom Befund der Predigt auszugehen haben, um im Hinblick auf
deren Aufgabe zeigen zu können, wie gepredigt wird und gepredigt
werden 6oll und so die Formgesetze des Predigens systematisch
erfassen zu können. Jeder Architekt lernt erst einmal
Grundrisse und Profile bereits erstellter Bauten nachzeichnen
und nachkonstruieren, ehe er selbst baut. So wird die Homiletik
entsprechend mit der Predigtanalyse zu beginnen haben, um die
Baugesetze des Predigens daraus zu erheben, um die Formkategorien
und Maßwerte in den Griff zu bekommen, die eine Predigt
zu bestimmen haben.

Ich weiß, daß Predigtanalyse immer wieder in unseren homiletischen
Seminaren und Proseminaren als eine Art Hilfswissenschaft
betrieben wird. Aber nun wird e6 darauf ankommen, die
Methodik solchen Analysierens grundsätzlich herauszustellen und
in ihrer Bedeutung für die Homiletik fruchtbar zu machen. Die
bloße Beschäftigung mit der Predigtgeschichte tut es nicht. Sie
bleibt ja zumeist eine Kunstgeschichte ohne Bilder. Wenn sie
nicht direkt an die Quellen heranführt, gibt sie nur fertig geprägte
Urteile weiter. Und auch das bloße Lesen von Predigten
bleibt wenig ersprießlich, wenn nicht in analytischer Durchleuchtung
und Durchdringung die homiletischen Formen ihrer
Aussagen sichtbar werden und auf ihre Gültigkeit untersucht
werden. Denn auf das Verstehen dessen, wie da6 Was im Wie
hier seinen sachgerechten Ausdruck findet, kommt es an. Die
Analyse und ergänzend zu ihr der methodische Vergleich von
Predigten weisen nun auch die Variationsbreite möglicher Verkündigungsformen
auf, die man kennen und kritisch durchschauen
muß, wenn dem eigenen Gestalten der Weg gewiesen
werden soll.

Man begegnet heute in Vor- und Nachworten von herausgegebenen
Predigten hermeneutischen und auch homiletischen
Hinweisen (z. B. bei Diem, Wölfl, Kraus, Westermann, Müller-
Schwefe u. a.). Hier meldet sich das Problem am Rande. Was uns
fehlt, sind homiletisch durchkommentierte Predigten, an denen
analytisch demonstriert wird, wie sie gebaut sind, wie hier verdolmetscht
, argumentiert und appliziert wird, um 60 die Gestaltungswege
des Predigens und die sie bestimmenden Beziehungen
von Geist und Form, von Gehalt und Bezeugung sichtbar zu machen
und daran zu zeigen, worauf es ankommt. Und weiter: um
auf solcher Analyse aufbauend zu einer methodisch fundierten
Predigtkritik vorzustoßen. Wir brauchen eine methodisch durch-