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1960 Nr. 1

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 1

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Sprachbereich Wurzel gefaßt hat, mag obendrein als besonders
bemerkenswert erscheinen.

Der Text, der in der ThLZ 1935 besprochen wurde, ist in
der Ausgabe von 1958 photomechanisch reproduziert, so daß er
einer erneuten Erörterung nicht bedarf. Neu dagegen ist die vom
Herrn Herausgeber besorgte Einleitung S. XVII — XCVI, die zwar
im Vorwort ausdrücklich als eine Leistung bezeichnet wird, die
sich dem Studenten zuwendet, jedoch dem mitarbeitenden Fachgelehrten
Wesentliches sagt. Bizer beruft sich im Vorwort ausdrücklich
auf das 6ehr zurückhaltende Urteil von Hans Emil
Weber und schließt sich diesem unter gewissen Vorbehalten an.
Das ist, wie die Dinge liegen, ein systematisch theologisches Sachurteil
. Man wird ihm jedenfalls insoweit folgen müssen, als es
undenkbar ist, Theologen des 17. Jahrhunderts (im Kern) unmittelbar
und unter Überspringung der historischen Distanz wie
Zeitgenossen zu behandeln. Genau dies würde, so weit ich urteilen
kann, dem ursprünglichen Ansatzpunkt der reformierten
Theologie widersprechen (sowohl ihrem Schriftprinzip als auch
ihrer erstaunlichen Traditionsbezogenheit). Die Einleitung selbst
bekommt unter diesen Umständen etwas im Stil und in der Darstellungsform
ausgesprochen Distanziertes, das den beteiligten
Leser da und dort auch schmerzlich berühren mag, methodisch
aber notwendig ist. Im Ganzen zeigt die historische Darstellung
freilich auch, daß weit über den dritten Band von Otto Ritschis
Dogmengeschichte des Protestantismus hinaus die Geschichte der
reformierten Orthodoxie einer erneuten Durcharbeitung bedarf,
die, wie man meinen möchte, auch die Ergebnisse von Hans Emil
Weber auf weite Strecken hinter sich lassen würde.

Göttingen Otto Weber

Ferre, Nels F. S.: Dynamic Centralism in Theology.
Theology Today 16, 1959 S. 329—337.

Henschel, Martin: Figuraldeutung und Geschichtlichkeit.
Kerygma und Dogma 5, 1959 S. 306—317.

Lillie, William: The Christian Conception of Love.
Scottish Journal of Theology 12, 1959 S. 225—242.

Pannenberg, Wolfhart: Heilsgeschehen und Geschichte (Fortsetzung
und Schluß).

Kerygma und Dogma 5, 1959 S. 259—288.
P o k o r n y. Petr: Kirche und Mächte.
Communio Viatorum 2, 1959 S. 71-— 82.

VON PERSONEN

Alfred Dedo Müller zum 70.Geburtstag

Am 12. Januar vollendet D. Dr. Alfred Dedo Müller, seit 30 Jahren
Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologie an der Karl-Marx-
Universität zu Leipzig, sein 70. Lebensjahr. Der Jubilar hat als Pfarrer
und Hochschullehrer ausschließlich im Räume seiner sächsischen Landeskirche
gelebt und gewirkt. Als Erzieher vieler Generationen evangelischer
Pfarrer Sachsens hat er die Gestalt dieser Kirche in Predigt und
Seelsorge maßgeblich beeinflußt.

Es ist nicht leicht, den Punkt zu finden, der bei der Vielfalt der
Interessen, der Weite der Arbeitsgebiete, der Aufgeschlossenheit für
alle Probleme kirchlichen Lebens, die Strukturmitte dieses Lebenswerkes
ist. Bei Durchsicht der Bibliographie wird man staunend den komplexen
Charakter der Persönlichkeit und der Arbeiten des Jubilars feststellen.
Dedo Müllers Thematik greift ganz bewußt über die Binnenkirchlichkeit
hinaus und umschließt die gesamte Kulturproblematik.

Es sei gewagt, die Charakteristik des Jubilars mit der Schilderung
des Predigers Dedo Müller zu beginnen. Wer ihn von der Kanzel der
Universitätskirche gehört hat, wie er mit energievollem Einsatz die Botschaft
Gottes vorträgt, wird am ehesten die Wesensmittc dieses Theologen
treffen. Die Buchtitel des ersten Predigtbandes „Du, Erde, höre!"
und des 1953 erschienenen „Der Ausweg" kennzeichnen die Veränderungen
der Predigtsituation im Ablauf dieses Lebens. Der prophetische
Ton des im Jahre 1930 erschienenen Bandes „Du. Erde, höre!" mit seinen
Warnungen und Beschwörungen wollte das Evangelium als Lebensmacht
, als „Religion im Alltag" kundmachen. „Der Ausweg" ist der
Versuch, in 14 Predigten „die Universalität der christlidien Botschaft
für Gläubige und Ungläubige" zu bezeugen. Nach den Krisen und Erschütterungen
unseres Daseins, die der Jubilar auch persönlich intensiv
mitdurchlebte, steht nicht die Resignation, sondern die hilfreiche Bemühung
, „die Grundwahrheiten unserer Existenz heute im Lichte des
Wortes" auch an die Entfremdeten weiterzusagen. Das Stichwort „Universalität
" gibt die theologische Konzeption Dedo Müllers treffend
wieder. Die Weltproblematik ist ein kirchliches Problem. Gott und Welt
sind aufeinander bezogen. „Gott entläßt die Welt nicht aus seinem
Herrschaftswillen". Der kosmologisdie Aspekt aller kirchlichen Praxis
will eine Korrektur gegen die Weltabseitigkeit und Abstraktheit des
Christentums sein. „Die Welt läßt sich nur unter der Perspektive des
Reiches Gottes in ihrer Wirklichkeit erfassen."

