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Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

869-876

Autor/Hrsg.:

Wolff, Otto

Titel/Untertitel:

Paul Tillichs Christologie 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

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nach scheint also das zweite trinitarische Prinzip für Tillich wenigstens
der Möglichkeit nach neben allen genannten Inhalten auch
bereits den Grund der „Aussprechbarkeit" in sich zu bergen. Das
bekräftigt Tillich selbst, wenn er an anderer Stelle sagt:„Im logos
spricht Gott sein .Wort', sowohl in sich als auch über sich selbst
hinaus. "1-i Natürlich sind das für Tillich symbolische Aussagen.
Aber jede symbolische Rede faßt ja — so wird vorausgesetzt — den
symbolisierenden Begriff in der ihm eigenen selbsttranszendieren-
den Partizipation am Sein. Das müßte auch vom „Wort" gelten.
Die ihm spezifische Partizipation scheint in der „Aussprechbarkeit
" des Seins zu liegen. Dem aber wird von Tillich merkwürdigerweise
kaum Folge gegeben. Vielmehr nimmt Tillich — so
scheint uns — gerade den eigentümlichen Symbolgehalt des „Wortes
" immer wieder zurück in andere, ihm nicht so spezifische on-
tologische Tatbestände. „Wort" oder „Wort Gottes" wird allenthalben
erläuternd revoziert in „Sinn"14, in „Geistigkeit"15, in
„Rationalität"18, in „Sein"17, in „Struktur"18, in „Form"19 und
sehr betont in „Offenbarsein"20. Sie alle aber erfassen unseres
Erachtens nicht denjenigen eigentümlichen Zug, der es erlaubt, den
Begriff „Wort" als echtes Symbol zu fassen und den Tillich selbst
mit dem Ausdruck „Aussprechbarkeit" des Seins wenigstens angedeutet
hat. Vielleicht wäre bei einem noch stärkeren Heranziehen
der semantischen und ontologischen Bedeutung von Begriff
und Symbol „Wort Gottes" die Antithetik des folgenden Satzes
nicht mehr möglich: „Wenn Jesus als der Christus der logos genannt
wird, bedeutet logos eine Offenbarungswirklichkeit und
nicht Offenbarungsworte51."

Die zweite, in der Diskussion um Tillichs Theologie bereits
aufgegriffene Frage betrifft seine Feststellung, an einer einzigen
Stelle könne, dürfe und müsse die Bindung theologischer Rede an
das Symbol aufgehoben werden: dort, wo gesagt wird, „daß Gott
•das Sein-Selbst ist"22. Tillich meint, dies müsse festgehalten
•werden, weil der genannte Satz „direkt" sei und sich nicht selbst
transzendiere, während alle symbolischen Aussagen, die an ihn
anschließen, „auf etwas jenseits ihrer selbst"23 hindeuteten. Dabei
steht für Tillich zweierlei auf dem Spiel: einmal die Möglichkeit,
theologisch auszudrücken, daß den Menschen „etwas unbedingt
angehen kann"24. Vermag der Theologe das Woher dieses Tatbestandes
nicht mehr unsymbolisch „Gott" oder „Sein-Selbst" zu
nennen, so ist eine Theologie der Offenbarung im strengen Sinne
kaum mehr möglich. Theologie würde zur Spekulation. Zweitens
aber und damit verbunden handelt es sich um die Notwendigkeit,
einen letzten theologischen Realismus aufrechtzuerhalten, damit
das „symbolische" Sprechen nicht in Nominalismen abgleitet.

") STh l 289.

14) STh I, 149: „...Selbstmanifestation der Tiefe des Seins und
Sinns."

15) STh I, 188: „Die Selbstmitteilung de6 Seinsgrundes hat geistigen
, nicht mechanischen Charakter."

le) STh I, 188: „Die Ekstase der Offenbarung ist nicht .alogos'..."

") STh I, 188: „,Das Wort' ist ... das Sein des Christus . . ."

18) STh I, 276: „Da Gott der Grund des Seins ist, ist er auch der
Grund der Struktur des Seins." Vgl. STh I, 289: „... verbindet die
sinnvolle Struktur mit Kreativität."

1B) STh I, 288: „Seinssinn enthält ... die Formen und Strukturen
der Wirklichkeit."

20) STh 1, 189: „ ,Gott ist offenbar' — das Geheimnis des göttlichen
Abgrundes, das sich ausdrückt im göttlichen logos — das ist der
Sinn des Symbols ,Wort Gottes'."

S1) STh I, 187. ") STh I, 277. Vgl. STh I, 273.

**) STh I, 277.

21) Tillich, Paul: Systematische Theologie. Bd. II. Stuttgart 1958.
S. 16.

Tillich sieht sehr deutlich, daß Partizipation von Seiendem am
Sein-Selbst begrifflich nur behauptet und damit für die behaupteten
Begriffe in welcher Weise auch immer nur angenommen werden
kann, wenn das Sein-Selbst dem menschlichen Begreifen und dem
menschlichen Reden faßbar bleibt25. Ist dann aber mit der behaupteten
„analogia entis" und der zugleich gemeinten „analogia
cognitionis" nicht auch eine Analogie des Wortes festgehalten,
die das „Wort" des Seins und das Wort der Rede enger aneinander
bindet, als Tillich das an anderen Stellen seines Systems hervortreten
läßt? Und liegt nicht zwischen der Behauptung dieses
einen unsymbolischen Satzes und der Bindung allen anderen
theologischen Redens an das Symbol eine Übergangsstelle, welche
nach der einen oder der anderen Seite hin die als notwendig, aber
doch in ein Nacheinander gesetzte Zuordnung von Sein und Wort
in Frage stellt? Tillich hat auf Anfragen, die diesen Punkt betrafen
, in der Einleitung des zweiten Bandes seiner Systematischen
Theologie zu antworten gesucht, indem er die Grenze zwischen
unsymbolischem und symbolischem Reden schärfer bestimmte. Er
sagt, daß dort, wo unsymbolisch über Gott gesprochen würde, dies
nur „in der Foim des Fragens nach ihm" geschähe, während „in
dem Augenblick", „in dem wir über diesen Punkt hinausgehen",
die „Verschmelzung einer symbolischen mit einer unsymbolischen
Aussage" stattfände2'. Das kann nicht anders verstanden werden
als so, daß Tillich nun den Satz „Gott ist das Sein-Selbst" als nicht-
symbolisch und symbolisch zugleich verstehen will, und zwar als
nichtsymbolisch im Sinne eines nach Gott fragenden, als symbolisch
aber im Sinne eines auf die Frage nach Gott antwortenden
Satzes. Doch dürfte dann wahrscheinlich der nichtsymbolische
Aspekt dieses Satzes überhaupt nicht Bestandteil des theologischen
Aussagezusammenhanges im strengen Sinne genannt werden.
Theologische Aussagen gründen ja nach Tillichs Voraussetzungen
im vollen Bezug auf den Korrelationszirkel von existentieller
Frage und göttlicher Antwort. Ein Ausdruck, der einen Aspekt
seiner selbst nur einem Glied der Korrelation — hier der Frage —
verdankt, ist diesem Aspekt nach kein theologischer Aussagebestandteil
, der mit dem voll korrelativen Aspekt dieses Ausdrucks
in einen Gleichstand treten könnte27. Der Satz „Gott ist das
Sein-Selbst" müßte, wenn theologisches „Hinausgehen" über die
existentielle Frage tatsächlich zum Symbol in Tillichs Sinn führt,
solange die korrelative Methode in Geltung bleiben soll, als symbolischer
Ausdruck verstanden werden. Dann aber wäre sehr die
Frage, ob Tillichs Theologie, sobald sie von Gott als dem „Sein-
Selbst" spricht, wirklich das Woher eines unbedingten Angehens
bezeichnet und ob das Wort vom „Sein-Selbst", wenn es
denn als symbolisdies Wort ein Jenseits hat, noch faßt, was es zu
fassen vermeint28. Auch hier scheint uns die Verhältnisbestimmung
von Sein und Wort in Tillichs Theologie jedenfalls Probleme in
6ich zu bergen, die das System nicht durchaus expliziert hat.

Es dürfte sich ergeben, daß von beiden angerührten Problemkreisen
her Tillichs Absage an eine „Theologie des Wortes"29
Hemmungen erfährt, welche die Möglichkeit einer solchen Absage
unter Umständen in Frage ziehen.

25) STh I, 278: „Die analogia entis gibt uns allein das Recht, überhaupt
von Gott zu sprechen. Sie beruht auf der Tatsache, daß Gott als
Sein-Selbst verstanden werden muß."

2") STh II, 16.

27) Es kann sich also nidit um eine „dialektische Situation" (STh II,
16) handeln.

28) Vgl. STh I, 276: „ . .. Symbole, von denen wir wissen, daß sie
auf den Grund der Wirklichkeit hindeuten."

29) „Theologie des Wortes" braucht jedoch nicht, wie Tillich oft
6agt, eine Theologie „geoffenbarter Worte" (STh I, 148) zu sein.

Um Tillichs christologischen Entwurf zu würdigen, haben wir
uns zunächst kurz daran zu erinnern, daß diese Christologie im
Ganzen einer Systematik steht, die jener durchaus das Profil gibt.
Tillichs Systematik will erstens „antwortende" Theologie sein,

•) Systematische Theologie, Bd. I, 1955; 2. Aufl. 1956; Bd. II,
1958.

Paul Tillichs Christologie1

Von Otto W o 1 f f, Tübingen

und d. h. sie will Fragen, die in der menschlichen Situation gegeben
sind, mit Antworten, die in der Botschaft enthalten sind,
in Korrelation bringen (I, 74 ff.). Jene Fragen deckt der erste
Band der systematischen Theologie in einer Analyse der Struktur
der Vernunft, sodann in einer Analyse der ontologischen Struktur
von Selbst und Welt auf, der zweite christologische Band
gibt die Antwort aus der Botschaft. Werden Seinsverarmung und