Die Praktische Theologie entwickelt „die Lehre von der richtigen
Verwirklichung des Reiches Gottes in der Kirche und durch die Kirche
in der Welt". Damit hat Dedo Müller sein eigenes Thema gefunden,
das er als Hochschullehrer mit großem Nachdruck vertreten hat. Er hat
mit Energie um die Würde der Praktischen Theologie gekämpft. Er
wollte sie bewahren, einerseits vor dem Charakter eines „Technikums"
und andererseits vor einer Distanzierung von der kirchlichen Praxis.
Wenn er seinen Studenten unermüdlich immer wieder einprägt, daß es
richtige und falsche Praxis gibt, und daß die Praktische Theologie
die Aufgabe einer Ordnungs- und Gestaltungshilfe habe, will
er der gesamten späteren Amtsführung der Pfarrer dienen. Die
kritische Funktion der Praktischen Theologie soll sich durch eine
radikale theologische Fragestellung bewähren. Nichts kann ihm in der
Praxis der Kirche imponieren, wenn es sich nicht als sachlich-richtig,

biblisch-legitimicrt, kirchlich-sinnvoll ausweisen kann. Man hat ihm in
diesem Zusammenhang hin und wieder den Vorwurf des Formalismus
gemacht, wenn er die geistliche Haltung des Praktischen Theologen als
unbedingt realistisdi, unbedingt kritisdi, unbedingt konkret beschrieben
hat. Für ihn waren diese Kategorien aber keineswegs nur formale
Betrachtungsweisen. Er wollte sie als Überlegungshilfe, als Erziehungsund
Prüfungsmaßstäbe anbieten. So, wie er im Gebetsleben, in der
Meditation die Übung als vordringlich betrachtete, so eben auch in
der Theorie der Praxis. Wir würden dem Jubilar Unrecht tun, wenn
wir diese systematisierende Tendenz seiner Praktischen Theologie als
formalistisch mißverstehen würden; denn er könnte auf seinen Einsatz
für die d i a k o n i s c h e Funktion der Praktischen Theologie hinweisen
, so wie er herausstellt, daß „gerade die theoretischsten Darlegungen
(seines Grundrisses) nicht aus einer abstrakten Geistcshaltung geboren
sind, sondern aus der inneren Solidarität mit all den Nöten, in denen
die kirchliche Praxis selbst steht". Er hat die Aufgabe als dringlich bezeichnet
, daß „die diakonische Funktion der Kirche in der theologischen
Grundlegung noch tiefer verankert und ihre Konkretisierung noch wirksamer
" gemacht werden könne. Deswegen ist es ihm eine Freude, daß
die „Diakonik" als gleichberechtigtes Arbeitsgebiet in die Pflichtvorlesungen
seiner Fakultät einbezogen wird und ein Anliegen, daß das
„Seelsorge-Seminar" gleichwertig neben die klassisdien Übungen in der
Homiletik und Katechetik trete. Wer könnte es unternehmen, die Persönlichkeit
des Jubilars auf engem Räume darzustellen? Vielleicht trifft
dies aber den Kern seines Wesens und den bleibenden Beitrag seines
Wirkens am besten, was als Thema über einer seiner Predigten stand:
„Intellektuelle Redlichkeit". Dazu hat er seine Studenten erziehen wollen
, daß 6ie das Grundproblem unserer Tage „Glauben und Wissen" in
seiner Spannung bejahen, immer wieder durchdenken und durchleben
und in einer fruchtbaren wechselseitigen Durchdringung erfassen. In
diesem Bemühen geht vom Jubilar vorbildliche Kraft aus zum Gewinn
für Schüler und Kollegen.

Die Leipziger Theologische Fakultät hat Alfred Dedo Müller mit
zahlreichen Unterschriften aus dem In- und Ausland folgende Tabula
gratulatoria überreicht:

Alfred Dedo Müller

theologiae doctori professori publico ordinario universitatis litterarum
Lipsiensis, quae a nomine Caroli Marx appellatur,
moderatori instituti practicae theologiae,

optimo per multos annos gubernatori collegii praedicatorum ccclcsiae
saneti Pauli Lipsiensis,

summo praedicatori priscae universitatis ccclcsiae 6ancti Pauli,
qui in schola Augustina Grimmensi litteris Graecorum ac Romanorum
eruditus et adulescens verbis 6ententiisque Ioannis Müller et Friderici
Guilelmi Förster, illustrium virorum, maxime motus iam ante illud
bellum, quod anno millesimo nongentesimo quarto deeimo commissum
est, perspexit, quid sentirent, cogitarent, vellent homines, et in ipsa
acie versatus cognovit cottidianam vitam hominum esse imbuendam